Blattkritik: Tatjana Kerschbaumer über “Ngin Food”.


“Ngin Food” ist frisch auf dem Printmarkt und verspricht Einblicke in die digitale Welt des Essens. Das Magazin von Vertical Media vermittelt vor allem das Gefühl, dass Essen im Netz vermarktet, vertrieben und beworben wird. Themen wie vernetzbare Kühlschränke und andere Spielereien des Internet of Things kommen aber zu kurz, findet Tatjana Kerschbaumer.

“Essen? Klar kann man das digitalisieren!” Das behauptet zumindest das Editorial von Ngin Food, einer neuen Zeitschrift aus dem Hause Vertical Media, genauer gesagt: Gründerszene. Die Website ngin-food.com gibt es schon seit Ende 2016, jetzt der Sprung in gefährliche Printgewässer. Essen ist digitalisierbar, aber um das zu vermitteln, setzt Gründerszene zusätzlich nun doch auf Good Old Analog.

Der Umschlag ist angenehm mintgrün und zeigt kuschelnde Pixel-Bananen. Die gelben, gebogenen Turteltäubchen schmusen miteinander, weil die Titelzeile “Verliebt in die Zukunft des Essens” bebildert sein wollte. Nette Idee, der Preis für schlanke 62 Seiten ist da schon happiger – 12,50 Euro kostet die Erstausgabe. Für eine derzeit noch unbestimmte Zeit können Leser das Magazin aber kostenlos unter print.ngin-food.com herunterladen.

Ich bin ehrlich: Wenn ich an digitalisiertes Essen denke, fällt mir außer Lieferdiensten wie Amazon Fresh, Deliveroo und Co. nicht besonders viel ein. Einen vernetzbaren Kühlschrank kann ich mir gerade noch vorstellen, aber als im frisch umgebauten Haus von Freunden neulich der Backofen zu sprechen begann (“Braten-fertig”) habe ich einen Riesenschreck bekommen. Als höchst altmodischer Lebensmittel-auf-dem-Markt-Käufer erwarte ich mir von Ngin Food also einige Neuigkeiten, von denen ich noch nie gehört habe.

Der Einstieg: Klassisch magazinig, Ngin Food hat sechs “Food-Typen” identifiziert, die ihre Umwelt regelmäßig in den Wahnsinn treiben, zum Beispiel den hypochondrischen “Laktose-Loser” oder die “Superfood-Süchtige”, die sich vor allem von Chia-Samen ernährt. Alles richtig, nur digital ist daran nichts – der Überblick soll wohl eher eine Hinführung zum Thema sein, frei nach dem Motto: Essen und Nahrungsmittel sind – gerade für die junge Generation – unglaublich wichtig und lebensbestimmend geworden. Danach erfährt der Leser etwas über Zucker und dessen Lobby. Auch der Zucker ist ziemlich analog, außer dass im Text einige YouTube-Videos erwähnt werden. Also erstmal weitersuchen nach dem digitalen Essen.

Bei Ngin Food lerne ich: Digitales Essen bedeutet vor allem, dass es online beworben, vertrieben, in Food-Blogs verwertet wird. Das vermittelt etwa ein Interview mit “GZSZ”-Schauspielerin Janina Uhse, die nebenbei Futter-Videos produziert, ein Porträt des Berliner Startups Kitchen Stories und eine wirklich gute Übersicht über Lieferdienste und wichtige Online-Shops in Deutschland. Ich merke aber auch: Viel mehr als mir ist den Foodies bei Gründerszene auch nicht eingefallen. Alles ist solide gelayoutet, gut geschrieben, aber es haben sich ganz augenscheinlich digitale Lücken aufgetan. Deshalb gibt es die obligatorische Craft-Beer-Geschichte zu lesen (gähn), ein Porträt über Fritz-Kola-Gründer Marco Wiegert und eine Analyse, wie es Food-Startups ganz klassisch ins – wirklich höchst analoge – Supermarktregal schaffen. Vernetzbare Kühlschränke, sprechende Backöfen und Fleisch aus der Petrischale suche ich vergebens – nur Tina Beuchler, Digitalchefin bei Nestlé schneidet im Interview kurz das Thema “Internet of Things” an. Die Macher von Ngin Food kommen aus der Startup-Berichterstattung, da macht ihnen so schnell niemand etwas vor. Der digitale Fokus, den das Magazin zumindest im Editorial verspricht, geht aber doch recht oft verloren.

Immerhin: Das Thema Food-Printing, also Essen aus dem Drucker, wird genannt – neben anderen Trends wie Astronautennahrung oder Insekten-Konsum. Kommen die Insekten, die wir künftig essen werden, aus dem Drucker? Oder doch von der Heuschreckenfarm? Leider ungeklärt.

Analoger als die Rausschmeiß-Reportage geht es gar nicht mehr. Und – das ist bezeichnend – sie ist der beste Text des Magazins. Ein Redakteur hat Inge begleitet, eine Frau, die seit 20 Jahren mit ihrem Lieferwagen durch Mecklenburg-Vorpommern tuckert und abgelegene Dörfchen mit Klopapier und Kreuzworträtseln versorgt. Von Amazon Fresh, Foodora und all den anderen digitalen Essenslieferanten hat Inge noch nie etwas gehört; bestellt wird bei ihr kaum, sie hat einfach alles dabei. Auf dem Dorf ist Inges “Konsumwagen” für manche die letzte Rettung, denn auch digital orderbare Lieferdienste haben die Weiten Mecklenburgs noch lange nicht erschlossen. Am Ende scheint Essen doch nicht ganz so digitalisierbar, wenn Inge sagt: “Ich kann die Kunden nicht im Stich lassen. Die warten auf ihr Brot.”