“Kampagnen auf den Krieg aufzubauen, ist falsch” – Uwe Vorkötter über Haltungsmarketing und Zeitungs-Zukunft.


Haltung zeigen: "Junge Medien­schaffende können besser und einfacher eine Reichweite aufbauen", sagt "Horizont"-Herausgeber Uwe Vorkötter im turi2 Clubraum. Im Live-Podcast mit Moderatorin Aline von Drateln und turi2-Chefredakteur Markus Trantow bescheinigt der langjährige Zeitungs-Chefredakteur jungen Journalistinnen ein besseres Gefühl für "zeitgeistige Themen", kritisiert aber, dass heute "Präzision in der Recherche" fehle. Eine gewisse "Tunnelblick-Recherche" bezeichnet Vorkötter als "einer der gravierendsten Fehlentwicklungen im Journalismus". Dass es vielen Zeitungen heute schlechter geht als noch vor 20 Jahren habe jedoch woanders seine Wurzeln. Wer heute noch eine Print­zeitung mache, müsse sie "nochmal ganz neu denken". Stattdessen werden die meisten Zeitungen noch genau so gemacht, "wie vor 20 Jahren".

Vorkötter kritisiert auch andere Entwicklungen in der Medien­branche, etwa die Abschaltung von Russia Today und Sputnik im Zuge des Kriegs in der Ukraine. Er habe für die Sperrung der russischen Propaganda "emotional" zwar Verständnis, finde es aber trotzdem "falsch und unnötig". Artikel 5 im Grundgesetz ist "nicht teilbar", sagt Vorkötter. "Da steht, eine Zensur findet nicht statt – das Verbot von Medien ist Zensur." Schwieriger findet er die Debatte zur deutschen Bericht­erstattung über den Krieg. Trantows These, Journalismus dürfe auch im Krieg "die Welt nicht in Gut und Böse teilen", stimmt Vorkötter nur bedingt zu. Zwar sei es sein Job als Journalist kritisch zu sein, in diesem Fall könne er aber keine "Schein­objektivität einnehmen, weil Gut und Böse so offensichtlich sind".

Stellung zu dem Angriffskrieg zu beziehen, findet der Journalist auch für große Unternehmen legitim. Haltungs­marketing ist nichts neues, sagt Vorkötter. Die "richtig großen Marken­geschichten" hatten etwas mit Politik oder wichtigen "Zeitgeist-Phänomenen" zu tun, etwa die Schockfoto-Kampagne von Benetton. Entscheidend sei, ob eine Marke eine Haltung hat und die für ihr Marketing nutzt oder umgekehrt. Klassische Kampagnen auf den Krieg aufzubauen, "ist jedoch der falsche Weg".

Der turi2 Clubraum diskutiert jeden Freitag um 12 Uhr mit einem prominenten Gast die Themen der Woche. Am kommenden Freitag ist Judith Barbolini, Geschäfts­führerin des Markt­forschungs­instituts Rheingold, zu Gast.
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