turi2 edition #8: Heidelberger Druckmaschinen auf dem Weg ins Plattformgeschäft.
30. Juni 2019
Unter Druckern: Heidelberg, weltgrößter Druckmaschinenhersteller, will Druckereien nicht länger nur Maschinen verkaufen, sondern Produktivitätszuwachs – und ein gutes Gefühl. Peter Turi trifft für die turi2 edition #8 drei der treibenden Akteure: Sonja Mechling, Marketing, Stephan Plenz, Vorstand für digitale Technologien, und Ulrich Hermann, Vorstand für digitale Geschäftmodelle und erfährt, wie Druck ein neues Geschäftsmodell formt. (Foto: Gaby Gerster)
Den Artikel über Heidelberg im Wandel und viele andere Erfolgsgeschichten finden Sie auch in unserem kostenlosen E-Paper zur “turi2 edition #8” auf den Seiten 104 – 107.
In Wiesloch ist der Wandel Deutschlands von der Industrie- zur Dienstleitungs-Gesellschaft mit Händen greifbar. Hier in dem nordbadischen Städtchen südlich von Heidelberg kann jeder sehen, fühlen und riechen, was passiert, wenn eine Boombranche des späten 20. Jahrhunderts sich neu erfinden muss, um im digitalen 21. Jahrhundert zu überleben. In Halle 10, wo einst Malocher auf 40.000 Quadratmetern Druckmaschinen montierten, arbeiten heute Forscher, Entwickler, Berater, Software- und Marketing- Experten an der Zukunft. Auf dem Boden sind die alten Markierungen noch sichtbar, die elfeinhalb Meter hohen Räume atmen den analogen Charme einer Montagehalle. In die Außenwände wurden neue Fensterflächen eingefügt, die geben Licht für 13 riesige Glaskuben mit jeweils 80 Mitarbeitern und Labore, Versuchsflächen und Kaffeeküchen.
Sonja Mechling ist als Chief Marketing Officer für die neue Markenstrategie verantwortlich. Sie stammt aus Bratislava und hat internationales Marketing studiert – unter anderem in Hongkong.
Fabrik und Innovation fügen sich, hoffen die Hausherren, zu einer Innovationsfabrik. Vom Hersteller zum Lösungsanbieter, Berater und Versorger will Heidelberg sich wandeln, aus dem Technologie- ins Plattform-Geschäft wechseln. Denn es reicht in einem stagnierenden Markt nicht, immer bessere Produkte herzustellen. Heidelberg muss einen erkennbaren Beitrag zum Produktivitätsfortschritt der Branche leisten. Mehr Umsatz bei sinkenden Kosten schaffen Druckereien nicht mit immer schnelleren Maschinen, sondern mit geschmeidigeren, digitalen Prozessen vor und nach dem eigentlichen Drucken.
Ein Vordenker des Wandels ist Dr. Ulrich Hermann. Der frühere Verlagsmanager lehrt als Honorarprofessor “digitale Transformation” an der Allensbach-Hochschule in Konstanz – in Wiesloch exerziert er sie durch. Er will Heidelberg zu einem “digitalen Ökosystem für die industrielle Wertschöpfung” machen.
“Digitalisierung ist eine unternehmersiche Aufgabe – es geht nicht um Tools, sondern um Wertschöpfung.” Also um die Frage: “Wofür zahlen die Kunden eigentlich?” Hermann ist überzeugt: “Am Ende nicht für bessere Maschinen, sondern für Produktivitätssteigerung – und die kommt künftig stärker aus Prozessinnovationen als aus Produktneuerungen.” Heidelberg müsse seinen Beitrag dazu liefern, die Print-Media-Industrie in die digitale Zukunft zu führen.
Dr. Ulrich Hermann ist als Chief Digital Officer im Heidelberg-Vorstand zuständig für den Ausbau digitaler Geschäftsmodelle.
Die Daten, die Heidelberg von den voll vernetzten Maschinen geliefert bekommt, erlauben eine ganzheitliche Sicht auf die Prozesse – Big Data für mehr Produktivität im Geschäftsprozess. Hermann ist sicher: “Wir haben keine andere Wahl. Die Druckereien industrialisieren aus eigenem Antrieb. Wenn wir es nicht machen, macht es jemand anders.” Kernpunkt der neuen Philosophie ist das sogenannte “Subskriptionsmodell”. Der Kunde – also die Druckerei – soll keine Druckmaschinen mehr kaufen, die sie dann auf eigene Verantwortung mehr oder weniger wirtschaftlich betreibt. Er soll Druckkapazität abonnieren. Heidelberg garantiert der Druckerei einen festen Preis pro bedrucktem Papierbogen und nimmt dem Drucker damit einen Teil seines Geschäftsrisikos. Aufgrund der Daten, die bis zu 3.000 Sensoren an einer Druckmaschine liefern, hilft Heidelberg, Prozesse und auch die Wartung zu optimieren. Den Nachschub an Papier, Lacken und Farben übernimmt Heidelberg – und hofft dabei auf steigende Umsätze mit Verbrauchsmaterialien.
