Berufe mit Zukunft: P wie Produktmanager – Stefan Ottlitz.
27. Juni 2019
Zwischen Stratege und Mädchen für alles:Stefan Ottlitz sitzt beim “Spiegel” als Produktchef genau zwischen Verlag und Redaktion. Für die turi2 edition #8 besucht Markus Trantow den früheren Kapuzenpulli- und heutigen Sakko-Träger und spricht mit ihm über erfolgreiche Produktentwicklung, die disruptive Zukunft und seinen neuen Chef-Modus.
Das Porträt über Produktmanager Stefan Ottlitz finden Sie auch in unserem kostenlosen Blätter-PDF zur “turi2 edition #8” auf Seite 176.
Kapuzenpulli trägt Stefan Ottlitz bei der Arbeit nicht mehr. Der bald 43-Jährige sitzt in schwarzem T-Shirt und Sakko an seinem barhohen, länglichen Schreibtisch und hackt in eine Tastatur, die er an sein iPad geklippt hat. Draußen, vor dem Fenster, senkt sich Dunkelheit über Hamburg. Schnell noch eine Mail schreiben, dann hat er Zeit für den letzten Termin des Tages. Davor hat er eine Schwangerschaftsvertretung organisiert, zwei schwierige Personalgespräche geführt – und einen kleinen Durchbruch bei einem Projekt erlebt. “Ein erfolgreicher Tag ist, wenn sich was Strukturelles bewegt hat oder man systematisch einer Problemlösung näher gekommen ist”, sagt Ottlitz.
Seit 2017 wirkt Ottlitz beim “Spiegel” in Hamburg als “Produktchef” – oder, wie er selbst es beschreibt: “Irgendwas zwischen Stratege und Mädchen für alles.” Es ist seine zweite Reise auf dem Nachrichten-Tanker. Seine Karriere pendelt zwischen Journalismus und Verlagsjobs: Bei der “Süddeutschen Zeitung” ist er Chefredakteur Online, zuvor arbeitet er unter anderem als Geschäftsführender Redakteur bei Spiegel Online und schreibt für die “Financial Times Deutschland”. Als Produktchef sitzt er nun genau zwischen Verlag und Redaktion – “eine logische Weiterentwicklung”.
Ohne Digitalisierung wäre Ottlitz‘ Rolle beim Nachrichtenmagazin nicht vorstellbar. Denn im Prinzip sind die analogen “Gefäße” für geschriebenen Journalismus seit Gutenberg entwickelt. In der digitalen Welt braucht es neue Darreichungsformen – die Herausforderung: Hervorragender Inhalt und eine ansprechende äußere Form müssen zusammenkommen. “Das Gefäß muss Lust auf den Inhalt machen”, sagt Ottlitz, “aber ohne einen tollen Inhalt nützt das beste Gefäß nichts.”
In seinem ersten Jahr an der Ericusspitze vereinfacht er vieles: Das Bezahl-Angebot des “Spiegel” – online wie gedruckt – befreit er von allen Knebel- und Laufzeit- Abos, statt Einzelverkauf von Texten gibt’s eine monatlich kündbare Flatrate. Für ein Abo reichen jetzt wenige Klicks. Klar hat Ottlitz das bei Netflix und Spotify abgeguckt. Sein ganzer Job ist von den Tech-Konzernen aus dem Silicon Valley inspiriert. Die Zusammenarbeit zwischen Programmieren, Business-Verantwortlichen, Kreativen, Designern und Marktforschern ist ein wichtiges Kapitel in den Erfolgsgeschichten von Google, Amazon und Facebook.
“Beim ‘Spiegel’ lassen sich im Moment viele Dinge sehr schnell bewegen”, schwärmt Ottlitz. Wirklich? Ausgerechnet beim “Spiegel”, wo sich seit mehr als zwei Jahrzehnten Online- und Print-Redaktion durch interne Machtkämpfe gegenseitig blockieren? “Der ‘Spiegel’ hat sicher unterschiedliche Phasen gehabt”, gibt er zu, bleibt aber zuversichtlich: “Wir müssen digital werden, ohne den noch immer stärksten Umsatzbringer Print und seine Tradition zu verleugnen.” Klingt nach einer Sisyphos-Aufgabe in Zeiten von immer schnellerem Medienwandel. “In meiner Lebenszeit wird die Disruption nicht enden”, sagt Ottlitz, “aber wir werden aufhören, die Veränderungen als bedrohlich zu empfinden.”
Ob eine Produktentwicklung Erfolg hat, liegt für Stefan Ottlitz an der Unternehmenskultur. Firmen und Teams, die nach dem Prinzip Trial and Error funktionieren, haben es leichter. “Blame Blame Companies”, wo der Chef schon vor jeder Entscheidung überlegt, wem er bei einem möglichen Versagen die Schuld geben kann, schwerer. Diese Einsicht hat auch Ottlitz verändert: “Früher war ich ein autoritärerer Chef. Das funktioniert in Entwicklungssituationen aber nicht mehr.”
Journalisten seien eher bereit, eine Entscheidung vom Chef zu akzeptieren, Programmierer wollen dagegen verstehen, was sie tun – und warum. “Ich bin mit meiner Entwicklung noch nicht fertig“, sagt der frühere Kapuzenpulli-Träger und tauscht für den Nachhauseweg Sakko gegen Daunenjacke. Die Transformation verbindet Ottlitz mit seinem Arbeitgeber. Beim “Spiegel” und in der digitalen Welt ist sie in vollem Gange. Dass sie ein Erfolg wird, ist längst nicht sicher. Mit den Ideen des Produktchefs aber ein bisschen wahrscheinlicher.
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