Sternstunden der Werbung: Damir Maric steuert globale Kampagnen für Mercedes-Benz – und den Autokonzern durch eine sich rasant wandelnde Werbe-Welt. Maric setzt auf “authentische Storys” und große Gefühle. Denn “Luxus verkauft man mit Emotionen”, sagt er im Gespräch mit Peter Turi für die turi2 edition #9 – und zeigt Beispiele seiner Arbeit.
Die Szenerie wirkt mysteriös und düster, wie aus einer Netflix-Serie: Bäuerinnen haben sich selbst vor einen Pflug gespannt, ziehen ihn mühsam übers Feld. Auf einer seltsam zischenden Kutsche ohne Pferd nähern sich eine Frau und zwei Jungs, “a witch”, warnt ein Dorf-Mädchen schreiend. Als der Kutsche das Benzin ausgeht, muss die Fahrerin in der Apotheke um das Lösungsmittel Ligroin bitten. Nach einigen Schwierigkeiten kann sie die Benzinkutsche wieder starten und das Dorf tuckernd und mit Triumph im Blick verlassen.
Der Film würdigt eine mutige Pioniertat von Bertha Benz, der Ehefrau des Autoerfinders Carl Benz, aus dem Jahr 1888. Mercedes hat ihr zum Weltfrauentag am 8. März 2019 ein vier Minuten langes, filmisches Denkmal gesetzt, das inzwischen allein auf YouTube 5 Millionen Zuschauer gesehen haben. “Wir hatten das Gefühl, zu wenig Leute kennen diese tolle Geschichte”, sagt Damir Maric, bei Mercedes-Benz global für Kampagnen und Content verantwortlich.
Bertha Benz schnappte sich damals nicht zufällig einen frühen Proto-Typen des Automobils, während ihr Mann Carl noch schlief. Sie wollte die Tauglichkeit des Automobils beweisen. Nach zwölf Stunden und
107 Kilometern kam sie mit den beiden Söhne in ihrer Geburtsstadt Pforzheim an. An die erste Fernfahrt der Automobilgeschichte erinnert in Wiesloch, das im Film ein bisschen aussieht, als läge es in Transsylvanien, heute noch eine Tafel vor der Stadt-Apotheke, der “ersten Tankstelle der Welt”.
Für Demir Maric zeigt der Film auch, wo die Bewegtbildwerbung bei Mercedes hingeht: Neben der “Explosion von Kurzformaten” bieten YouTube und Co “mehr Möglichkeiten für Langformate”. Allerdings müssen die auch beworben werden – wie Filmtrailer für einen Spielfilm. Ein 30-Sekunden-Spot, der auch im klassischen TV laufen kann, soll im schnellen Schnitt eines Trailers für die vier- oder fünfminütige Langversion werben – und natürlich für die Idee des Films. “Zu viele Kunden und Produktionsfirmen vernachlässigen diesen Aktivierungspart”, glaubt Maric. “Da sehe ich noch Potential.”
Damir Maric im TV-Fragebogen:
Für Bewegtbildwerbung von Mercedes gilt, so Maric: “Storytelling ist unsere Stärke – wir wollen das noch ausbauen.” Auch die Tonalität bei Mercedes sei anders: “Wir heißen Mercedes, und Mercedes ist ein weiblicher Name. Wir wollen menschlich rüberkommen und authentisch. Wenn wir Technologie zeigen, feiern wir nicht die Technologie, sondern das, was sie für die Menschen leistet.” Mut und Innovation seien Mercedes-Werte, die Maric auch in der Werbung sieht: “Wir trauen uns was.”
Beim Bertha-Benz-Film vertraute Maric der Handschrift des Regisseurs: Sebastian Strasser hatte bei der Inszenierung und Umsetzung mehr Freiheit als das früher bei Werbefilm-Produktionen üblich war. “Zu viele Vorgaben hemmen die Kreativität”, weiß Maric. Seit gut vier Jahren heißt deshalb die Devise bei Mercedes: “Probieren wir es aus!”
Die Zukunft der Automobilwerbung sieht Damir Maric nüchtern: “Werbung muss auch in zehn Jahren unterhalten, begeistern, inspirieren – und Wünsche wecken.” Was genau morgen kommt, wisse keiner. “Sicher ist nur: Wir müssen uns der Entwicklung schnell anpassen.” Gute Ideen setzen sich durch, glaubt Maric. “Toller Content findet einen Weg, egal auf welchem Kanal.”
Was hat sich verändert? “Das Publikum reagiert sensibler auf Klischees und zugewiesene Rollen.” Gar nicht mehr gehen würde heute der berühmte Ohrfeigen-Spot aus den 80ern, als eine eifersüchtige Ehefrau ihrem verspäteten Mann die Ausrede “Ich hatte eine Panne” nicht abnimmt – er fährt schließlich Mercedes – und ihm eine Ohrfeige verpasst. Heute unmöglich – nicht etwa wegen der Ohrfeige, sondern wegen der klischeehaften Rollenzuteilung: erfolgreicher Mann, zu Hause wartende Ehefrau. Heute herrscht “Klischeeverbot”, sagt Maric.
Ein kreatives Ausrufezeichen setzen Maric und sein Team mit einem fünf Minuten langen Kunstwerk auf YouTube, das eigentlich Werbung für das CLA Coupé sein soll, aber eine Story im Hollywood-Stil erzählt. Ein junger Workaholic begegnet eines Morgens in seiner Küche einem Abbild seines Selbst mit 16. Das hat sich im Mathe-Unterricht in die Zukunft geträumt und macht nun seinem gut doppelt so alten Ich nach einem Tag als unsichtbarer Schatten heftige Vorwürfe: Er habe alle Träume verraten, jede Coolness verloren und lebe nur noch für die Arbeit. Erst als die beiden gemeinsam im CLA Coupé durch die Nacht brausen, kommen sie sich näher. Der Jüngere versteht, dass ein tolles Auto als Belohnung für harte Arbeit Spaß machen kann. Der Ältere wird zumindest in dieser Nacht mit seinem jüngeren Ich wieder lockerer.
Der Spot hat auf YouTube eine knappe Million Klicks und führte zu vielen Kommentare wie: “Wenn das ein Spielfilm wäre, würde ich ihn gern gucken.” Damir Maric hat viel Feedback bekommen, dass Männer aus der Zielgruppe sich verstanden fühlen und nach einer Fortsetzung fragen – “vielleicht später mal”, sagt Maric. Und wie zahlt der Film auf den Verkauf des mindestens 32.000 Euro teuren Autos ein? “Wir erreichen mit dieser authentischen Story neue, jüngere Zielgruppen”, sagt Maric. “Wir interessieren sie für die Marke und positionieren die Marke als souverän, progressiv und überraschend”. Schließlich sei Mercedes nicht nur ein Auto, “sondern auch eine Luxusmarke”. Und die verkaufe nun mal über Emotionen. “Wir sind eine Love Brand und wollen es bleiben – und darin investieren wir.”
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