Berufe mit Zukunft: Q wie Queraussteigerin – Domenika Ahlrichs.
28. Juni 2019
Journalistin macht Schule: Domenika Ahlrichs hat ihre persönliche Exit-Strategie aus dem Journalismus umgesetzt – seit 2018 arbeitet die einstige Vize-Chefredakteurin von Zeit Online zunächst als Referendarin und heute als Lehrerin an einer Berliner Schule. Ihr Journalistinnen-Handwerk kann sie auch vor der Klasse gebrauchen, erklärt sie im Porträt von Maria Gramsch für die turi2 edition #8.
Das Porträt über Queraussteigerin Domenika Ahlrichs finden Sie auch in unserem frei zugänglichen E-Paper zur “turi2 edition #8” auf Seite 177.
Aus der Chefredaktion zurück auf die Schulbank – ein ungewöhnlicher Karriereweg, für den sich Domenika Ahlrichs 2018 entscheidet. Noch bis zum Sommer lernt sie das Lehrersein als Referendarin an einer Berliner Grundschule. Bei der “Netzeitung” und später als stellvertretende Chefredakteurin der deutschen “Wired” hatte sie Sparzwänge erlebt. Also hielt sie Ausschau nach etwas, das sich in der Mitte des Berufslebens noch einmal “sehr sinnvoll und wichtig” anfühlt. Ihr Wunsch: sich noch einmal selbst zu testen und etwas radikal Neues zu machen.
Ahlrichs studiert um die Jahrtausendwende Englisch und Deutsch, das Referendariat wird ihr Jahre später “quasi auf dem Silbertablett angeboten”. An Berliner Grundschulen ist der Lehrermangel besonders gravierend: 2018 sind von 1.240 neu eingestellten Lehrkräften 880 Quereinsteiger wie Ahlrichs. Ihre beiden Fächer werden problemlos anerkannt, zusätzlich muss sie an ihrer Grundschule Mathematik unterrichten. 18 Stunden pro Woche steht sie vor den Schülern, zehn weitere gehen für Seminare drauf. “Eine tolle Mischung”, sagt Ahlrichs. So kann sie ihre Arbeit in der Schule noch einmal reflektieren. Als Exotin fühlt sich die 45-Jährige nicht – “wir sind eine gut gemischte Gruppe von Quereinsteigern und regulären Referendaren.” Der einzige Unterschied zu den anderen: Sie hat einen Wikipedia-Eintrag.
“Den Journalismus hängt man nicht an die Garderobe und dann ist er weg”, sagt Ahlrichs. Auch an der Schule muss sie sich in Themen einarbeiten und sie für ein Publikum aufbereiten – ihre Schülerinnen und Schüler. Sie kann auf ihr Handwerk zurückgreifen. Das hilft ihr beim Abschied aus der Nachrichten-Maschinerie, die seit dem Volontariat an der Evangelischen Journalistenschule 2001 Taktgeber ihres Lebens war. Der Branche fühlt sie sich über ihren Freundeskreis noch immer stark verbunden.
Der Schulalltag bringt eine kleine Prise Entschleunigung – zumindest verglichen mit dem Job als Vize-Chefredakteurin von Zeit Online. Damals hat sie “das ganze Weltgeschehen nachrichtlich im Blick”: Der Tsunami in Japan wirft alle ihre Planungen über den Haufen, die Meldung über den Tod von Udo Jürgens erwischt Ahlrichs Nudeln kochend am Herd. Sie muss alles stehen und liegen lassen. “Im Prinzip weiß ich immer genau, wo ich gerade in meinem Privatleben war, als irgendwas passierte.”
Ahlrichs beginnt ihr Referendariat mitten im Schuljahr. Als zusätzliche Lehrerin kann sie erstmal viel hospitieren und von ihren Kollegen lernen. Bei ihrer ersten eigenen Unterrichtsstunde – Deutsch, Klasse sechs – steht “Der Bericht” auf dem Stundenplan. “Da konnte ich meine journalistische Erfahrung direkt einbringen.” Die Führungserfahrung aus ihrem ersten Berufsleben hilft auch: Ahlrichs steht sicher vor den Schülern – ein Team zu leiten, ist damit durchaus vergleichbar. Auch im Kollegium kann sie “mit einer gewissen Selbstverständlichkeit” auftreten. Als Lehrerin sei sie aber noch nicht in jeder Lage souverän – auch, wenn das vielleicht anders wirkt. Ihre Kollegen nehmen sie als Frau wahr, die Situationen meistern kann. “Da muss ich manchmal daran erinnern, dass ich manches noch nicht weiß und sie mir helfen müssen.” Immerhin: Dass sie schon “etwas geleistet hat im Leben”, mache ihr den Umstieg in die Schule leichter.
In der Redaktion lässt sich Erfolg in Klicks zählen, verkauften Tagespässen und Eilmeldungen. Und an der Schule? Wenn die Schüler Domenika Ahlrichs zurückmelden, dass sie “dazugelernt haben, es ihnen Spaß gemacht hat” und sie selbst “noch genug Kraft und Lust” hat, den nächsten Tag zu planen: “Dann komme ich in eine Art Flow und es ist ein erfolgreicher Tag.”
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