turi2 edition #8: Martin Kotthaus über erfolgreiche Gesprächsführung.
17. Juni 2019
Erfolg durch Diplomatie: Martin Kotthaus, Deutschlands Botschafter in Belgien und Ex-Sprecher von Gruner + Jahr, ist Experte in Sachen Verhandlungsgeschick. Für die turi2 edition #8 spricht Anne-Nikolin Hagemann mit ihm übers Zuhören, schlaue Gesprächsführung und kommunikative Fettnäpfen. (Foto: Oliver Lang/dpa)
Das Interview mit Martin Kotthaus finden Sie auch in unserem kostenlosen E-Paper zur “turi2 edition #8” auf den Seiten 138 – 141.
Ist es Ihr Erfolgsgeheimnis, dass Sie gut darin sind, mit Menschen zu sprechen?
Das – idealerweise erfolgreiche – Gespräch ist Teil des Kerns der Diplomatie. Ohne Gespräche und Verhandlungen gibt es keine Diplomatie. Man sollte also als Diplomat mit Menschen sprechen können und idealerweise auch Freude daran haben. Eine gute Portion Neugierde und Interesse an Neuem helfen auch.
Was ist für den Erfolg eines Gesprächs wichtiger: Schnell eine persönliche Ebene suchen oder höfliche Distanz wahren?
Ich glaube, eine persönliche Ebene herzustellen, hilft immer. Die Frage ist nur, wie und wann. Es gibt Staaten, die kommen schnell zur Sache. Ein kleiner Scherz zu Anfang und dann ist man schnell beim Thema. Bei den Amerikanern ist das wohl am ausgeprägtesten. In anderen Staaten sollten Sie sich peinlichst bemühen, das eigentliche Thema nicht vor mindestens einer Stunde gemeinsamen Mittagessens anzusprechen. Je nachdem, ob Sie zu schnell oder zu langsam zum Punkt kommen, werden Sie als Rüpel oder Schwätzer empfunden.
Was kann man als Deutscher bei der Gesprächsführung von anderen Nationen lernen?
Jeder kann immer von jedem lernen. Viele Klischees über Deutsche treffen heute ja nicht mehr zu. Wenn Sie sich Filme aus den 50ern oder 60ern anschauen, sehen Sie: Wenn der Deutsche nicht verstanden wird, SPRICHT ER EBEN BESONDERS LAUT UND DEUTLICH. Die meisten Deutschen sprechen aber heute Fremdsprachen und gehen im internationalen Kontext sensibel auf andere ein. Das war einer der großen Erfolgsfaktoren und eine positive Überraschung unserer Gäste bei der WM 2006. Grundsätzlich gilt: Eine sehr gute Vorbereitung, Gelassenheit und Einfühlungsvermögen helfen immer. Zwischenzeitlich muss man sich im Gespräch auch mal treiben lassen und darf sich nicht an einem Thema festbeißen.
Was ist das Wichtigste, das Sie im Lauf Ihrer Karriere über gute Gespräche gelernt haben? Außer Vorbereitung?
Zuhören, zuhören, zuhören! Sie können kein vernünftiges Gespräch führen, wenn Sie nicht wissen, wie Ihr Gegenüber tickt. Zuhören ist nebenbei gesagt, glaube ich, nicht immer die Kernkompetenz von Männern. Ich habe oft festgestellt, dass Frauen viel aufmerksamer sind und viel bedachter mit dem umgehen, was sie über andere wissen.
Wie wird man ein guter Zuhörer?
Das ist auch eine Frage der Geduld. Wir alle kennen das Gefühl, wenn man in einer Unterhaltung denkt: Komm’ zur Sache! Genau in diesem Moment muss man sich beherrschen, nicht reingrätschen und stattdessen die kommunikative Extra-Runde mitgehen. Das darf natürlich nicht dazu führen, dass ein Gespräch im Nirvana endet. Da muss man sich immer wieder selbst kontrollieren. Und im Zweifel Menschen, die beim Gespräch dabei waren, danach um Rückmeldung bitten, was man besser hätte machen können.
Sie holen sich Feedback über Ihre Gesprächs-Performance ein?
Nicht laufend und immer, aber gerade, wenn man neu anfängt, hilft es zu verstehen, wie man wahrgenommen wird. Man selbst hat ja dafür nur ein eingeschränktes Gefühl. Ich kenne Menschen, die glauben, sie seien die warmherzigsten des Planeten – werden aber von anderen als sehr kalt erlebt. Es hilft einfach, sich von außen spiegeln zu lassen – auch wenn einem das Ergebnis nicht unbedingt gefallen muss, aber nur dann kann man etwas ändern.
Sie haben auch Vorbereitung als Erfolgsfaktor genannt. Wie bereiten Sie sich auf ein Gespräch vor?
