Blattkritik: Tim Wolff, Chefredakteur “Titanic”, über “Tichys Einblick”.

blattkritik-tichyseinblick-timwolff-600
Tim Wolff, Chefredakteur der Satire-Zeitschrift Titanic, hat sich auf Bitten von turi2 auf Tichys Einblick umgeschaut. Der bekennende Harmoniesüchtige mag die liberal-konservative Meinungsseite des ehemaligen “Wirtschaftswoche”-Chefredakteurs Roland Tichy ganz und gar nicht.

“Most people seem indoctrinated to believe that bullshit only comes from certain places, certain sources: advertising, politics, salesmen. Not true. Bullshit is everywhere. Bullshit is rampant. Parents are full of shit, teachers are full of shit, clergymen are full of shit, and law enforcement people are full of shit … and the media is almost literally exploding with bullshit because they’re located on the crossroads of all the other bullshits.”

Diese Worte des amerikanischen Komikers George Carlin (1937–2008) stellen eine gute Handlungsanweisung für Satiriker dar. Erinnern sie doch daran, nicht ständig die alten Standards neu zu bedienen, nichts dem Verdacht zu entziehen, eine weitere Quelle für Dummheit zu sein. Das gilt natürlich auch und gerade für die eigenen Vorurteile, die man in einem Satirikerleben anhäuft (Es entspricht übrigens sieben normalen Leben). Macht man dies nicht, produziert man am Ende nur Kabarett.

Doch manchmal, ja manchmal gibt es Dinge, Webseiten zum Beispiel, die schon beim ersten Blick alle Vorurteile in einem ansprechen – und dann mit aller Macht bestätigen. “Tichys Einblick” zum Beispiel, die “liberal-konservative Meinungsseite” des ehemaligen “Wirtschaftswoche”-Chefredakteurs Roland Tichy. Da blickt man auf das FAZesk gestaltete Layout und weiß gleich: “Liberal” heißt wirtschaftsliberal (Was war laut Tichy das Problem bei VW? Der “Gewerkschaftsfilz der extremen Sorte”. Zu was sind Flüchtlinge, wenn schon sonst zu nix, nutze? Daß “viele liebgewonnene Marotten im ökosozialen Puppenhaus (subventioniert energie-autark und mit Mülltrennung) fallen müssen”. Was hätte eigentlich mal den Friedensnobelpreis verdient? Der Freihandel); “konservativ” heißt, all jene, die der Freiheit der Wirtschaft schaden, in die wahlweise vom Pragmatismus oder von einer irgendwie natürlichen Ordnung vorgegeben Schranken zu weisen.

So begegnet man allen Themen und Meinungen, die man sonst auch überall antrifft: Gender? Unsere armen Jungs! Politische Korrektheit? Überall: “Nicht nur Terroristen gefährden die Freiheit des Wortes, sondern auch quotengeile Intendanten, gefallsüchtige Chefredakteure und moralisierende Politiker, die an die Alternativlosigkeit ihres Tuns glauben wie Kardinäle an die Unbefleckte Empfängnis Marias” (Wolfgang Herles, Ex-Aspekte). Und natürlich immer und immer wieder den von Linken und v.a. Angela Merkel verklärten, geradezu verführerisch hergelotsten Flüchtlingen.

