turi2 edition #9: Moderatorin Charlotte Maihoff und das Schwarzbrot des Journalismus.
4. November 2019
Sehen, begreifen, erklären: RTL-Aktuell-Moderatorin Charlotte Maihoff guckt im Fernsehen trotz oder gerade wegen ihres Berufs am liebsten Nachrichten. Mit Björn Czieslik spricht sie für die turi2 edition #9 über ihren Job: Sie ist die Jüngste im Moderationsteam, und die erste schwarze Frau, die in Deutschland die Hauptnachrichten macht. Das ist aber “vollkommen Wurscht” – was zählt ist, dass sie mit anderen ins Gespräch kommen und sie verstehen will.
Es sind die sonoren Stimmen der Nachrichtensprecher im Radio, die Charlotte Maihoff als Kind anfixen. Sie dreht extra laut und lauscht gespannt, wenn die ihr die Welt erklären. Kommt Musik, dreht sie wieder leise. “Ich war so ein bisschen nerdy als Kind”, sagt sie heute.
Als der Saarländische Rundfunk für sein neues Jugendprogramm junge Radiomacher sucht, schafft Maihoff das Casting – und ist traurig, dass sie mit ihren 16 Jahren nur Reporterin sein darf. Für die Nachrichten sei sie noch zu jung, heißt es. Also studiert Maihoff nach dem Abi erstmal Informationswissenschaften, französische Linguistik und Wirtschaftsinformatik, wieder ein bisschen nerdig. Dabei lernt sie das Strukturieren von Daten und versteht: “Informationen, die nur auf einem Rechner liegen und von Menschen nicht wahrgenommen werden, die gibt es nicht.”
Neben dem Studium arbeitet Charlotte Maihoff beim HR und beim WDR, danach besucht sie in Hamburg die Henri-Nannen-Schule und darf 2010 beim Deutschlandfunk und bei DRadio Wissen endlich Radionachrichten machen. Über die Regionalnachrichten im SR Fernsehen kommt Maihoff zu ARD aktuell, moderiert die “Tagesschau” und beim Infokanal Tagesschau24. 2017 holt RTL sie als neues Gesicht zu “RTL aktuell”. Nach 18 Jahren beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk erwartet sie einen Kulturschock – doch der bleibt aus: “Bei den Nachrichten sind wir uns alle sehr ähnlich. Es ist das Schwarzbrot des Journalismus.”
Heute präsentiert sie im Wechsel mit Chefmoderator Peter Kloeppel und Maik Meuser die Hauptnachrichten. Am Nachrichtenjournalismus reizt Charlotte Maihoff die Herausforderung, sich schnell in Themen einzuarbeiten: “Sehen, begreifen, erklären können. Das ist eine Challenge und die nehme ich gerne an.” Sie interessiert sich für fast alles, mit Abstrichen bei Sport und Kultur, und fände es langweilig, sich auf ein Thema konzentrieren zu müssen. Zeitweise wollte sie auch mal Lehrerin werden. Eine Aufgabe, die ähnliche Talente erfordert, glaubt Maihoff. Der Vorteil als Journalistin: Ihr Publikum schaut und hört in der Regel freiwillig zu.
Foto: MG RTL D / Stefan Gregorowius
Bei RTL arbeitet Maihoff auch als Redakteurin im Hintergrund und ist als Reporterin unterwegs. “Man kann nicht nur im Studio stehen und von dort aus glauben, dass man die Welt versteht”, sagt sie. Immer wieder berichtet sie auch aus Russland. Ihr deutscher Ehemann arbeitet in Moskau, sie selbst ist jeden zweiten Monat in der russischen Hauptstadt. Bei ihrer ersten Straßenumfrage dort kann sie gerade genug Russisch, um eine Frage zu stellen, versteht aber die Antworten nicht. Heute klappt es schon deutlich besser mit der Verständigung. Miteinander ins Gespräch kommen, andere kennen und verstehen lernen: Das ist Charlotte Maihoff besonders wichtig. Überrascht, aber auch beruhigt stellt sie immer wieder fest, dass Menschen, egal wo sie leben und woher sie kommen, einander oft viel ähnlicher sind, als sie selbst glauben.
Maihoff engagiert sich für die Stiftung Lesen und das Kinderhilfswerk Plan International, um Kindern, vor allem Mädchen, Chancen zu geben und Bildung zu ermöglichen. “Wir müssen Menschen bilden, damit sie die Probleme lösen, die auf uns zukommen. Und die sind nicht klein.” Sie selbst hat die Patenschaft für einen kleinen Jungen in Kolumbien übernommen.
Charlotte Maihoff ist gebürtige Saarländerin. Dass ihr Vater aus Ghana stammt, ist in ihrer Kindheit nie ein großes Thema. Es dauert lange, bis sie zum ersten Mal auf die Idee kommt, dass einige Menschen sie allein deshalb nicht mögen könnten, weil sie anders aussieht als sie. “Ich bin die erste schwarze Frau, die in Deutschland die Hauptnachrichten macht. Ich finde es aber ganz schrecklich, das so zu formulieren. Letztlich ist das vollkommen Wurscht! Es ist ja nicht mein Verdienst, wie ich aussehe.” Wenn jemand sie als Beispiel für gelungene Integration vorführen möchte, ist das ihr nicht nur unangenehm – sondern schlicht falsch: “Ich bin Deutsche und musste mich hier nie integrieren.” Gleichwohl hält sie es für den Zusammenhalt im Land für extrem wichtig, Rassismus zu bekämpfen.
Wenn Charlotte Maihoff eine Auszeit braucht vom Schwarzbrot des Journalismus, von Challenges und Fernsehkameras, geht sie klettern oder in die Natur. Sie mag die Stille – eine “uncoole Eigenschaft”, sagt sie selbst. Und wieder ein klein wenig nerdig. Sie genießt es, einfach nur aufs Meer, einen See oder die Berge zu schauen. Und Ohrstöpsel sind für sie in einer lauten Umgebung wie ein kleiner Urlaub. Damit kann man die Welt leise stellen, wann immer man möchte. So wie früher die Radiomusik.
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