TamS-Interview: Woher kommt Ihre Rauflust, Frau Horn?
4. April 2015
Marion Horn hat Erfolg im Männergeschäft Boulevard. Die Chefredakteurin der “Bild am Sonntag” bekennt sich zu ihrer “Rauflust”.
Ist die “Bild am Sonntag” einfach die “Bild” am Sonntag?
Nein, natürlich nicht, blättern Sie mal die Zeitung durch. “Bild” und “BamS” sind zwei verschiedene Redaktionen. Sagen wir’s so: Wir sind Schwestern, aber wie Schwestern so sind, in vielen Dingen sind wir sehr unterschiedlich.
Ist “BamS” die brave, wohl erzogene Schwester – und “Bild” die verhaltensauffällige Göre?
Sie finden mich brav??? Jetzt bin ich beleidigt.
Im Vergleich zur “Bild”-Zeitung und Ihrem flamboyanten Chefredakteur Kai Diekmann sind die “Bild am Sonntag” und ihre Chefredakteurin eher leise, oder nicht?
Kai ist Kai und ich bin ich.
Lässt es sich eigentlich ruhiger arbeiten, wenn man einen Kai Diekmann als Kugelfang vor sich hat?
Ich brauche keinen Kugelfang, aber ich bekomme langsam das Gefühl, dass Sie für dieses Interview eigentlich lieber Kai Diekmann bekommen hätten.
Nein, ich finde Sie spannender. Eine Frau, die sich im Macho-Geschäft Boulevardzeitung durchsetzt und dabei noch zwei Töchter großzieht. Die erste davon als Alleinerziehende. Wir schaffen Sie das?
Erstens ist der Boulevard kein Macho-Geschäft und zweitens arbeiten Millionen Frauen und ziehen trotzdem Kinder groß. Es soll sogar Männer geben, die das tun.
Warum lassen Sie sich immer wieder auf Twitter-Scharmützel ein?
Rauflust, fürchte ich. Oder Masochismus.
Woher kommt diese Rauflust?
Keine Ahnung. Ich kann wohl nicht anders.
Wie unabhängig von “Bild” arbeitet “Bild am Sonntag” eigentlich?
Gibt’s da Abstufungen? Unabhängig! Wir bei Springer mögen publizistische Vielfalt.
Wie unterscheiden sich die beiden Redaktionen?
Bei “BamS” herrscht Matriarchat (grinst).
Was ist anders am Lesetag Sonntag?
Tageszeitungen sind den Arbeitsalltag integriert, “BamS” liest man zu Hause. Weil das Lesen im Privaten stattfindet, ist unsere Positionierung persönlicher, näher. Man beschäftigt sich mehr mit dem ich und dem du, also den Menschen, die einem wirklich wichtig sind. Konkret: Klaue ich meinem Chef mit dem Lesen Arbeitszeit – oder meiner Familie bzw. mir selbst Lebenszeit? Weil diese Zeit wertvoller ist, müssen die Geschichten hochwertiger sein.
Das bedeutet konkret?
“BamS” steht für Relevanz, Unterhaltung, Lebensnähe. Neben den Nachrichtengeschichten aus Politik, Wirtschaft, Sport und unserem Debatten-Format kümmern wir uns eben auch um vermeintlich “weiche” Themen, zum Beispiel die Rolle der Familie in unserer Gesellschaft. Um Fragen wie “Lebe ich das Leben, das ich mir gewünscht habe?”, “Kann man Vater werden und trotzdem ein lässiger Typ bleiben?” Die großartige Redaktion hat halt nicht nur ein paar Stunden Zeit für ein Thema, sondern für Vieles auch eine ganze Woche.
Was macht eine Frau am Boulevard anders?
Oh my god!? Kommen Sie jetzt wirklich mit dem Männer-Frauen-Ding??? Wie wär’s mit: Sie tragen andere Schuhe?
Wie wär’s mit: Sie bringen keine Titten ins Heft?
Das ist Ihre Wortwahl, nicht meine. Vermissen Sie was?
Nein. Ich streiche die Titten und sage: Möpse. Das wäre dann “Bild”-Sprache, oder?
Ich mache mir langsam Sorgen über Ihr Bild vom Boulevard. Kommen Sie mal vorbei und überprüfen Ihre Vorurteile.
Haben Sie eigentlich mitgeholfen, die textilarmen Seite-1-Mädchen von der “Bild”-Titelseite runterzuholen?
Nein.
Hätten Sie’s gemacht?
Vermutlich nicht.
Macht eine Frau weichere Schlagzeilen?
Klar, Frauen werfen den ganzen Tag Wattebäuschchen. Und weil Männer härter sind, bekommen sie die Kinder. Im Ernst: Ich versuche gute Schlagzeilen zu machen.
Was ist eine gute Boulevard-Schlagzeile? 1985 haben wir an der Journalistenschule noch gelernt: “Deutscher Schäferhund leckt Inge Meysel Brustkrebs weg”. Weil: Deutsch, Tiere, Erotik, Prominenz, Drama, Happy End.
Wenn man Ihnen so einen Quatsch beigebracht hat, dann wundere ich mich nicht mehr über Ihre Fragen.
