Und sonst so?
Bevor Sie fragen: Ich habe mich nicht hochgeschlafen. Nur hochgetwittert.
Wie geht das?
Maximal 140 Zeichen in das kleine Fensterchen tippen, absenden, fertig!
Sehr witzig. Ich meine natürlich: hochtwittern. Sie dürfen gern mit mehr als 140 Zeichen antworten!
Das kann ich gar nicht mehr. Nein ernsthaft: Hochtwittern heißt in meinem Fall wohl, offenbar so gut zu twittern, dass es die Aufmerksamkeit von Redaktionen erregt. Twitter ist für mich so etwas wie eine Visitenkarte.
Wie würden Sie einem Blinden Ihr Aussehen beschreiben?
Das erste, was anderen an mir auffällt, ist wohl meine Größe. Ich bin ziemlich klein. Unter 1,60. Auch deswegen ist Twitter vielleicht ganz hilfreich gewesen. Im “wahren Leben” werde ich wohl eher unterschätzt, nicht ernst genommen. Kindchenschema: klein, kurze, lockige Haare, große Augen. Aber: große Klappe.
Stimmt es, dass Sie an mehreren Journalistenschulen durchgefallen sind und dann Ihr Talent für Twitter entdeckt haben?
Genau genommen waren es zwei: die DJS und die Henri-Nannen-Schule. Bei beiden habe ich es nur bis zur Finalrunde der Aufnahmetests geschafft. Und Twitter hatte ich schon laaange vorher für mich entdeckt. Beides – meine Bemühungen, im Journalismus Fuß zu fassen und das Twittern – liefen immer parallel. Irgendwann habe ich bei Twitter wohl mit meinem Geblubber bei Medienmenschen Eindruck gemacht. An Tweets merkt man ja schnell, ob Menschen schreiben können; ob sie sich kurz fassen und gleichzeitig pointiert sein können. Tweets waren bei mir wie Arbeitsproben – als Konzentrat.
Ist Twitter der neue Karnickelverein? Als Übungsfeld für junge Journalisten?
Vielleicht. Twitter ist aber auch ein Übungsfeld für alte Journalisten. Plötzlich können sie mitten im Kreuzfeuer stehen, für etwas, das sie oder ihr Medium getan hat. Twitter ist Austausch, Information, Netzwerk. Twitter ist aber auch sehr oft ein selbstreferenzieller Eintopf, der beim kleinsten Anlass immer wieder hoch- und überkocht. Sehr anfällig für Empörungslawinen.
Ja, in den sozialen Medien findet oft der größte Mist die meiste Aufmerksamkeit. Wie haben Sie’s auf über 3.700 Follower gebracht?
Ha, tolle Überleitung! Mit dem größten Mist, ganz offensichtlich. Oder mit viel Humor, etwas Polemik und einem Gefühl für Themen? Keine Ahnung. Ich hatte aber auch sechs Jahre Zeit, um so viele Follower zu “gewinnen”.
Sie hatten Erfolg mit seltsamen Hashtags und unappetitlichen Essens-Fotos. Erzählen Sie doch mal.
Auf dem Amateurkochfotos-Blog habe ich Fotos von Essen auf Kochportalen gesammelt. Auf den Bildern sieht das Essen schlimmer aus als es schmeckt, weil die Nutzer zwar sicherlich gut kochen, aber nicht fotografieren können. Was meinen Sie mit “seltsamen” Hashtags?
Na zum Beispiel #Hoodiejournalismus.
Hoodiejournalismus ist zum Synonym für Onlinejournalismus geworden, und ich glaube, die meisten Ihrer Leser müssten den Begriff kennen. Vor etwa einem Jahr kochte auf Twitter der Empörungseintopf wieder hoch. Der Grund war diesmal, dass Stefan Plöchinger, Chef von sueddeutsche.de, eigentlich in die “SZ”-Chefredaktion einberufen werden sollte. Einige “SZ”-Print-Platzhirsche hatten sich aber dem in den Weg gestellt. Begleitet wurde dieses Spektakel von einem “FAZ”-Artikel, in dem es hieß, Plöchinger, der besonders gern im Kapuzenpulli in der Redaktion erscheine, sei als Onliner sowieso kein “richtiger Journalist”, sondern lediglich ein “Internetexperte”. Die vielen Onlinejournalisten auf Twitter solidarisierten sich daraufhin mit Plöchinger und posteten Selfies in Hoodies. Und ich steuerte den Hashtag zu dieser Aktion bei: #Hoodiejournalismus. Nunja. Es war ein Sonntag. Die meisten Hoodiejournalisten hatten an dem Tag Langeweile und sowieso Schlumperklamotten an.
