Blattkritik: Ursula Ott, Chefredakteurin “chrismon”, über “Walden”.

Blattkritik_Ursula Ott über Walden 600
Ursula Ott, Chefredakteurin von chrismon, liest für turi2 Walden und entdeckt “arg viel Holz”. Das Heft sei schön, findet die ehemalige “Emma”-Redakteurin, ermüde aber ab der dritten Geschichte.

“Neu! Für Männer! Für draußen!” Super, da bin ich die perfekte Testperson. Ich bin Frau! Überwiegend drinnen! Und “für Männer!” bewirkt bei mir eine sofortige Re-Traumatisierung. Ich war vor 20 Jahren Redakteurin bei Emma. “Von Frauen für Frauen” stand da auf dem Titel – damals schon blöd. Und die Zahl der Ausrufezeichen (gerne unter Sätzen wie “Auf, Mädels!”) haben wir oft nachts im Redaktionsschluss auf ein erträgliches Maß reduziert. Das würde ich als erstes den Headlinern ans Herz legen. Weniger! Ausrufezeichen! Schreit nicht so rum im Wald! Pssst!

Walden. Benannt nach dem Klassiker von Henry David Thoreau, “Walden oder Leben in den Wäldern”. Kennen Sie nicht? Macht nichts, der potentielle Käufer offenbar auch nicht, denn der alte Thoreau wird gleich an vier Stellen im Heft erklärt und zitiert. Ehrlich, Jungs, wenn wir bei chrismon so oft Jesus Christus zitieren würden, hätten wir nicht die Million Leser, die wir haben. Aber so viele wollt ihr auch nicht bei “Walden”. Ihr wollt die Happy Few, die 7,50 Euro am Kiosk bezahlen für die Sehnsucht nach dem wilden, ursprünglichen Männerleben. Und das, Respekt, gelingt emotional auf jeden Fall.

Logisch, dass jeder Chefredakteur, der an dieser Stelle schreiben darf, jetzt schon mal ein großes Herz hat für dieses Holzmedium: Jubel, da traut sich ein Verlag in Zeiten der Digitalisierung, eine Zeitschrift auf hochwertigem Papier zu drucken. Wo die Holzfasern so sichtbar sind, dass man es fast tasten und riechen kann, wo auf Holz gepinselt, gehämmert und genagelt wird. Schön. Aber spätestens bei der dritten Geschichte, die aussieht wie von gegerbter Männerhand aufs grobfaserige Holz getackert, auch ermüdend. Viel Holz. Arg viel Holz.

Das ist mein Hauptbedenken gegen dieses Heft. Es ist schön – aber wird Mann es mehr als einmal kaufen? Es erinnert mich an das Buch “Alles, was ein Mann wissen muss”, ebenfalls in Holz-Optik, ebenfalls übers Holzfällen (allerdings auch übers Frauen-Anbaggern, das fehlt so ein bisschen bei “Walden”). Den Ratgeber habe ich meinen Söhnen zur Konfirmation geschenkt, ja klar, ein Kerl muss zumindest ein Holzregal bauen können. Auch eine Frau, man sehe sich bitte die Ladies Nights bei “Bauhaus” an. Aber kauft man sich so ein Männer-Initiations-Ding immer wieder?
Ansonsten: Die Titelzeile “Mach es zu Deinem Herbst!” – geht gar nicht mehr, alles was an die kongeniale Hornbach-Werbung erinnert, ist als Headline ungefähr so kreativ wie “Geiz ist geil”. Die Produktvorstellungen – vom zwiegenähten Wanderstiefel bis zum Rindslederholster – sind wunderschön fotorealistisch gezeichnet. Die Anzeigen allerdings auch, nicht immer kann ich die beiden Genres unterscheiden. Soll ich auch nicht, logisch, da freut sich bestimmt die Anzeigenabteilung. Aber der Leser, in Zeiten von AdBlockern, mag der das auch? Sehr witzig der Entscheidungsbaum zum Kacken im Wald. Das Thema geht immer bei Männern. Aber was macht ihr bloß in Heft drei, vier oder fünf?

Stellt sich abschließend die Frage: Wer kauft das? Ich vermute, die Männer im überfüllten ICE-Großraumwagen, mit denen ich jeden Morgen nach Frankfurt fahre. Ich glaube, das geht: Im Bankenturm sitzen bis abends um halb neun und vom einsamen Holzfällen in der Taiga mit der Spalthammer-Axt träumen. Aber Vorsicht, diese Männer sind zwar sehr gezähmte Wilde, aber doof sind sie nicht. Von einer Story wie die des Pariser Stadtflüchtlings Sylvain Tesson könnte der Leser sich tendenziell verarscht vorkommen. Der tauscht angeblich sein Stadtleben für sechs Monate mit einer Blockhütte in Irkutsk und nimmt dafür 18 (!) Bücher mit, von David Thoreaus “Walden” (da isser wieder!) bis Bret Easton Ellis “American Psycho”. Das liest der Typ doch nie und nimmer! Es sei denn, er überlegt sich wie Christian Bale in “American Psycho”, wen er noch alles mit seiner Axt zerstückeln kann.

Letzte Anmerkung zu den kleinen eingeklebten Minimagazinen und Bastelanleitungen, die ja gerade in sind – auch bei Lifestylemagazinen für Frauen in der Lebensmitte. Aber während Frauen-Mags sich um praktische Handläufe und rutschfeste Bodenbeläge kümmern, bauen Männer eine “Walden-Hütte” mit verzapften und auf Gehrung abgesetzten Eckverbindungen. Und während Männer über Lagerfeuer schreiben, schreiben Frauen über Hitzewallungen. Seufz. Mannsein ist echt lustiger.

Bisher wurden folgende Titel einer Blattkritik unterzogen: 11 Freunde, art, auto motor und sport, B.Z., Cicero, Clap, c’t, Donna, Enorm, Euro am Sonntag, Fit for Fun , Gala, Geo Wissen Gesundheit, Kontext, Merian, National Geographic, People, ramp, Playboy, ramp, Séparée, Sneaker Freaker, Spektrum der Wissenschaft, Women’s Health, Zeit-Magazin.

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