turi2 edition5: Wie sich “Bild” zur Bewegt-“Bild”-Marke wandelte.
10. Oktober 2017
Die bewegte “Bild”: Die Zukunft der “Bild” liegt eher im Digitalen als am Kiosk. Die Redaktion gibt bei Videos Vollgas – und tut sich schwer, den Überblick zu behalten, berichtet Jens Twiehaus in seinem Porträt für die turi2 edition5.
Das riesige iPad ist weg. Lange leistete es treue Dienste im Newsroom der „Bild“-Redaktion. An dem tischgroßen Touchscreen suchten Redakteure Fotos aus, diskutierten und verwarfen. Jetzt ist ausgerechnet das iPad Opfer der Digitalisierung geworden. In der Herzkammer der “Bild” stehen stattdessen neue Tische, an denen junge Männer vor Doppelmonitoren sitzen und Videoclips schneiden. Es ist nur eine Momentaufnahme. Aber die Sache mit dem iPad hat Symbolkraft: Die “Bild” befindet sich im größten Umbruch ihrer Geschichte.
Im Hochhaus des Axel Springer Verlags gibt es mittlerweile sechs Orte, an denen Journalisten Live Übertragungen ins Internet starten können. Ein gläserner Konferenzraum ist zum kleinen Studio umfunktioniert. Moderator Moritz Wedel hält Politik-Chefkorrespondent Ralf Schuler ein “Bild”-Mikrofon vor den Mund. Scheinwerfer leuchten, ein Kameramann filmt, einige Stockwerke tiefer führen vier Leute Regie. Bevor Schuler wieder Texte schreibt, ist er live auf Sendung.
Wer jetzt denkt, “Bild” wandle sich zum Fernsehsender, hat die Sache nur halb verstanden. Jakob Wais ist der Richtige, um alles einzuordnen. Wais, Ende 20, ist oberster Videostratege im Haus. Der Röhrenjeans-Träger strahlt die Ruhe aus, die dem Blut-und-Brüste-Angebot von bild.de fehlt. Wais nimmt im größten “Bild”-Studio Platz und beginnt, Scheckkarten auf dem Boden zu verteilen. Zur Veranschaulichung. Jede Karte steht für ein Video-Team.
Personalausweis: steht für das Team “Now Video” – schnelle Clips für soziale Medien. Bankkarte: “Visual Reporting”, aktuelle Reporter-Berichte. Kreditkarte: das Team für Livesendungen. Presseausweis: besondere Formate wie die Web-Kochshow “Futtern”. Führerschein: das Team “Sport-Video”. Wais’ Krankenkassen-Karte steht für “Operation Netflix”. Unter diesem Schlagwort entwickelt ein Team Video-Serien, die es mit dem Streamingriesen aus den USA aufnehmen sollen. Wais verschiebt Karten wie ein Hütchenspieler und fragt: “Alles klar?”
So ganz klar ist ihm selbst noch nicht, welche Blüten der Wandel treibt. Zeitlich lässt sich die Entwicklung von “Bild” zur Videoplattform besser einordnen: Sie beginnt am 13. November 2015 um 21 Uhr 17. Damals detoniert vor dem Pariser Stade de France der erste Sprengsatz. Millionen Fernsehzuschauer, die das Spiel Frankreich gegen Deutschland sehen, hören den Knall. Und wollen wissen: Was ist da los? Die TV-Journalisten sind vor Ort, sie können live berichten. Das, sagt Wais, erwarten Nutzer heute: ganz schnelle Einordnung. Dafür gibt es nichts Authentischeres als live übertragene Bewegtbilder. “Wenn sich Informationen schneller verbreiten, sagt Wais, “müssen Journalisten noch schneller Orientierung bieten.”