Aber das war eine reine Gefühlswallung. Ob Plöchinger die Qualitäten für die Chefredaktion der “Süddeutschen” mitbringt, weiß keiner der Empörten. Typisch für Twitter?
Ja, das ist typisch für Twitter. 140 Zeichen bieten wenig Platz für Abwägung oder Differenzierung. Aber ich denke, #Hoodiejournalismus war für die meisten Beteiligten einfach ein großer Spaß. Und seien wir mal ehrlich: Der Großteil der Twitter-Aufreger interessiert außerhalb unserer Filterblase eh niemanden.
Wie schafft man es, mit 27 nicht nur 3.700 Follower als @textautomat zu haben, sondern bereits einen eigenen Parodie-Account als @sexautomat?
Zu @sexautomat müssen Sie Marc Biskup fragen. Der hat offensichtlich viel Zeit. Er fand meinen ersten Tweet aus dem “Welt”-Newsroom witzig und hat schnell reagiert. Wenn Sie ein richtig multimedialer Hoodiejournalist sind, betten Sie ihn vermutlich auch noch hier ein, oder?
Nö. Welche Tipps hat die junge Anna, die sich hochgetwittert hat, für twitternde Journalisten?
Niemals Tweets kopieren. Niemals. Niemals! Und ansonsten: Spaß haben. Wenn’s keinen Spaß macht, sollte man es lassen. Ein Erfolgsrezept habe ich aber wirklich nicht. Ich gehe komplett unkoordiniert an die Sache. Der Rest ist Erfahrung, Gefühl und, wie gesagt, Spaß. Tut mir Leid, ich kann mit keinem “How-To” dienen, so gern ich mit so etwas angeben würde.
Was läuft bei Twitter?
Humor geht eigentlich immer – und von flach bis feingeistig ist alles dabei. Und die richtige Balance zwischen “alleinstehenden” Tweets und Antworten ist wichtig.
Was gar nicht?
Absolut nicht geht, die Inhalte anderer als seine eigenen auszugeben. Accounts, die nur Replys schreiben, aber selbst nichts Eigenes zustande bringen, kann ich schwer ernst nehmen. Aber genauso albern finde ich Twitterer, die nur auf Frontalgeschreibsel aus sind, die also nur posten, aber nicht interagieren.
Würde Tucholsky heute twittern?
Bestimmt. Und er hätte seine Freude an Memes, die ja so ein bisschen die politische Karikatur unserer Zeit sind.
Jesus?
Ja, aber er hätte nur zwölf Follower.
Mohammed?
Ja, aber ohne Fotos. Vermute ich. Wenn ich falsch liege, bitte ich Koran-Experten darum, mich zu korrigieren.
Was ist das gängigste Missverständnis über Twitter? Und was die reine Wahrheit?
Ach, das ist mir alles zu philosophisch.
Ist das ein Problem junger Journalisten: Vor lauter Machen fehlt die Reflektionsfähigkeit – weil die Aufmerksamkeitsspanne schrumpft?
Sorry, ich hab grad nicht aufgepasst. Worum ging’s nochmal?
Egal, Themenwechsel: Wie sieht der Arbeitsalltag einer Social-Media-Redakteurin aus?
Twittern und auf Facebook Beiträge schreiben. Unter anderem.
Ah. Sehr interessant. Letzte Frage, da Ihre Aufmerksamkeitsspanne erschöpft scheint: Planen Sie, eines Tages eine richtige Journalistin zu werden?
Gute Frage! Planen Sie, eines Tages einen richtigen Branchendienst zu führen?