Blattkritik: Daniel Giebel, Chefredakteur “Sneaker Freaker”, über “Enorm”.

Image1Daniel Giebel ist von Kindesbeinen an eigentlich für Wirtschaftsmagazine versaut. Enorm kommt bei dem Chefredakteur der deutschen Ausgabe des Streetwear-­Fachblatts Sneaker Freaker trotzdem gut an.

In meiner Jugend lag bei uns daheim regelmäßig die “Wirtschaftswoche”, die mit ihrem trockenen Stangenanzug-­Image eigentlich kaum zum zupackenden Kleinunternehmertum in der Familie passte und mir das Interesse an derartigen Titeln auf Jahre vermieste.

Im neuen Jahrtausend kam dann der Typus des “menschelnden” Wirtschaftsmagazins auf, darunter Enorm – und das sprach auch mich wieder an. Nachdem ich das Heft nun einige Zeit nicht in der Hand hatte, liegt die aktuelle Sommerausgabe vor mir und verlangt: “Vertrau mir!”

Was nicht gefällt
Die Illustration auf dem Cover allerdings hätte mich eher nicht zugreifen lassen – der Zeichenstil ist wenig ansprechend, die dunkle Färbung passt kaum zum doch eigentlich positiven Grundton des Magazins und seiner Themen, die gezeigte Geste widerspricht gewollt der Aufforderung zum Vertrauen. Das soll wohl cheeky sein, ist mir persönlich aber zu kurz gedacht.

Was gefällt
Dafür ist das Papier ein nachhaltiger Handschmeichler, und schon das freundliche Layout der ersten Seiten lässt mich gut einsteigen. Im “Auftakt” gibt es viele kleinere und durchweg interessante Themen, die im besten Sinne Hoffnung machen. Das Titelthema kommt überraschend direkt dahinter – und wieder sind da allzu brave Illustrationen, die mich wieder etwas runter bringen. Dann doch lieber weiter zum Artikel mit den nachhaltigen Kondomen. Oh, ein Interview mit dem guten Jeffrey Sachs, dann ein Porträt eines knorrigen Recycling­-Schuttunternehmers, toll!

Was ich lerne
Der Vergleich des Konsums dreier Haushalte lässt mich ratlos zurück, da sind zu viele Daten und zu wenig echte Bezugspunkte. Ein Artikel von Sarah Wiener spricht mit den Produktionsbedingungen der veganen Industrie ein bislang wenig beachtetes und unbequemes Thema an. Die Reportage zum grausamen Grenzverkehr in der spanischen Exklave Melilla lässt mich schaudern. “Enorm” kann also nicht nur menscheln, sondern drückt auch auf die Wunden an den Rändern dieser fast schon zu heilen Wirtschaftswelt. Damit ist mein Vertrauen dann letztlich doch gewonnen.

Im Blattkritik-Reigen schrieb in der vergangenen Woche Marc Winkelmann über “Euro am Sonntag”.

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