Lost in Social Media Space: Ministerpräsident Bodo Ramelow begibt sich in der neuen Social-Media-App Clubhouse auf dünnes Eis – und bricht gnadenlos ein. Der Ministerpräsident von Thüringen macht am Freitag in gelöster Stimmung vor einem vermeintlich geschlossenen Publikum mehrere lockere, dumme Sprüche über die Corona-Krisenrunden mit der Kanzlerin. Und wird von Johannes Boie, dem Chefredakteur der "Welt am Sonntag", tags darauf vorgeführt - mit einer zugespitzten Interpretation der Äußerungen des Linken-Politikers. Ramelow witzelt in der lockeren Clubhouse-Runde auf Fragen u.a. von Kevin Kühnert und Paul Ronzheimer, dass er während der stundenlangen Bund-Länder-Beratungen bis zu "zehn Level Candy Crush" schaffe. Kanzlerin Merkel nennt er flapsig "das Merkelchen".
Vom "Welt"-Artikel tags darauf wird Ramelow überrascht: Wütend und mit wachsender Verzweiflung versucht er sich bis 1.39 Uhr am Sonntagmorgen in mehreren Gesprächsrunden zu wehren und zu erklären - bekommt die Zahnpasta aber nicht mehr zurück in die Tube. Sein Fazit, kurz bevor er sich ins Bett verabschiedet: Das sei ihm "eine Lehre", das Verhalten von Boie mache die lockere Atmosphäre im Clubhouse "kaputt". Daniel Bouhs verweist auf Twitter ungehört darauf hin, dass bei Gesprächen aus Clubhouse-Unterhaltungen laut den Richtlinien des Dienstes nur zitiert, aufgezeichnet oder transkribiert werden darf, wenn eine Erlaubnis der Beteiligten vorliege. Gegenargument der anwesenden Journalisten: Die Meinungs- und Pressefreiheit stehe über Firmenrichtlinien.
Fazit: Die insgesamt vier Stunden, die Ramelow auf Clubhouse verbracht hat und an deren Anfang er "Bella ciao" und am Ende "Die Gedanken sind frei" singt, werden als erster großer Kommunikations-Fail in die Geschichte von Clubhouse eingehen. Einer Plauder-App, die jetzt einerseits durch die Decke gehen könnte, andererseits von Kommunikationsprofis fortan mit dem Warnhinweis versehen werden muss: Der Feind hört mit.
turi2 – eigene Beobachtung, welt.de, twitter.com (Bouhs), notion.so (Clubhouse-Richtlinien), twitter.com/KaiDiekmann (Twitter-Protokoll von Kai Diekmann)
Mitarbeit: Peter Turi, Markus Trantow