Vom Kopf auf die Füße? Rainer Esser, Chef des Zeit-Verlags, schlägt im Streit um Presseähnlichkeit ganz neue Töne an. "Ich halte diesen Streit zwischen Öffentlich-Rechtlichen und Verlegern für irrelevant und überflüssig", sagt er im Gespräch mit dem Deutschlandfunk Kultur. In Zeiten, in denen die Kräfte, die die Demokratie zerstören wollen, an Zustimmung gewinnen, sollten sich Qualitätsmedien "nicht um des Kaisers Bart streiten". Wenn ARD und ZDF verschwänden oder es kein Digital-Angebot gäbe, würde die "Zeit" deswegen kein Abo mehr verkaufen, ist der Manager überzeugt und glaubt, dass das auch auf den "Südkurier" in Konstanz oder die "Lausitzer Rundschau" in Cottbus zuträfe. Die Gesellschaft würde ohne den ÖRR aber "einen starken Mitspieler im Qualitätsjournalismus verlieren". Das wäre eine Situation, die nur "Alice Weidel und ihre Freunde" freuen würde.
Einfach machen lassen, will Esser die Öffentlich-Rechtlichen aber auch nicht. Die Verlage müssten ihr Geld "draußen erwirtschaften", die Refinanzierbarkeit über Anzeigen werde immer schwieriger. Deswegen schlägt Esser vor, dass der ÖRR überlegen könnte, wie er den Zeitungen helfen kann. Links aus dem Öffentlich-Rechtlichen Kosmos auf Verlagsinhalte – wie jüngst von Kai Gniffke vorgeschlagen – seien eine Idee. Esser geht aber noch weiter und denkt an Bildmaterial, das der ÖRR mit den Verlagen teilen könnte. Außerdem nennt er eine dpa-Zusammenarbeit als Beispiel, in der die Verlage der Nachrichtenagentur lokale Inhalte liefern. Auch die Landesstudios der Öffentlich-Rechtlichen könnten sich für die Inhalte der Print-Kollegen öffnen. Eine solche Zusammenarbeit würde mehr helfen als eine Verschärfung der Regeln zur Presseähnlichkeit.
Esser sieht etwa in tagesschau.de ohnehin keine Konkurrenz für das eigene Angebot oder andere überregionale Verlagsangebote wie spiegel.de oder sueddeutsche.de oder die Angebote der Regionalzeitungen. Man habe den Anspruch, mehr zu bieten als die reine Nachricht und begleite seine Zielgruppe "von der Wiege bis zur Bahre". Umgekehrt widerspricht Esser auch der These, dass Verlage mit ihren Podcast-Angeboten dem Rundfunk Konkurrenz machen würden.
Rainer Esser hat schon früher beliebte Dauerstreits, die Verlage und ihre Lobby-Verbände führen, gegen den Strich gebürstet. 2018 und 2019 wollte er etwa nicht in die Klagen vieler anderer Verlage über die Übermacht von Facebook und Google einstimmen.
deutschlandfunkkultur.de (10-Min-Interview), kress.de
(Foto: Johannes Arlt für turi2)