Ich möchte möglichst viel über die Sache wissen, um die es geht. Inhalte, Details, Technik – nicht nur Sprechpunkte. Es hilft auch, möglichst viel über die Gesprächspartner zu wissen, um sie optimal einschätzen zu können. Viele Details helfen, zumindest aber der Lebenslauf. Aber auch da muss man eine Balance finden – nicht, dass man zu viel Verständnis für die Position des anderen entwickelt und von der eigenen zu stark abrückt. Ein vorher klar definiertes Gesprächsziel ist dafür wichtig.
Wir reden gerade ja von Gesprächen, die Sie als Botschafter führen. Wie unterscheiden die sich von denen in Ihrer früheren Rolle als Pressesprecher?
Als Diplomat geht es darum, in Verhandlungen Probleme zu lösen, die es zwischen Staaten gibt, oder um Verständnis oder Unterstützung zu werben. Als Sprecher wendet man sich in der Regel an eine breitere Öffentlichkeit, muss Prozesse und Entscheidungen erklären und vorstellen. So werden Verhandlungen und ihre Ergebnisse erst gesellschaftlich legitimiert. Heutzutage ist aber auch der Diplomat gefordert, die breitere Öffentlichkeit zu suchen, um für sein Land zu werben, die sogenannte Public Diplomacy. Über die sozialen Medien, Vorträge, Besuche, Ausstellungen und vieles mehr.
Kotthaus mit König: Philippe von Belgien übergibt dem Botschafter sein Beglaubigungsschreiben
Der Diplomat verhandelt, der Pressesprecher erklärt?
Auch um zu verhandeln, muss ich zunächst erklären: Warum hat Deutschland diese Position? Und dann zuhören: Warum hat der andere Staat eine andere? In Europa gibt es fast immer eine große Vielfalt an Positionen. Und jeder glaubt zu Anfang, seine nationale Sichtweise sei die einzig richtige. Ich erinnere mich an die EU-Verhandlungen 2007 über ein einheitliches Verfahren für Geldtransfers. Da kamen die Mitgliedsstaaten aus entgegengesetzten Richtungen: Die einen waren schon bei der Handy-Überweisung, in anderen war noch Gütertausch möglich. Am Ende ist etwas rausgekommen, was tatsächlich in ganz Europa funktioniert. Damals war ich Pressesprecher der Deutschen Vertretung in Brüssel und musste zum Glück nicht verhandeln, sondern nur erklären. Aber ich habe verfolgt, wie meine Kollegen das in vielen anstrengenden Sitzungen gelöst haben.
Da sind wir wieder beim Thema Zuhören.
Absolut! Das ist auch als Sprecher wichtig: Sie können nichts erklären, was Sie nicht verstehen. Dabei sind Sie darauf angewiesen, dass die Kollegen aus den Fachbereichen Ihnen jedes Detail erläutern, auch wenn die der Meinung sind, “das ist jetzt aber nichts für die Presse”. Da müssen die Ihnen auch vertrauen.
Sie haben Erfahrung als Kommunikationschef in der Politik und bei Gruner + Jahr. Wo liegen die Hauptunterschiede?
Gerade in der internationalen Politik gibt es langfristige Prozesse, die nicht unmittelbar zu einem Ergebnis führen, sondern einen Rahmen bilden für konkretere Handlungen. Zum Beispiel bei der Frage der Entwicklung der EU. Oder das Thema Abrüstung, was wieder in aller Munde ist. In der Wirtschaft ist man interessiert an möglichst direkten Resultaten, am besten in Form von Zahlen und sofort. Es ist faszinierend zu sehen, wie oft ein gegenseitiges Unverständnis existiert, weil die eine Welt der anderen unlogisch erscheint. Ich habe in beiden Welten davon profitiert, dass ich in der jeweils anderen gelebt habe: Ich habe in der Diplomatie durch die Arbeit bei Gruner + Jahr eine ganz andere Sicht auf Erfolge, Gewinne und die Funktionsweisen der Presse gewonnen. Umgekehrt hat es bei Gruner + Jahr geholfen, dass ich wusste, wie Politik funktioniert.
Laufen Verhandlungen in der Diplomatie anders als in der Wirtschaft?
Das Entscheidende ist, dass Sie sich als Diplomat zwischen den politischen Interessen verschiedener Staaten bewegen. Das ist etwas Anderes, als zwischen zwei Firmen zu verhandeln. Als Botschafter sind Sie der Repräsentant Ihres Landes im Gastland – dessen müssen Sie sich stets bewusst sein, egal was Sie sagen und tun.
Ein ziemlicher Druck.
