Treue Seelen: Auf linear-loyale Zuschauer kann sich kein Fernsehmacher mehr verlassen. Außer im Kinderprogramm. Anne Fischer beschreibt für die turi2 edition #9 die erstaunlich konservativen Sehgewohnheiten der Jüngsten. Weil sie keine alleinige Macht über die Fernbedienung haben und Eltern ihre Kinder lieber beflimmern als im Internet surfen lassen, konkurrieren die vier Sender Super RTL, Kika, Disney Channel und Nick bisher recht linear um die Köpfe der Kinder – mit Animations-Serien, Nebengeschäften in Print und Bildungsformaten.
Was dem erwachsenen TV-Zuschauer der “Tatort” am Sonntagabend, ist dem kindlichen “Peppa Pig”, “Das Green Team” und “Spongebob” am Sonntagmorgen. Wenn müde Eltern nicht aus dem Bett kommen, bespaßt der Fernseher den Nachwuchs als verlässlicher Freund – rund 65 Minuten täglich. Das ist zwar weniger als früher. Trotzdem verlagern Kinder ihren Bewegtbildkonsum wesentlich langsamer ins Netz als alle anderen Zielgruppen. 88 Prozent der 4- bis 13-Jährigen schauen linear, sagt die aktuelle Kindermedien-Studie.
Vier Sender konkurrieren um die Köpfe der Kinder: Das private Super RTL setzt auf Spaß und genießt seit vier Jahren die Marktführerschaft beim Nachwuchs. Verfolgt vom öffentlich-rechtlichen KiKa, der mit lehrreichen Sendungen punkten will. Weil er im Wettbewerb um Werbekunden außer Konkurrenz spielt, senden beide in friedlicher Koexistenz.
Aus der zweiten Reihe kämpft sich der Disney Channel in den Markt. Als der Micky-Maus-Sender 2014 vom Pay- ins Free-TV wechselt, hat er es schwer. Inzwischen konzentrieren sich die Macher mit Animationsserien auf die 6- bis 9-Jährigen und lotsen ältere Jungzuschauer ins Digitale. Mit wachsendem Erfolg: Im Juni 2019 erringt der Underdog bei den 3- bis 13-Jährigen erstmals einen Tagessieg. Vierter und kleinster Sender ist Nick von Viacom.
Ein Blick ins Programm der Kindersender beschert den meisten Erwachsenen Nostalgie-Momente: “Tom & Jerry”, “Inspector Gadget” und “Asterix & Obelix” bei Super RTL. “Logo”, “Sendung mit der Maus” und “Shaun das Schaf” beim KiKa. “Micky Maus” und “Muppets” im Disney Channel. “Spongebob” und “Sissi” bei Nick.
Zielgruppe sind auch die Eltern: Sie achten hierzulande aufmerksamer als anderswo auf das, was ihre Kinder sehen. Fernsehhelden, die sie aus ihrer eigenen Kindheit kennen, vermitteln ein heimeliges Gefühl von heiler Welt, die man dem Nachwuchs ohne Bauchschmerzen zumuten kann.
Auch Protagonisten aus Büchern funktionieren gut – und alles mit Bildung. Der KiKa mit Marken wie “Logo – die Nachrichtensendung” ist einzigartig im Markt – und “Löwenzahn” ist besonders beliebt, auch weil hier keine Werbung läuft. Super RTL zieht mit eigenen Wissenssendungen nach, die der Sender geschickt ins Netz verlängert und um Merchandising-Linien ergänzt.
Der Disney Channel hat verstanden, dass es auf dem deutschen Markt neben Lizenzware aus Übersee lokale Eigenproduktionen braucht. Auch KiKa und Super RTL setzen auf Eigenes – aus inhaltlichen und wirtschaftlichen Gründen: Deutsches Kinderfernsehen besteht auf Happy Ends. Ungelöste Konflikte und Cliffhanger vorm Einschlafen passen nicht. Auch zu krawallig oder brutal darf es nicht sein. Die eigenen Stoffe lassen sich außerdem in Nebengeschäften verwerten.
Vor allem auf Papier: Blue Ocean von Burda und Egmont Ehapa bringen zu allen wichtigen TV-Helden Zeitschriften ins Kinderzimmer – vom “Sandmännchen” über “Bibi & Tina” bis zu den Figuren aus Entenhausen. Dazu kommen komplette Produktlinien und Events wie die “Toggo Tour” von Super RTL. Kein Kinderheld, der nicht außerhalb des Fernsehprogramms im Alltag der Kleinsten auftaucht.
Für zwei Szenarien sorgen die Sender vor allem digital vor: Die Zeit, wenn das Grün hinter den Ohren der Zielgruppe weicht und aus Kindern Jugendliche werden. Und für die nonlineare Zukunft, die trotz aller TV-Treue den Programmmachern unvermeidlich scheint. Auch wenn es damit wohl noch etwas dauert: Die heutige Elterngeneration, selbst mit Kinderfernsehen aufgewachsen, hat keine Angst mehr vor viereckigen Augen und schmäht das Fernsehen nicht als Verblödungsmaschine. Das Internet scheint vielen riskanter als der Fernseher. Den kann man, wie Peter Lustig es bei “Löwenzahn” 24 Jahre lang zum Schluss jeder Sendung predigte, nämlich: abschalten.
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