Berufe mit Zukunft von A-Z: Y wie YouTuber – Rayk Anders.
15. Juli 2019
Politik mit Memes, Fakten mit Schnodderslang:Rayk Anders erklärt für junge Leute, die nicht jeden Tag auf den “Tagesschau”-Gong warten, Politik, schreibt Anne Fischer in ihrem Porträt über den YouTuber. Sein größter Erfolg: Wenn er es schafft, seine Zuschauer zu entradikalisieren. Dass er sich über seinen größten Misserfolg so ärgert, dass er am liebsten nicht darüber spricht, sagt Anders im Erfolgs-Videofragebogen.
Das Porträt über YouTuber Rayk Anders finden Sie auch in unserem frei zugänglichen E-Paper zur “turi2 edition #8” auf Seite 189.
Rayk Anders ist Politik-Erklärer für funk, das Jugendangebot von ARD und ZDF. Außerdem “Spiegel”-Bestsellerautor und neuerdings auch Reporterpreis-Gekrönter. Er selbst findet diese Erfolgs-Indizien zwar schön, freut sich aber am meisten, wenn Zuschauer Kommentare schreiben wie diesen: “Bin jetzt seit dem Anschlag auf Paris dabei. Du hast mich damals echt entradikalisiert.” Seinen YouTube-Kanal “Armes Deutschland” startet Anders 2013, weil er sich kreativ austoben und auf Ungerechtigkeiten aufmerksam machen will. Er filmt mit dem Handy, ohne richtiges Mikrofon, bringt sich autodidaktisch das Videoschneiden bei. “Ich wollte nicht perfekt ausleuchten, ich wollte die Leute berühren.”
Anders will Politik und Unterhaltung unter einen Hut bringen, so wie es etwa die “Daily Show” in den USA tut. Durch sie beginnt er selbst, sich für Politik zu interessieren. “Ich war früher der klassische Fall: Welche Partei am stärksten ist, hat mich interessiert wie das MHD der Milch im Kühlschrank. Vielleicht war mir die Milch sogar wichtiger.” Eine Zutat seines Erfolgs: Anders kennt seine Zielgruppe genau, weil er selbst lange Zeit seine Zielgruppe war. Er findet: Wenn sich nur topinformierte Menschen “mit Doktortitel und drei Tageszeitungen im Abo” zu Politik äußern, geht der demokratische Diskurs verloren.
Quasi als Gegenmittel lädt er jeden Freitag ein Video hoch, ordnet Schlagzeilen ein, Enten aus und gibt seinen Senf dazu. Sein Arbeitsalltag ähnelt oft dem eines Redakteurs: Anders stimmt mit der funk-Redaktion Themen ab, recherchiert, dreht, schneidet und moderiert die Kommentare seiner Social-Media-Kanäle. Seine Videos tragen Titel wie “AfD-Provokation: Wieder Todesstrafe in Deutschland?” und “12.000 Jahre überlebt – dann kam Erdogan”. Er greift aktuelle Nachrichten auf, will aber auch selbst Themen setzen. Wie die türkische Stadt Hasankeyf, die für Erdogans Staudamm-Projekt weichen soll – und über die Anders Meldungen vermisst.
Eine weitere Erfolgs-Zutat: Anders verbindet Politik mit Memes und Fakten mit Schnodderslang. Das alles in Videos, die fünf bis sechs Minuten lang sind. Er will einen politischen Einstieg für Menschen bieten, die “nicht auf den ‘Tagesschau’-Gong warten.” Wenn er sie einmal für ein Thema interessiert habe, würden sie danach tiefergehende Dokus schauen. Oder die Spiegel-App abonnieren. “Auf YouTube gibt es ein Ungleichgewicht. Mir fallen sofort zwanzig rechtsextreme YouTuber mit aktiver Community ein, gemäßigte vielleicht eine Handvoll.” Dass Leute so gerne im Netz Hass verbreiten, erstaunt Anders zu Beginn. Heute bedeutet für ihn Erfolg auch, dass er ihnen einen Strich durch die Rechnung machen kann. Und das selbstbestimmt, ohne seinen Stil an irgendwen anpassen zu müssen.
“Es ist keine Selbstverständlichkeit, von YouTube-Videos leben zu können. Wenn ich auf maximalen finanziellen Erfolg aus gewesen wäre, hätte ich sicher nicht Politik als Thema gewählt.” Call-of-Duty- schlägt Steinmeier-Content, ein ungeschriebenes YouTube-Gesetz. Dass funk 2016 auf Anders aufmerksam wird und seitdem mit ihm kooperiert, ist für den 32-Jährigen deshalb eine Art Ritterschlag. Diese Entwicklung hat seinen Arbeitsalltag noch einmal professionalisiert – mit einer wöchentlichen Deadline und einem kleinen Team.
Ein konkretes Zukunftsziel hat Anders nicht. Er hat sich erfolgreich Reichweite aufgebaut und vom typischen 9-to-5-Job abgekehrt. Alles andere lässt er auf sich zukommen. Wer YouTuber sein wolle, müsse mit Unabwägbarkeiten leben können – zum Beispiel dem Algorithmus, an dem Google gar zu gern herum schraubt. “Den Beruf YouTuber gab es vor ein paar Jahren gar nicht. Und funk gab es nicht, als ich mit dem Videodrehen angefangen habe. Unabwägbarkeiten können also auch positiv sein.” Noch so eine Erfolgs-Zutat von Anders: das Positive sehen, selbst wenn die Welt fast jede Woche neu Kopf steht.
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