Was wurde eigentlich aus… der Rohrpost?

Rohrposthülse neuU-Bahn für Briefe: Die Rohrpost war eine der Schlüsseltechnologien der Industriellen Revolution – einfach und genial. In einem Röhrensystem unter der Erde werden mittels Druck- und Saugluft Dokumente und Gegenstände in zylindrischen Kapseln befördert – deutlich schneller als per Postbote. Zeitweise war das System ein Massenkommunikationsmittel: Franz Kafka schickte regelmäßig Liebesbriefe an seine Freundin Milena und Prager Postbeamte orderten damit Kartoffelpuffer. Nach dem 2. Weltkrieg schob der Fernschreiber die Rohrpost aufs Abstellgleis, heute lebt sie nur noch als internes System in Firmen und Behörden.

 
Die Ursprünge der Rohrpost gehen bis ins erste Jahrhundert vor Christus zurück. Heron von Alexandria hat die theoretischen Grundlagen entwickelt: In “Pneumatica” beschreibt er die Anwendung eines atmosphärischen Unter- und Überdrucks in einem Zylinder, in den ein Kolben eingeführt wird. Dass dieses Phänomen auch als Triebkraft dienen kann, entdeckte um 1810 der britische Ingenieur George Medhurst und dachte an den Einsatz in Verkehr und Industrie. Volltreffer! Mitte des 19. Jahrhundert waren die Straßen der europäischen Metropolen so verstopft, dass Postboten stecken blieben und Börsenmakler durch verspätete Nachrichten massenweise Geld verloren. Die Beförderung von Infos in einem unterirdischen Röhrensystem sollte Abhilfe schaffen. So entstand in London 1853 die erste Stadtrohrpost der Welt. Die Strecke verlief zunächst zwischen der Londoner Börse und dem “Central Telegraph Office” und war damit gerademal 200 Meter lang.
 
Sende- und Empfangsstation der Berliner Rohrpost (1885)Ähnliche Netze entstanden 1865 in Berlin, 1866 in Paris sowie in weiteren europäischen Großstädten. Die Netze wurden ausgebaut und verbanden meist die Postämter miteinander. Auch Firmen konnten einen Rohrpost-Anschluss beantragen. Das Berliner Rohrpostnetz erreichte eine Länge von über 400 Kilometern. Daneben entstanden in einigen Städten geheime Parallelnetze – für hochsensible Regierungsdokumente. Denn anders als Telegraf und Telefon war die Rohrpost abhörsicher. Im zweiten Weltkrieg wurden Rohrleitungen und Empfangsstationen durch Bombenangriffe immer wieder beschädigt, der Anfang vom Ende zeichnete sich ab. Nach dem Krieg begann der Siegeszug neuer Kommunikationstechnologien. Der Fernschreiber und die Verbeitung des Autos schoben die Rohrpost zunehmend aufs Abstellgleis.
 
Rohrpost-Comeback in Hamburg – doch dann kam die Flut.
 
Mitte der 1950er Jahre planten die Stadtväter von Hamburg ein Comeback der Rohrpost: Auslöser waren – wie 100 Jahre zuvor in London – die verstopften Straßen. In einem Großrohr-Postnetz mit einem Durchmesser von 45 Zentimetern sollten bis zu 1,60 m lange Wagen einige tausend Briefe auf einmal transportieren. Nur zwei Wochen nach der Inbetriebnahme am 8. Februar 1962 überschwemmte eine Jahrhundertsturmflut die Anlagen in den Kellern der Empfangsstationen. Das Großrohrpostnetz wurde dennoch weiter ausgebaut. Erst, als Erschütterungen durch den Straßenverkehr das Röhrennetz immer stärker beschädigten, wurde der Betrieb 1967 eingestellt. Das einzige noch erhaltene Rohrpostnetz befindet sich in Prag. Eine verheerende Überschwemmung setzte es im Jahr 2002 ebenfalls außer Betrieb, die Reaktivierung scheiterte bislang an den Kosten.
 
Rohrpost im Studio von Hallo SpencerHeute kommen Rohrpostsysteme nur noch als interne Netzwerke zum Einsatz, bei “Hallo Spencer” (siehe Foto) und in Kaufhäusern für den Geldtransport von den Kassen zum Tresor. In Kliniken werden Blutproben, Medikamente und Röntgenbilder per Druckluft durch die Stationen geschossen. Entscheidender Vorteil gegenüber E-Mail und Co: Die Rohrpost kann echte Dokumente und greifbare Gegenstände transportieren – und nicht nur digitale Kopien. Der Legende nach sollen sich Prager Postbeamte per Rohrpost sogar mal Kartoffelpuffer vom Bahnhof bestellt haben. Und die waren bei ihrer Ankunft sogar noch heiß.
 
Weiterführende Links:
de.wikipedia.org: Basis-Infos über die unterirdische Post.
einestages.spiegel.de: Mit Hochdruck durch den Untergrund.
wissen.spiegel.de: Die Rohrpost – eine fast vergessene Kommunikationsform.
berliner-unterwelten.de: Die Berliner Rohrpost.
wiwo.de: Unterschätzte Luftnummer – Rohrpost trotzt der Digitalisierung.
dpwn.de: Die Rohrpost – eine mehr als 100-jährige Erfolgsgeschichte.
radio.cz, archiv.radio.cz: Weltweites Unikat – 120 Jahre Prager Rohrpost.
 
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