Blattkritik: Ruth Fend, Redaktionsleiterin der “Business Punk”, über “Dummy”.

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Ruth Fend begutachtet für turi2 die aktuelle Ausgabe der “Dummy”. Unbeeindruckt vom Nimbus, der das Magazin mit den monothematischen Ausgaben umgibt, entdeckt die Redaktionsleiterin der “Business Punk” ein eher durchwachsenes Heft zum Thema Muslime.

Welch Ironie der Geschichte, dass turi2 ausgerechnet mir die “Dummy” zuteilt. Wo wir doch mehrfach bei dem Versuch gescheitert sind, Oliver Gehrs zu einer Heftkritik in die Business-Punk-Redaktion zu locken und tief im E-Mail-Archiv noch die leidenschaftlichen Schmäh-Mails von ihm lagern, mit ihrer gehässigen Tonalität wie ich sie bis dahin nur von trolligen Leserkommentaren kannte.

Was die “Dummy” selbst betrifft: Zu meiner Schande hatte ich sie bis dahin gar nicht recht wahrgenommen, erfuhr dann aber, dass sie doch ein gewisser Nimbus umgibt, ja, dass das unabhängige Gesellschaftsmagazin dermaßen heiß geliebt wird, dass viele Menschen zu ihrem Riechsalz greifen müssen, wenn ihnen die Ehre zuteil wird, für “Dummy” arbeiten zu dürfen und darüber ganz vergessen, um ein Honorar zu bitten. Darf man an so einer journalistischen Instanz überhaupt irgendetwas aussetzen, und, oh Gott, steigt man ob so eines Gedankens in die Niederungen der Ressentimentfraktion ab, zu Pegida? Wobei wir quasi beim Thema der Ausgabe wären: Muslime.

Das etwas altbacken plakativ daherkommende Cover verstehe ich nicht. “Je suis Dummy” zum Ausschneiden auf rotem Grund. Kündigt dieses Heft mir jetzt etwas dermaßen Provokatives an, dass es sich geradezu zwangsläufig als nächste Zielscheibe von Fundamentalisten sieht? Oder ist es einfach nur selbstverliebter Klamauk? Ich tippe auf Letzteres, aber einen wirklichen Witz erkenne ich darin auch nicht. Gekauft hätte ich es jedenfalls nicht. Aber immerhin bin ich jetzt neugierig, was ein als anspruchsvoll und originell geltendes Magazin aus einem schon dermaßen breit diskutierten Thema macht.

Das Editorial lässt erstmal befürchten: auch nichts wirklich anderes. Da wird erstmal heruntergebetet, dass der Islam auch nicht weniger friedlich ist als andere Religionen und entsprechende historische Greueltaten der anderen aufgezählt, um später die Probleme, die der Islam mit sich bringt, auch nicht kleinreden zu wollen. Alles nicht falsch, aber auch schon alles hundertmal gelesen. Dafür krieg’ ich im Inhaltsverzeichnis und bei der Vorstellung der Mitarbeiter wieder Lust auf die Lektüre. Ich freue mich auf eine bunte Wundertüte aus Fotoreportagen, auf Kluges und Humorvolles aus verschiedensten Perspektiven.

Die Umsetzung finde ich durchwachsen, sowohl layouterisch als auch inhaltlich. Die Klarheit des Layouts ist angenehm, und schön, dass Fotos soviel Platz eingeräumt wird, vor allem bei interessanten Fotoreportagen, z.B. über die saudi-arabischen Frauen hinter den Kulissen. An anderer Stelle erscheint der großzügige Umgang mit Platz weniger gerechtfertigt: Die grafischen Doppelseiten mit jeweils einer fett gedruckten Sure wirken ziemlich willkürlich eingestreut. Sollen sie so etwas wie Aufschlagseiten für die folgenden Geschichten sein? Dann würde ich mir einen klaren inhaltlichen Bezug wünschen. Ich bräuchte auch nicht für jede einzelne Geschichte eine ganze Seite für die Überschrift, zumal keine davon besonders originell ist. Sie schreit mir nur entgegen “Wir sind old-school Print und finden das geil!” So old-school übrigens, dass man Wörter wie “App” mit “Programm” übersetzt, was dann doch eher verkrampft wirkt. Unterhaltsam und informativ zugleich ist dafür die Grafik zum islamischen Universum.

Dann gibt es teilweise wirklich schöne Lesestücke – nah dran und sehr persönlich: Das gilt für die Ich-Reportage eines in Deutschland aufgewachsenen türkischen Sohnes über das schwierige Verhältnis zu seinem traditionellen Vater oder für die 33-jährige jungfräuliche Hipster-Muslima in London. Das Highlight: die Rekonstruktion des Attentats in Mekka 1979 und seine Bedeutung für die Entstehung islamischen Terrors. Dafür finde ich den klamaukig erzählten Selbstversuch zur Muslimwerdung in der Fußgängerzone ebenso verzichtbar wie die Begegnung mit einem Pegida-Organisator, die exakt so verläuft, wie man sie sich erwarten würde. Und dann gibt es noch Geschichten, wie die vom einzigen weiblichen Warlord in Afghanistan, die einen, gerade weil sie so viel versprechen, enttäuscht zurücklassen, weil man der Person nicht nahe kommt.

Fazit: Ich kann nicht behaupten, mich bei der Lektüre gelangweilt oder beim Blättern geekelt zu haben. Wenn ich aber nochmal an mein Cover-Rätselraten denke, erscheint die selbstreferentielle Zeile tatsächlich vor allem eines: eher selbstverliebt als provokativ, denn dafür ist auch der Humor im Heft selbst zu harmlos und bildungsbürgerlich. Alles ganz hübsch und interessant, aber mehr auch nicht. Sollte Oliver Gehrs sich doch nochmal zur Heftkritik bei uns melden: herzlich willkommen. Aber zum Riechsalz müsste ich bei dieser Nachricht dann doch nicht greifen.

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Die Blattkritik erscheint jeden Sonntag bei turi2.de und folgt dem Prinzip des Reigens.

In der Vorwoche hat Oliver Gehrs, Verleger von “Dummy”, die “SZ am Wochenende” kritisiert.

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