Den Plan und die Wirklichkeit zusammenbringen soll Stephan Plenz, Vorstand Digital Technology. Plenz ist der Hausherr im Innovationszentrum, das 2018 in einer umgebauten Werkhalle eröffnet wurde – er war schon dabei, als die Werkhalle in der Boomzeit der 90er Jahre gebaut wurde. Plenz ist kein Nostalgiker: “Ich halte nichts von der Einstellung: Früher war alles besser. Laut Karl Valentin war früher ja sogar die Zukunft besser.” Aber er plädiert dafür, altes und neues Wissen zusammenzubringen.
Stephan Plenz verantwortet als Vorstand Digital Technology seit 2010 die Produktion und Forschung bei Heidelberg.
Schließlich liefert Heidelberg seit 15 Jahren Druckmaschinen aus, die digital angebunden und aus der Ferne servicefähig sind. Das Internet of Things und Big Data sind für Plenz und seine Truppen längst Realität. Früher ging es nur um höheren Ausstoß und kürzere Rüstzeiten, heute sorgt vor allem das Zusammenspiel aller Komponenten für die größere Produktivität des Gesamtsystems. Und nur der ist ein “realer und vermarktungsfähiger Mehrwert”. Plenz kennt aber auch die Ängste der Produktionsarbeiter, im digitalen Umbruch nicht mithalten zu können. Service- und Vertriebs-Mitarbeiter stehen als Berater vor neuen Herausforderungen. Und das Profil der Neueinstellungen ändert sich: Es werden mehr Software-Experten eingestellt und Elektroniker, weniger Mechaniker.
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Den Umzug aller Entwickler in die Montagehalle in Wiesloch sieht Plenz positiv. “Die Wege sind viel kürzer geworden. Entwicklung gehört mitten rein in die Produktionsumgebung.” Jahrzehntelang waren das Entwicklungszentrum in Heidelberg und die Produktion in Wiesloch 15 Kilometer voneinander entfernt. Durch die Nähe, die Glaskuben, alles auf einer Ebene, arbeiten alle transparenter und agiler. Plenz sieht eine “Kulturlandschaft für Innovation”. Sein Motto: “Nicht zu viel planen, lieber mit Begeisterung vorangehen.” Erste Startups sind als Untermieter eingezogen, Heidelberg erschließt neue Geschäftsfelder wie die Produktion von Ladegeräten für Elektrofahrzeuge. “Wir suchen neue Betätigungsfelder – auf der Basis unserer Kompetenzen.” Das 2,5 Millarden Euro schwere Stammgeschäft will in Wiesloch niemand aufgeben.
Eine wichtige Rolle im Umbau spielt auch Sonja Mechling. Sie kam im Oktober 2018 von Bosch, um das Marketing von Heidelberg digitaler aufzustellen und die Kundenbeziehungen auf eine neue Basis zu stellen. Sie ist nicht nur Chief Marketing Officer, sondern führt auch die Geschäfte der 50 Köpfe starken Tochter Digital Unit, die sich um digitales Marketing kümmert – und wie ein kleines Startup innerhalb des Unternehmens arbeitet. Sie suchen die richtigen Kanäle, um den Kunden – die Verantwortlichen von kleinen, mittleren und großen Druckereien – mit der Botschaft zu erreichen: “Wir helfen dir, deine Produktivität zu steigern.” Und vor allem: Um ihnen wie ein E-Commerce-Unternehmen digital Verbrauchsmaterialien und Service zu verkaufen. Dazu nutzt Mechling Big Data, glaubt aber auch: “Daten sind wie Rohöl, sie sind erst richtig wertvoll, wenn man sie sinnvoll verarbeitet und nutzt.”
Mechling, die als Kind Journalistin werden wollte, sucht neue Mitarbeiter, bald sollen es in der Digital Unit 80 sein. Gesucht werden Marketer mit IT-Erfahrung, für neue Anfoderungen wie Omnichannel, E-Commerce, Marketing-Automation. Zur Transformation gehören eine neue Fehlerkultur und die Entscheidungs-Autonomie kleiner Teams. Dass nicht jede Idee perfekt sein muss, bis sie umgesetzt wird. Was Sonja Mechling antreibt? “Die Patina aus der Branche zu vertreiben und Heidelberg zum Strahlen zu bringen.” Die Firma will gleichermaßen “innovativ, digital und zuverlässig” rüberkommen und sich “von einer reinen Maschinen-Marke zur Eco-System-Marke entwickeln”.
Diversity ist Mechling wichtig, ohne Verschiedenheit keine Veränderung. Frauen im Vorstand finden sich zwar auch bei der Heidelberger Druckmaschinen AG noch nicht. Aber immerhin: Die Zeiten, da eine Frau im Maschinenbau als Störung des Betriebsfriedens galt, sind vorbei.
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