Berufe mit Zukunft: T wie Trendforscher – Andrej Heinke.
4. Juli 2019
Gedankenvorrat ohne Glaskugelei: Andrej Heinke reist für Bosch um die Welt, trifft Experten, hört Meinungen, sammelt Eindrücke – und erstellt daraus Thesen für die Zukunft. Für die turi2 edition #8 spricht Heike Reuther mit ihm über zutreffende Prognosen, ihre Auswirkungen und warum die Lage der Welt ihn nicht pessimistisch stimmt.
Das Porträt über Trendforscher Andrej Heinke finden Sie auch in unserem kostenlosen Blätter-PDF zur “turi2 edition #8” auf Seite 180.
Einen ziemlich coolen Job hat Andrej Heinke da ergattert. Vice President Future Research & Technology Strategy steht auf seiner Visitenkarte. Heinke hat Geschichte und Amerikanistik in Berlin, Stanford und London studiert und hat einen MPA, einen Master in Public Administration aus Harvard. Seit 16 Jahren arbeitet er bei Bosch. Davor war der promovierte Geisteswissenschaftler in der Zukunftsforschung bei Daimler, bei Sony in Tokio und im Planungsstab des Auswärtigen Amtes – damals noch unter Joschka Fischer.
Heinke betrachtet globale Wechselwirkungen, sucht Chancen und Risiken, hinterfragt und ordnet ein. Die Geschäftsleitung, Direktoren und Mitarbeiter aus den Strategiebereichen greifen auf sein Wissen zu. Es geht um New Work, die Innovationskraft Chinas und die neue Seidenstraße, um die Stellung Europas, um Künstliche Intelligenz. “Die Zukunft nimmt ihren ganz eigenen Lauf, ist wenig vorhersehbar und oft von Zufällen bestimmt. Denken auf Vorrat schadet trotzdem nicht”, sagt Heinke. Aber wie treffend können die Aussagen eines Trend- und Zukunftsforschers wirklich sein? In der Demografie lassen sich Aussagen für 15 bis 20 Jahre im Voraus treffen. Auch bei den Themen Klima und Energie sind Langfrist-Prognosen möglich. Urbanisierung stuft Heinke auch noch als verlässlich ein. Wenig vorhersehbar sind globale Entwicklungen, weil sie von vielen Zufällen bestimmt werden.
Heinke erinnert sich an die Amtszeit von Georg W. Bush und Nine-Eleven, auch mit Trump habe in Europa niemand gerechnet. Die Zukunftsforschung sei trotzdem keine Glaskugel-Leserei und helfe, qualitative Bewertungen schonend vorzunehmen. Heinke wagt sich daher auch an komplexe Themen und zitiert Albert Einstein: “In the middle of difficulty lies opportunity.” Heute ist der Zukunftsexperte verantwortlich für den Megatrend-Report von Bosch. Die neunte Ausgabe erscheint pünktlich vor der Sommerpause. Ein Jahr lang hat Heinke dann daran gearbeitet. Ist um die Welt gereist, hat Experten getroffen, Interviews geführt, Meinungen aus erster Hand eingeholt, Eindrücke gesammelt. Alles, um plausible Thesen für die Zukunft aufzustellen – und sie in einem rund 300 Seiten starken, opulenten Band festzuhalten. Der Megatrend-Report soll Katalysator sein für die Zukunft und den Erfolg von Bosch. “Crossmapping the future” ist sein Untertitel.
Die Entwicklung in den Vereinten Staaten hat Heinke erahnt. Auch das sich abkühlende Verhältnis zur Volksrepublik China, gut nachzulesen im Megatrend-Report Nummer Sieben. Mit seinen Einschätzungen nimmt der 51-Jährige Einfluss auf die Entwicklung des Unternehmens und seiner Partner. “Furcht wäre ein schlechter Berater. Es geht darum, die Chancen zu sehen”, beschreibt er seine Vorgehensweise. Für Heinke ist es ein persönliches Erfolgserlebnis, wenn er mit Entscheidungsträgern bei Bosch reden kann und vom Management gehört wird.
Aus der Arbeit des Trendforschers entstehen nicht zwingend konkrete Produkte. Aber auf übergeordneter Ebene tut sich was. Ein Smart City Konzept von Bosch, aus dem eine Partnerschaft mit einer chinesischen Stadt entstanden ist, hat Heinke mit seinen Annahmen beeinflusst. Auch das Risikobewusstsein im Unternehmen hat sich verändert – denn Erfolg und Misserfolg lassen sich durch Trendforschung anders bewerten. Trotzdem weiß Heinke, dass er sich auf dünnem Eis bewegt. “Vertrauen kommt zu Fuß und flieht zu Pferde.” Ob er durch die jahrelange Beschäftigung mit Weltereignissen pessimistischer geworden ist? “Ich bin Optimist. Ich habe drei Kinder.”
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