turi2 edition #8: Der Vogel-Verlag im Wandel zum Kommunikationsdienstleister.
7. Juli 2019
Fliegender Wandel: Die Vogel Group in Würzburg ist der Wandel-Weltmeister der Fachmedien-Branche. Jens Twiehaus besucht für die turi2 edition #8Matthias Bauer, den Sprecher der Geschäftsführung und beschreibt, wie sich der einstige Print-Verlag zum Kommunikationsdienstleister wandelt. Das Erfolgsrezept: konsequente Kunden-Fokussierung – auch, wenn sich dafür alles ändern muss. Im turi2.tv-Video führt Bauer u.a. durch die ehemaligen Druck- und Rotationshallen, die heute ein modernes Kongresszentrum sind.
Den Text über die Vogel Communications Group finden Sie auch in unserem kostenlosen E-Paper zur “turi2 edition #8” auf den Seiten 112 – 114.
Vorbilder? Will Matthias Bauer spontan nicht nennen. Aber eine Niederlage fällt dem Chef des Fachmedienhauses Vogel gleich ein. Er nennt sie “meine schmerzhafte Erfahrung”: 2009 ist Bauer auf dem Sprung nach Berlin, der Vogel-Verlag hat den Digital-Dienstleister ngn gekauft und richtig große Pläne. Sie wollen dolle Dinge mit den großen deutschen Messe-Veranstaltern auf die Beine stellen – doch die Messen wollen nichts davon wissen. Nachwuchs-Manager Bauer erlebt schlaflose erste Nächte in Berlin. Erst spät können er und sein Team die Tochter ngn fit machen und letztlich retten.
Was damals passiert ist? “Wir haben komplett an der Praxis vorbei gedacht”, erinnertsich Bauer heute. Die ganze Firma war überzeugt, zu wissen, was Messe- Veranstalter brauchen – hatte diese aber gar nicht gefragt. Matthias Bauer hat dieses Erlebnis zum Positiven verarbeitet und sagt jetzt: “Wir entwickeln keine Produkte mehr, ohne vorher den Markt, also die Kunden, zu fragen.” Der Beinahe-Misserfolg von damals bewegt bis heute einiges bei Vogel. Der Begriff Verlag taucht nirgends mehr auf, das Unternehmen nennt sich nun Communications Group. Und das sollen Außenstehende ruhig im doppelten Sinne verstehen: Vogel verkauft Kommunika- tion als Dienstleistung. Das Unternehmen schreibt sich aber auch selbst die Kommunikation auf die Fahnen – die ständige Kommunikation mit den Kunden nämlich.
Wer will, kann immer noch Anzeigenseiten in den Vogel-Fachzeitschriften kaufen, bei “MM Maschinenmarkt” etwa, bei “Bike & Business” oder “Laborpraxis”. Kunden können aber auch das All-Inclusive-Paket der Kommunikation bekommen: Vogel erstellt Inhalte, kümmert sich mit einer hauseigenen Agentur um die PR, um Daten-Management mit einer weiteren Tochterfirma, gestaltet Messeauftritte, Websites oder organisiert Preisverleihungen, die dann im hauseigenen Kongresszentrum stattfinden – und in den Fachmedien Thema sind.
Matthias Bauer ist als Sprecher der Geschäftsführung die treibende Kraft hinter dem größten Umbruch in knapp 130 Jahren Unternehmensgeschichte. Bauer, zum obersten Boss befördert mit gerade 36 Jahren, ist Galionsfigur des Wandels und Glücksfall in einer Person. Er ist begeisterter Handballer – was eine gewisse Robustheit erfordert. Er war kurzzeitig Golfer in der Ersten Bundesliga – ein präzises Händchen hat er also. Er ist kein eingeflogener Manager von irgendwo – was in einem Traditionsunternehmen gut ankommt. Zugleich fühlt sich Bauer aber auch nicht als alteingesessener Main-Franke – denn sieben Jahre in Berlin, betont er immer wieder, haben ihn geprägt.
Bauers Karriere im Vogel-Verlag beginnt mit einer Prophezeiung, die als Scherz gedacht war. 2004 sitzt Bauer im Vorstellungsgespräch bei Günter Schürger, es geht gerade um die Frage: Wo sehen Sie sich in fünf Jahren? Da betritt Manager Horst Vollhardt den Raum, witzelt: “Na, was soll er antworten, Günter? Natürlich auf deinem Stuhl!” So erzählt es Bauer heute mit einem breiten Grinsen in seinem Büro. Er teilt es sich mit seinem früheren Praktikums-Chef Schürger, nur dass heute Bauer der Boss ist. Vom Controlling-Praktikanten zum CEO – das ist die Würzburger Version des amerikanischen Tellerwäscher-Traums.
