Blattkritik: Anne Fischer über “Baby und Familie”.


“Baby und Familie” aus dem Wort & Bild Verlag ist für die Leser kostenlos und – wohl auch dank der Verteil-Strategie über Apotheken – das auflagenstärkste Familienmagazin Deutschlands. Der Relaunch macht das Heft in Sachen Magazinigkeit wieder konkurrenzfähig, findet Neunmonats-Mutter und turi2-Autorin Anne Fischer. Sie vermisst allerdings Hebammen und rät zu höherer Väterquote.

Ich lese eigentlich keine Elternmagazine, das vorweg. Zum einen, weil es an drölfzig meist ungefragt überlieferten Meinungen zu Ernährung, Schlaf und Erziehung nie mangelt, dafür tragen zum Beispiel Unbekannte im Supermarkt gewissenhaft Sorge. Zum anderen, weil mein Freund und ich, eingekeilt in dieses Erfahrungsepizentrum, beizeiten beschlossen haben, stoisch und ausschließlich auf die Kinderärztin zu hören – und die zwei, drei Freunde, deren Nachwuchs-Strategien uns nachahmenswert erscheinen. Solange der Sohn nicht aus Verzweiflung seine Popel isst, mache ich um allzu viel Rat lieber einen Bogen, denn leider kommt er häufig im untrennbaren Sample mit einer ordentlichen Portion “und alles andere ist falsch!”.

Der Titel von Baby und Familie ist gelungen, das wird vor allem Stammlesern auffallen, vermute ich – bisher waberte älteren Covern zufolge ein gewisse Heile-Welt-Stimmung mit. Aber halt eine etwas Miefige von vor zehn Jahren. Insofern: Ein Lob fürs neue Layout, das sehr viel dafür tut, dass das Heft bei “Nido”, “Eltern” und wie sie alle heißen mithält. Dass die Bildsprache emotionaler geworden ist, schreibt der Verlag in der Pressemitteilung, ich stimme da nur bedingt zu. Die Fotos zeigen weiter überwiegend Stock-Familien, immerhin aber solche, denen man die Familiensache abkauft, weil sie nicht auf Hochglanz getrimmt sind. Die Schrift ist nach dem Relaunch eindeutig schöner und moderner.

Bei den neuen Ressortnamen bin ich zwiegespalten, statt “Entwicklung und Erziehung” heißt es nun “Großwerden”, statt “Familie und Partnerschaft” ab sofort “Miteinander”. Beide Namen klingen schöner, sind für meinen Geschmack andererseits aber schwerer einzuordnen. Überhaupt verwirrt mich die Inhaltsangaben-Seite, bei den groß angeteaserten Beiträge verstehe ich nicht immer, zu welchem Ressort sie gehören.

70 Minuten beträgt die durchschnittliche Lesedauer einer Ausgabe, sagt die Pressemitteilung – mir gefällt, dass der Inhalt sich gut häppchenweise weglesen lässt, denn an 70 Minuten durchgehend freie Zeit, die ich nicht ab spätestens Minute 30 schlafend verbracht hätte, kann ich mich schwer erinnern, und unterstelle mal, vielen Baby-Eltern geht es ähnlich. Der Wort & Bild Verlag sieht als Zielgruppe werdende Eltern und solche von Kindern bis zu vier Jahren, was sich für mich nach einem schwierigen Spagat anhört. Ich erinnere mich dunkel, als Schwangere schon mit den diesbezüglichen Infos genug im Kopf gehabt zu haben, und nun interessieren sie mich nicht mehr. Im Heft geht es auch nur in den Geschichten über Schwangerschaftsstreifen und kreative Kreißsäle wirklich um Schwangere. Aber vielleicht lesen andere vorausschauender für die anstehende Babyzeit “vor”, schlau wäre das…

Die Themenwahl bleibt dicht am Umfeld Apotheke, zwangsläufig geht es deshalb viel um Gesund- oder eben Krankheit. Ein bisschen mehr ab vom Pfad wäre da noch drin. Oder der Mut, nicht jedem Beitrag diesen Kontext zuzuordnen – eine Ideensammlung zu “Fünf Sinne spielerisch erforschen mit Kindern” braucht echt keinen Hinweis auf eventuelle, mit dem Kinderarzt zu besprechende Wahrnehmungsstörungen. Super ist die neu eingeführte “Schatzkiste”, ein herausnehmbarer Innenteil aus verstärktem Papier, der Mal-, Bastel-, und Spielideen für Kinder bietet. Keine zweite “Geolino”, logisch, aber mit Blick fürs Detail und sicher ausreichend, um akute “Mir ist langweilig!”-Ausbrüche zu überleben.

Die Artikel sind kurzweilig geschrieben und informativ, manchmal bieten sie aber kaum neue Erkenntnisse. Als Beispiel fällt mir der Dehnungsstreifen-Beitrag ein, der – Überraschung – u.a. zu Ölen und Massagen rät. Dem Artikel über Apps im Kinderzimmer täten ein paar Positivbeispiele gut. Einer speziellen Herangehensweise, Kinder zu wickeln und hochzunehmen, vier Seiten einzuräumen, balanciert meinem Geschmack nach gefährlich nah an der Kante zur eingangs erwähnten, unliebsamen Ratgeberei. Als Eltern hat man ohnehin gefühlt unfassbar viel zu beachten, um das Kind nicht versehentlich kaputtzumachen, mangelzuernähren oder geistig im Kreis fahren zu lassen.

Vollkommen neu war mir das Thema der Arzneimittel-Zulassung für Kinder, dafür ein großes Lob – hier ist der inhaltliche Bezug zur Apotheke zu 100 % schlüssig und die Interviewpartnerin, eine Apothekerin, kann wirklich als Expertin sprechen, weil sie ein entsprechendes Projekt leitet. Auch “Ein Baby für Oma” und der Beitrag über außergewöhnliche Kreißsäle sind rundum tolle Artikel. Beim spannenden Beitrag über Feinstaubbelastung bei Stadtkindern wünsche ich mir eine Übersichtskarte der Belastung in Deutschland – sie existiert, aber “nur” als Zusatzinfo im Netz. Das fällt mir generell auf: Die Redaktion versteckt richtig gute, weiterführende Inhalte oft im Netz, zum Beispiel auch das Thema “Streiten vorm Kind”. Vielleicht als Strategie, Print und Online besser und gleichwertig zu verzahnen. Läse ich die Zeitschrift aber zum Beispiel im Wlan-losen Wartezimmer des Kinderarzts, würde mich das nerven.

Was mir fehlt, sind Hebammen und Männer. Erstere sind für die Zielgruppe unverzichtbar, im aktuellen gesellschaftlichen Diskurs ohnehin unterrepräsentiert und im Heft nur an zwei Stellen mal Randerscheinungen. Männer kommen schon öfter vor, aber wenn, dann sprechen sie fast immer als Experten, und kaum mal als Väter über ihre Meinung oder Erfahrung. Und das führt zur Henne-Ei-Frage: Müssen zuerst Magazine mehr Väter integrieren, damit sie die Hefte auch zur Hand nehmen, oder erst Männer Hefte lesen, die bisher eher Frauen repräsentieren? Ich finde ersteres den schöneren Ansatz.

Fazit: Der Relaunch scheint gelungen, die nächsten Ausgaben werden zeigen, ob der neue Fokus auf mehr Elternmeinungen und Service anhält. Wenn ich demnächst in eine Apotheke komme, teste ich das mal selbst, denn was das Heft erstaunlich gut hinbekommt, ist das Informieren ohne zwischenzeiliges Belehren.

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