Michael Schaper ist Mr. Wissen bei “Geo” und seit Jahrzehnten an Bord. Wenn er nicht neue Hefte erfindet, träumt er von einem Klatschmagazin.
Michael Schaper, wo sind Sie in diesem Moment?
Ich sitze in meinem Büro und redigiere Kleintexte für die neue Ausgabe von Geo Epoche über die Geschichte der RAF.
Klingt spannend. Aber wer außer mir kauft eine ganze Zeitschrift über so ein dunkles Kapitel der Nachkriegsgeschichte?
Na, die dunklen Kapitel sind doch die spannendsten. Oder wollen Sie ein Heft über die Kanzlerschaft Helmut Kohls lesen (nicht dass ich damit andeuten will, dass diese 16 Jahre zu den hellen Kapiteln deutscher Geschichte gehören)?
Kohl ist nicht mein erster Wunsch. Nochmal die Frage: Wer liest “Geo Epoche” eigentlich? Der Historiker? Der Geschichtsstudent? Der Oberstudienrat? Die Zahnarztgattin aus Wuppertal?
Ich wünsche mir: alle vier. Der Historiker wird hoffentlich erkennen, dass wir die historischen Zeitabschnitte, die wir zum Leben erwecken, äußerst skrupulös rekonstruieren, stets mit Hilfe von Fachberatern. Der Student wird bei uns hier und da etwas mehr Lesespaß haben als im Hauptseminar. Der Lehrer wird sich möglicherweise eine unserer historischen Reportagen vornehmen, in denen wir die “Geschichte von unten” präsentieren, also nicht aus der Perspektive der Fürsten und Könige, und sie seinen Schülern als Kontrastmittel zu dem Herrscher-fixierten Material seiner Lehrbücher anbieten. Und die Zahnarztgattin wird sich hoffentlich gut unterhalten fühlen durch so manche Geschichte, die von Macht und Intrige handelt.
Gruner hat Rücken – jetzt auch im Verlagsprogramm (Foto: Peter Turi)
Was Sie da drucken, findet sich doch letztlich kostenlos im Web. Warum sollen die Leute dafür 10 oder 16 Euro ausgeben?
Weil wir Geschichte in einer Weise aufbereiten – textlich und optisch – wie man sie im Internet dann eben doch nicht findet. Zudem ist bei uns alles wissenschaftlich abgesichert und nicht tendenziös.
Und auf dieser Basis gründen Sie immer neue “Geo”-Töchter und Enkel? Jetzt “Geo Wissen Gesundheit”. Print stirbt doch, wenn man den Medienexperten glauben darf.
Das Geschäft wird komplexer, das stimmt. Und auch in der “Geo”-Wissensgruppe, für die ich verantwortlich bin, stagnieren die Auflagen – oder geben sogar nach. Umso wichtiger ist es da, auch immer wieder neue Akzente zu setzen. Das tun wir schon seit einigen Jahren. So hat “Geo Epoche”, ein Ableger des grünen Geo, inzwischen schon eigene line extensions hervorgebracht: Geo Epoche Edition und Geo Epoche Panorama. Beide waren von der ersten Ausgabe an profitabel. Und das wird Geo Wissen Gesundheit auch sein, da bin ich mir merkwürdig sicher.
Merkwürdig sicher – wie das?
Es gibt in Deutschland 20 Millionen Menschen, die mindestens einmal pro Jahr wegen Rückenbeschwerden zum Arzt gehen. Dies ist eine ungewöhnlich große Zielgruppe, und der bieten wir ein Heft an, das alle relevanten Fragen zum Thema beantwortet. So vier, fünf Promille dieser Zielgruppe sollten wir schon erreichen können. Daher geht unser Vertrieb davon aus, dass wir zwischen 80.000 und 100.000 Exemplare verkaufen werden – und das wäre in jedem Fall hochprofitabel.
Was ist die “Geo”-Logik hinter den Heft-Neugründungen? Wann gibt es eine neue Heftreihe?
“Geo Epoche” ist 1999 aus den historischen Rekonstruktionen entstanden, die wir seit 1994 im grünen “Geo” gedruckt hatten, etwa über den Flug von Apollo 13. Irgendwann sagten wir uns, warum nicht ein eigenes Heft zu historischen Themen? “Geo Epoche Edition” ist als line extension der line extension gegründet worden, weil wir in “Geo Epoche” immer auch Künstlerporträts druckten – und uns, Sie ahnen es schon, eines Tages sagten: Warum nicht ein Magazin zur Geschichte der Kunst gründen? So war es auch mit “Geo Wissen Gesundheit”: In “Geo Wissen” haben wir immer wieder auch Artikel zu Gesundheitsthemen publiziert, und so kam schließlich die Frage auf: Warum dazu nicht eine eigene Heftreihe?
Was kommt als Nächstes? “Geo Glauben”? “Geo Episode”?
Wir haben tatsächlich schon einen Idee für einen weiteren Ableger, aber darüber zu reden, wäre jetzt noch zu früh.
Welche Zukunft hat Print?