Gäste führt Bauer gern über das Gelände im Westteil Würzburgs, das sie selbstbewusst den Vogel Campus nennen. Irgendwo wird hier immer gebaut – und deshalb läuft Bauer über nackten Betonboden vorbei an Kabeln, die aus der Decke baumeln. Ein Großraum für Redaktionen entsteht hier, möglichst offen – für bessere Kommunikation. Mit den Kollegen aus dem Verkauf hat der Umbau begonnen, sie arbeiten jetzt auf dem Vogel Sales Floor. Das Prinzip lautet: Ein Kunde wird von einem Vogel-Verkäufer in allen Leistungen betreut.
Auf dem Vogel Campus finden sich eine Menge Symbole für den Wandel: Aus der ehemaligen Druckerei ist ein Kongresszentrum geworden. Die alte Schreinerei beherbergt heute eine Gründerwerkstatt. Dem aufgefrischten Firmenlogo, natürlich ein Vogel, ist vor lauter Wandel die Zeitschrift aus dem Schnabel gefallen. Und wo früher Lastwagen mit frisch gedruckten Heften beladen wurden, tüfteln jetzt Büroarbeiter an digitalen Neugeschäften – eine Transformation von der Lade- zur Startrampe.
Es ist eine Menge im Gange, was will Vogel noch? Die kurze Antwort: in die Tiefe gehen. Das Unternehmen hat sich in seinen Bereichen breit aufgestellt und will jetzt mit rund 5.000 Kunden in der Datenbank möglichst enge Verbindungen eingehen. Vogel spricht nicht gern von Dienstleistung, lieber von Partnerschaft. Die mehr als 800 Vogel-Mitarbeiter – ein Großteil sind Journalisten, PR-Leute, Grafiker oder Texter – sollen Kunden im digitalen Wandel zur Seite stehen.
Industriebetriebe müssen, ebenso wie die Medien, mit einer neuen Kommunikation klarkommen. Sie müssen ihre Zielgruppen nicht nur digital ansprechen, sondern sich im Digitalen auf diversen Plattformen zurechtfinden: über Google für Neukunden auffindbar sein, Azubis via Instagram suchen, Fachkräfte auf LinkedIn – und ja, die Firmen-Website sollte schnell, schlank und mobil-optimiert sein. “Die Vielzahl macht es kleinen und mittelständischen Unternehmen fast unmöglich, überall präsent zu sein – aber deren Kunden erwarten das”, sagt Bauer. Er hat nicht nur den Anzeigen-Etat, sondern längst den ganzen Kommunikations-Etat im Visier. Beruhigt aber auch: “Wir wollen den Kommunikationschef nicht arbeitslos machen, sondern zuliefern.”
Beim Rundgang über den Vogel Campus erzählt Bauer begeistert von neuen Geschäften. Die Frage liegt auf der Hand: Wie geht es mit dem Kern des alten Verlagsgeschäfts weiter? “Wir glauben fest an Print”, sagt Bauer, sogar an Wachstum im Bereich hochwertiger Publikationen. Aber auch: “Ich zweifele stark daran, dass es alle Objekte in fünf Jahren noch 1:1 gibt.” Und etwas später: “Wenn die Zielgruppe in fünf Jahren kein Print mehr möchte, wäre es totaler Irrsinn, es weiterzuführen – nur, weil wir es mögen.” Das mag opportunistisch scheinen, entspricht aber der neuen Vogel-Doktrin: radikaler Fokus auf das, was der Kunde nachfragt.
Dass Vogel nicht nur aufbauen, sondern auch abgeben kann, hat das Unternehmen mehrfach gezeigt. Vieles ist verschwunden – nicht zuletzt Umsatz. Die einstige Vogel-Innovation “Chip”, gegründet vom heutigen Verleger Kurt Eckernkamp, erscheint längst bei Burda. Die Beteiligung am Stuttgarter Verlag Motorpresse ging an Gruner + Jahr. Bertelsmann übernahm große Teile des Druckerei-Geschäfts.
Zum neuen Verständnis der Communications Group gehört auch, dass die Würzburger darüber sprechen, welche Widerstände der Wandel in der Belegschaft hervorruft. Die Mitarbeiter seien nicht überrascht – aber einige von der Geschwindigkeit. Ja, es gebe Befürchtungen, einige Mitarbeiter haben das Haus verlassen. Die Chefs versuchen, Ängste zu nehmen und Vertrauen aufzubauen – wie könnte es anders sein: über Kommunikation. Im hauseigenen “Flugblatt” stellen sie die Aufgaben besonderer Mitarbeiter vor, aus dem Chef-Büro kommt ein Newsletter. Einmal im Monat treffen sich alle in der Kantine zu einer Art Townhall-Meeting, um der Geschäftsführung Fragen zu stellen. “Man muss Spannungen aushalten”, sagt Bauer. “Manchmal ist es besser, erst den Mut zu haben, den Schritt zu gehen und dann nachzujustieren. Wenn man von vornherein alles zu Ende diskutiert, kommt man oft nicht weiter.” Irgendwann ist auch im Kommunikationsunternehmen mal genug kommuniziert.
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