Die beliebtesten Artikel auf “Tichys Einblick” des letzten Monats lauten: “Merkel muss weg! Und zwar sofort!”, “Verehrte CSU, bereiten Sie dem Spuk mit Namen Merkel ein Ende!”, “Jauch: Vom Talk zur Hypnose”, “Asylkrise: Angela Merkels ‘Mission unconsidered'” und “Kontrollverlust: Flüchtlinge erzwingen Grenzübertritt”. Man weiß, wo man sein Publikum findet. Und bedient es mit allen Mitteln: Von der sanften Angstmache (“Sanieren die Flüchtlinge langfristig unsere maroden Rentenkassen? Leider nein – die Altersarmut wird wachsen.”) über die Verteidigung ähnlich gesinnter Asylkritiker durch die an ihrer Herkunft verzweifelten Bettina Röhl (“Wer sind die Hetzer? Sind AfD und Pegida verfassungsfeindlich und voll Nazi, muss die Bundesregierung ein förmliches Partei- und Vereinsverbot betreiben … Die westlinke Gewalt, die eine Blutspur gelegt hatte … Man kann der AfD und Pegida nur raten von der Bundesregierung zu verlangen, ein förmliches Verbotsverfahren durchzuführen oder sich mit Äußerungen und Behauptungen, die nur dem Ziel verfassungsrechtlicher Diskreditierungen dienen, zukünftig zurückzuhalten … Nazi-Vorwurf ohne Nazi-Tat geht nicht … Pschtpscht. Keine negative Tatsache Einwanderer betreffend benennen, geschweige denn bewerten, das nützte nur den Rechten, das ist pure Menschenverachtung.”) bis zu “Satire”, die natürlich mit einem “Achtung Satire” versehen werden muß (“Achtung Satire: Neues Hetzer-Melde-Portal kämpft mit ersten Plagiatsvorwürfen und neuen Fans. Alles nur geklaut? IG Metall fordert MyPranger.de für Betriebe”). So weit, so vorhersehbar, so langweilig, so liberal-konservativ.

Und so Staatsräson. Es fällt einem auch hier schwer zu verstehen, weshalb sich solche von Straße bis höchste Politik weit verbreiteten Meinungen immer den Ruch des Widerstands geben müssen. Mit den Worten “Täglich schreiben unabhängige Journalisten und Gastautoren auf Tichys Einblick ihre Meinung zu den Fragen der Zeit. Zu jenen Fragen, die sonst oft all zu einseitig dargestellt oder unter den Teppich gekehrt werden” bettelt Tichy um Geld, das ihm der freie Markt nicht gewährt und Hugo Müller-Vogg (“Beim Thema Flüchtlingskrise gibt es ein Diskursverbot”), ehemaliger Herausgeber der “FAZ” – mehr Medien- und Staatselite geht im Preßwesen ja wohl kaum – nennt seine Kolumne allen Ernstes “Gegen den Strom”. Wenn er denn wenigstens Ökostrom meinte…

Egal, bevor ich mich hier noch wirklich aufrege und diese Seite durch noch mehr Aufmerksamkeit adle, und mich lieber wieder beim Kopp-Verlag, in “Welt”-Onlineforen und besorgtbürgerlichen Facebook-Gruppen umsehe, die mir das Gleiche weniger verschwiemelt und amüsanter liefern, möchte ich doch, gegen alle meine Impulse, versuchen, ein wenig Lob auszusprechen.

Also:
– “Tichys Einblick” ist eine sehr aufgeräumte Website
– Die Anzahl der Beiträge ist übersichtlich, wenn auch nicht so übersichtlich wie die Anzahl der Ansichten
– Vorbildlich wird mit Najib Karim ein Feigenblatt-Migrant in die kleine Welt von “Tichys Einblick” integriert
– Die Unternehmensportraits, die “Tichys Einblick” im Nebenerwerb produziert (bisher sind es immerhin zwei), sind voller ulkiger Sätze (“Bauen für die Ewigkeit war Gestern.”)
– Eine Rubrik namens “Meinungen” auf einer Website zu führen, die aus nichts als Meinungsäußerungen besteht, spricht für einen gewissen Sinn für Humor
– Wenn Bettina Röhl für ihr Portraitfoto ihren Rollkragen noch zehn bis 50 Zentimeter höher zieht, wäre sie eventuell eine richtig attraktive Erscheinung

Na ja. Aber mehr fällt mir beim besten Willen nicht ein.

***

In der Reihe Blattkritik erschienen bisher Beiträge über: 11 Freunde, art, auto motor und sport, B.Z., chrismon, Cicero, Clap, c’t, Donna, Enorm, Euro am Sonntag, Fit for Fun , Gala, Geo Wissen Gesundheit, Horizont, Kontext Wochenzeitung, Merian, National Geographic, People, Playboy, ramp, Séparée, Sneaker Freaker, Spektrum der Wissenschaft, t3n, Tichys Einblick, Vice, Walden, Women’s Health, Zeit-Magazin.

Wollen Sie dabei sein?