Kurz- und mittelfristig wird es zu einem extrem harten Verdrängungswettbewerb kommen, den nur die innovativsten, finanzstärksten und am effizientesten arbeitenden Verlage überstehen werden. Langfristig – also in etwa zehn Jahren – wird sich Print vor allem in Nischen behaupten können, denke ich. Als Edelprodukt für Spezialisten, fein gestaltet, fein ausgestattet, schlank produziert. Denken Sie beispielsweise an das großartige “Beef” aus unserem Hause. Das heißt allerdings nicht, dass es nicht auch ein paar Ausnahmen von dieser Regel geben wird. Der “stern” zum Beispiel widerlegt seit Jahren alle Kritiker, die den Niedergang der General-Interest-Magazine voraussagen – und erlebt gerade ein starkes Comeback, wie ich finde.
Würden Sie widersprechen, wenn ich eine größere Zukunft für den Spezialisten “Geo Wissen Gesundheit” sehe als für den Generalisten “stern”?
Ja, natürlich. “Geo Wissen Gesundheit” ist extrem fokussiert: Es wendet sich nämlich mit jedem Heft an eine andere Klientel – in der Erstausgabe an Menschen mit Rückenbeschwerden, im nächsten Heft an Leser mit Herz-Kreislauf-Problemen, später dann an Allergiker oder Krebspatienten. Wir wechseln also unsere Leserschaft jedesmal zu einem hohen Prozentsatz aus. Deshalb wird es das Heft auch nicht im Abonnement geben – wer will schon eine Sammlung aller Volkskrankheiten im Regal stehen haben? Zudem ist die Anzahl der Themen endlich. Wir kommen zwar nur zweimal im Jahr heraus, aber ob es genügend Volkskrankheiten gibt, um “GWG” auch in zehn Jahren noch herauszubringen, das muss sich erst zeigen. Im Vergleich zu unserer kleinen Jolle ist der “stern” da noch ein richtiges Dickschiff – und wie schon erwähnt: Alle im Haus sind begeistert über die große Bugwelle, die dieser Dampfer seit einiger Zeit wieder erzeugt.
Das mit dem “stern” müssen Sie so sagen. Sie waren mal “stern”-Filmredakteur, der “stern” ist als Mutter von”Geo” praktisch die Großmutter von “Geo Wissen” und die Urgroßmutter von “Geo Wissen Gesundheit”. Ist es nicht normal, dass die Urgroßmutter irgendwann stirbt?
Mag sein – aber nicht schon mit knapp 70 Jahren (der “stern” wurde 1948 gegründet). Und denken Sie nur dran – der “Economist” ist bereits 172 Jahre alt.
Ausdauer – ein gutes Thema. Erlauben Sie eine persönliche Frage? Wie bleibt man kreativ und innovativ, wenn man seit Jahrzehnten auf demselben Stuhl sitzt?
Aus Angst vor Routine und Langeweile.
Was wäre aus Ihnen geworden, wenn nicht “Geo”-Urgestein?
Ich war vorher sechs Jahre beim “stern”. Vielleicht wäre ich irgendwann zurückgegangen. Aber darf ich Ihnen meinen Herzenswunsch verraten: Ich liebe Klatsch und Tratsch, habe seit vielen Jahren ein persönliches “Bunte”-Abo. So richtig populärer People-Journalismus, das wäre mal für einige Zeit ein wunderbares Kontrastprogramm gewesen.
“Geo” wurde 1976 noch unter Henri Nannen gegründet. Gilt noch der alte Nannen-Spruch “Ich werfe das Geld mit beiden Händen zum Fenster raus, damit es unten zur Türe wieder reinkommt”?
Nein, natürlich nicht. Zumal das Geld ja auch nicht mehr so leicht zur Türe hereinkommt wie früher. Ich haben die Nannen-Zeit beim “stern” noch miterlebt, und die Verschwendung damals war wirklich unfassbar. Mag sein, dass der “stern” eine Zeitlang auch deshalb erfolgreich war, dennoch war das oft eine groteske Geldvernichtung. So arbeiten Chefredakteure aber schon seit mindestens 25 Jahren nicht mehr. Wir alle wissen heutzutage mit unseren Etats vernünftig umzugehen – was nicht heißt, dass man für eine besondere Geschichte nicht auch schon mal etwas mehr Geld ausgibt. Aber dann muss man diese Summe anderswo sofort einsparen. “Schlanke Produktion” heißt eben nicht nur, dass man kleine Teams hat, sondern dass man mit seinen Ressourcen vernünftig umgeht. Ich hoffe, das klingt jetzt nicht zu staatstragend. Aber es ist nun mal die Wahrheit.
Im Nachhinein erscheint jede Ihrer Gründungen ein Erfolg. Hatten Sie auch Flops?
Einen möglichen haben wir Gottseidank rechtzeitig gestoppt. Wir hatten vor einigen Jahren vor, eine Großformatversion von “Geo kompakt” herauszubringen: viel Optik, wenig Text, opulentes Layout. Da wir zur selben Zeit Fokusgruppen zum Erscheinungsbild von “Geo kompakt” befragten, legten wir ihnen auch den Dummy des neugeplanten Projektes vor. Und das Echo war verheerend. Die Leser wollten mehr Text und kein Großformat – also das, was sie schon hatten: “Geo kompakt”. Da haben wir es gelassen.
Kein echter Marktflop? Auch nicht, wenn man in die Verlagsarchive hinabsteigt?
Nö.
Sie müssen Tag für Tag dicke Bretter bohren. Sehnen Sie sich manchmal danach, einen schnellen, oberflächlichen Artikel zu schreiben?
Ist das ein Angebot zur freien Mitarbeit? Nein, ich vermisse das Schreiben nicht – Blattmachen bringt mir eindeutig mehr Spaß.