Da hilft der formelle Aspekt: Im Diplomatischen ist man, anders als im Geschäftsleben, oft an geregelte Gesprächssituationen gebunden. Angefangen bei schriftlicher Korrespondenz, mittels Verbalnoten, die immer freundlich beginnen und enden – dazwischen können Sie auch unfreundliche Dinge sagen. Bis hin zu sogenannten Demarchen, bei denen der Botschafter im Außenministerium zu strittigen Themen vorspricht – oder in selbiges einbestellt wird. Sie haben ja mitbekommen, dass Frankreich seinen Botschafter aus Italien zurückgerufen hat – wenn auch nur für kurze Zeit. Auch das ist ein formaler Kommunikationsvorgang, wenn auch ziemlich weit oben auf der Eskalationsskala. Gerade zwischen Staaten gibt es Themen, die schwierig sind und im falschen Kontext als beleidigend wahrgenommen werden könnten. Das formelle Setting macht klar, dass es nicht um Persönliches geht, sondern um Angelegenheiten zwischen Staaten.
Ob formell oder nicht: Wann ist ein Gespräch für Sie erfolgreich?
Ideal ist, wenn alle Gesprächspartner am Ende das Gefühl haben, etwas gewonnen oder etwas Schlimmeres verhindert zu haben. Oder eine Lösung gefunden haben, bei der alle Federn lassen mussten. Wenn Sie erkennen, dass Ihr Gegenüber sich auf Sie zubewegt und sich mit Ihrem Standpunkt auseinandersetzt, sind Sie auf einem guten Weg. Wenn Sie sich gegenseitig wieder und wieder die gleichen Argumente vortragen, eher nicht.
Was war Ihr größter kommunikativer Misserfolg?
Eine kleine Anekdote: Ich habe einmal im Gespräch mit meinem Kollegen aus Brasilien seine Art des Portugiesischen als schönste Variante dieser Sprache gelobt. Dummerweise stand daneben der Kollege aus Portugal, der gar nicht angetan war. Das war nur ein kleiner Fauxpas, kein gescheitertes Gespräch. Aber ich erinnere mich, dass das Verhältnis mit meinem portugiesischen Kollegen anschließend deutlich verbesserungsfähig war.
Ohje. Wie geht man mit so etwas am besten um?
Ich entschuldige mich möglichst schnell und signalisiere offen: Das war doof von mir und kommt nicht mehr vor. Das ist die einzige Chance, so etwas zu retten.
Thema Sympathie: Wie wichtig ist es, dass die Gesprächspartner einander mögen?
Sympathie kann bei der Lösungssuche helfen, aber nie der bestimmende Faktor sein. Sie müssen Ihre Interessen vertreten und der andere seine. Sympathie trägt aber dazu bei, dass man einander versteht oder die Bereitschaft hat, die Extra-Meile für die optimale Lösung zu gehen.
Was mache ich, wenn mir mein Gegenüber unsympathisch ist?
Das auszublenden, ist nicht immer einfach. Aber manchmal notwendig. Oft hilft ein klärendes Gespräch: Ich hatte schon Situationen, in denen ich merkte, dass mir mein Gegenüber – diplomatisch gesagt – nicht die volle Wahrheit erzählte. Da habe ich die Kollegen aus dem Raum gebeten und Klartext unter vier Augen gesprochen. Wichtig ist, seinen Gesprächspartner nicht lächerlich zu machen, sondern auch in schwierigen Situationen die Form zu wahren. Dieses “Gesicht wahren” ist wirklich wichtig. Man muss im Kopf haben: Man trifft sich immer zweimal.
Zu einem Gespräch gehören auch Stimme, Körpersprache, Blickkontakt. Wie wichtig ist so etwas?
Sehr wichtig. In einer Pressekonferenz habe ich einmal eine Frage nur mit einem Augenbrauen-Hochziehen beantwortet. Man kann mit solchen Signalen für Vertrauen sorgen oder dem anderen wie bei “Asterix und die Goten” signalisieren: “Red‘ du nur.” Im Idealfall beherrscht man sich selbst so, dass man nonverbale Signale bewusst einsetzt.
Kann man das trainieren?
Ja. Aber um es zu perfektionieren, muss man sehr kontrolliert sein. Es hilft, die eigenen Ticks und Macken zu kennen, um zu wissen, wie das ankommen könnte. Aber letztendlich ist man auch da immer Gefangener seines Unterbewusstseins.
Man soll sich also unter Kontrolle haben, sich aber nicht verstellen. Wie sehr darf man die eigene Persönlichkeit denn nun durchkommen lassen?
Man darf sich natürlich nicht von seiner Persönlichkeit vom Gesprächsziel ablenken lassen. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass man besonders glaubwürdig ist und leichter eine gemeinsame Sprache findet, wenn man die eigene Geschichte mit den Leuten teilt.
Gilt das auch für Schwächen?
Ich kenne jemanden, der damit Sympathien gewonnen hat, dass er über sein Englisch gescherzt hat. Und wenn er sich dann tatsächlich mal etwas ungeschickt ausgedrückt hat, war das dadurch schon im Vorhinein kompensiert. Manchmal helfen also sogar Schwächen.
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