Ist halt 30 Jahre her. Welche Schlagzeile würden Sie nicht machen?
Solche, die nicht stimmen. Oder die mich nicht interessieren. Oder für die ich nicht die zwei nötigen unabhängigen Quellen habe.
Haben Sie eigentlich einen Etat für Informanten? Zahlen Sie für Geheimnisverrat oder Whistleblowing?
Ich habe einen guten Etat, mit dem ich eine gute Zeitung machen kann.
Also: ja?
Manchmal kostet es viel Aufwand und Recherche, an Informationen zu kommen.
Würde eine “Bild” der Frau Horn aussehen wie die “Bild der Frau”?
Wie “Bild” aussieht, wenn ich sie mache, konnte man ja beobachten, als Kai Diekmann in Kalifornien war. Und wie Ulrike Zeitlinger sie macht, ist ja auch kein Geheimnis. Falls doch: Im Impressum wird täglich der Blattmacher/die Blattmacherin ausgewiesen.
Dann verraten Sie denjenigen, die nicht täglich das “Bild”-Impressum lesen, was bei Männern geht und bei Frauen ein No-Go ist.
Das gibt es nicht. Vielleicht ein Beispiel: Als ich die Nachricht, dass Wotan Wilke-Möhring neuer Tatort-Kommissar wird, mit der Schlagzeile “So sexy war Tatort noch nie” aufgemacht habe, wollten mich die “Bild”-Männer vermutlich einweisen lassen.
Warum: Darf ein Mann nicht sexy sein?
Doch. Aber für Männer ist es oft noch schwierig, dass auch sie mal auf ihre Optik reduziert werden.
Sie haben nach dem Flugzeugabsturz geschrieben: “Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd”. Wie meinen Sie das?
Das Sprichwort thematisiert den Umstand, dass oft der Überbringer einer Nachricht geschlagen wird. Ich habe mich gefragt, ob die teils heftigen Reaktionen auf die Absturz-Berichterstattung vielleicht zum Teil so etwas wie eine Übersprungshandlung waren: Das, was passiert ist, ist so unfassbar grauenvoll, dass man mit seiner Wut irgendwo hin muss.
Waren Sie überrascht über die heftigen Reaktionen im Netz? Es gab ja eine harte Front zwischen Bloggern und Journalisten.
Ich war vor allem froh, dass sich viele Menschen auf meine Seite geschlagen haben, nachdem ich öffentlich gemacht habe, welche Ungeheuerlichkeiten mir da getwittert wurden.
Was meinen Sie mit “Ungeheuerlichkeiten”?
Ich habe keine Lust, dieses sexistische, menschenverachtende, dumme Zeug zu wiederholen.
Ist das Internet “sexistisch, menschenverachtend, dumm”?
Natürlich nicht, nur die Trolle. Ich liebe das Netz.
Wie realitätsfern ist die Aufforderung, den Namen des Piloten nicht zu nennen? Haben Sie gezögert?
Nein, habe ich nicht. Ich habe wegen des Absturzes eine Reise abgebrochen. Als ich Donnerstag Abend in Deutschland ankam, hatte ich mir meine Meinung gebildet: nennen und zeigen.
Stehen die Medien zu Unrecht am Pranger mit ihrer Berichterstattung zum Absturz der German-Wings-Maschine?
Am Pranger steht niemand zu Recht. Noch nicht mal Schwerverbrecher gehören da hin. Aber es ist wichtig, dass Medien Kritik nicht an sich abperlen lassen. Es bricht sich keiner einen Zacken aus der Krone, wenn er Fehler einräumt oder sich einfach mal entschuldigt.
Das stimme ich Ihnen zu. Haben Sie Grund, sich zu entschuldigen?
Meines Erachtens hat “BamS” sich auch in der Germanwings-Berichterstattung nichts vorzuwerfen. Aber ich wünsche mir, dass wir neue Wege finden, mit unseren Leserinnen und Lesern zu kommunizieren. Twitter ist dafür nicht geeignet. Und ich kann ja nicht jede Woche so einen ellenlangen Kommentar schreiben, der unser journalistisches Selbstverständnis einordnet.
Was könnte das sein? Machen Sie auch einen Leser-Club auf?
Wieso auch? Vielleicht ein Blog, ich weiß es echt noch nicht.
Cordt Schnibben lädt 100 “Spiegel”-Leser zum Gala-Dinner ein. Vielleicht backen Sie Kuchen für 10 und laden ein paar Twitter-Kritiker dazu?
Das Dinner wird Schnibben sicher Spaß machen. Ich müsste – wenn überhaupt – 1.000 Kuchen backen. “BamS” hat über zwei Millionen Leser mehr als der “Spiegel”.
Aber der “Spiegel” hat mehr Akademiker unter seinen Lesern. Letzte Frage: Würde die Boulevard-Fachkraft Marion Horn gern mal eine Zeitung für die gebildeten Stände machen?
Mensch, Turi. Ich bin keine Boulevard-Fachkraft, ich bin Journalistin. Und ich mag Menschen. Die in der Redaktion und die, die uns lesen. Ich bewerte Menschen nicht danach, ob sie studiert haben oder nicht.