turi2 edition #9: Wie TV-Chef Michael Schuld für die Telekom wirbt.


Der Media-Mix macht’s: “TV ist in Deutschland nach wie vor geeignet, schnell Reichweite aufzubauen”, sagt Michael Schuld, frisch gekürter TV-Chef der Telekom, im Gespräch mit Peter Turi für die turi2 edition #9. Allein aufs klassische Fernsehen verlassen will Schuld sich aber auch nicht und investiert in nischige, aber innovative PR-Maßnahmen.

Michael Schuld sieht nicht gerade aus wie ein Heavy-Metal-Jünger: Piercings und Tattoos zieren weder Schulds Gesicht unter der hohen Denkerstirn, noch seinen Körper – und doch ist Schuld ein großer Fan des Musikfestivals Wacken Open Air. Anfang August kletterte der TV- und Entertainment-Chef der Telekom Deutschland sogar zwischen den Branchengrößen Marilyn Manson, Megadeth und Alice Cooper auf der Festivalbühne herum. Ein bisschen zumindest. Also digital. Quasi virtuell.

Damit wird Schuld nicht der einzige gewesen sein: Eine Kooperation zwischen dem Festival in Wacken und der Deutschen Telekom ermöglicht 360-Grad-Videos von der Bühne. In die kann der Nutzer von Magenta Musik 360 hineinklicken und sich so als Teil der Bühnenshow fühlen – inklusive Rundblick von der Bühne ins Publi- kum oder auf die Bandkollegen. Virtuell on stage, jeder ein Rockstar sozusagen.

Möglich macht das eine aufwändige Technik. Für die 360-Grad-Aufnahmen braucht es mehrere Kugelkameras auf der Bühne, die das Geschehen in alle Richtungen filmen, jede Menge Rechenpower, die aus der Datenflut einen 3D-Raum macht, in dem der Nutzer navigieren kann. Und ein Glasfasernetz für die Übertragung, die sowohl live als auch im Abruf funktionieren muss.

Da es für diese Technik weltweit noch keinen Ü-Wagen gab, haben sich die Telekomer in einem Container den 360-Grad-Ü-Wagen selbst gebastelt. Der steht zusammen mit den charakteristischen Kugelkameras auch beim Lollapalooza-Festival in Berlin oder, wenn Sir Simon Rattle beim Rheingau Musik-Festival das London Symphony Orchestra dirigiert, vor dem Kurhaus in Wiesbaden. Damit auch der gesetztere Klassik-Liebhaber digital-virtuell die erste Geige spielen kann.

Michael Schuld im TV-Fragebogen

Musikfan Michael Schuld hat gute Gründe, warum die Telekom als Sponsor und TV-Partner für 140 Konzerte, Festivals, Klassik-Events und Telekom-Streetkicks pro Jahr auftritt und seit 2016 einige Konzerte aus Rock, Pop und Klassik fürs 360-Grad-Fernsehen produziert: “Das zahlt auf Innovation ein, einen unserer Markenwerte.” Schuld sieht die Übertragungen als “perfekte Beweisführung für das beste Netz”, indem “wir Menschen virtuell an tollen Ereignisse teilhaben lassen, auch wenn die es nicht schaffen, vor Ort zu sein”. Außerdem gewinne die Telekom so Erfahrung mit der Produktion und im Umgang mit dem neuen Medium 360-Grad-Fernsehen.

Die Musikfestivals zeigt Schuld auch in Werbespots für die Telekom. Er ist sicher: “Relevanter Content und gutes Storytelling sind auch in der Werbung der Schlüssel zum Erfolg. Content ist King.” Das habe mit der veränderten Rolle des Fernsehens zu tun: “Bewegtbild für die Telekom war in der Vergangenheit Werbung, Kommerz.” Klassische Werbung spielt bei der Telekom trotzdem weiter eine Rolle: Wenn schnell Werbedruck für neue Tarife und Angebote aufgebaut werden soll, schaltet die Telekom klassische Spots auf den großen TV-Sendern. Denn die sind für Schuld in Deutschland weiter geeignet für einen schnellen Reichweitenaufbau. “Von mir werden Sie nicht hören, dass TV tot ist. Es kommt auf den Mix an.”

Klassisches Fernsehen gerät zwar zunehmend unter Druck, findet Schuld, und neue Formate spielen im Mediamix eine immer wichtigere Rolle. Aber durch technische Trends wie Adressable TV, also Werbespots, die an Nutzerdaten ausgerichtet sind, könne auch das klassische Fernsehen wieder relevanter werden.

Auch dort darf Werbung gern innovativ und unkonventionell rüberkommen. Für den Start der Telekom-Plattform Magenta-TV hat Schuld, 2018 noch fürs Marketing zuständig, mit Christian Ulmen und Fahri Yardim eine Werbeform entwickelt, die es geschafft hat, “lustige Geschichten zu erzählen und nah am Produkt zu sein”. Ulmen und Yardim liegen im Bett und unterhalten sich über die Vorteile von Magenta-TV – im Improvisations-Modus, im Stil ihrer Serie “Jerks”. Schuld betont: “Wir arbeiten ohne Script. Wir briefen die beiden – und dann passiert, was passiert.”

Das Gute an dieser spielerischen Werbeform: “Wir können diesen Content wunderbar verlängern”, sagt Schuld. Die Telekom schaltete beim Start von Magenta-TV klassische Werbespots, Online-Spots und einen Chat-Bot über WhatsApp. “Dort konnten wir etwas frecher sein, mit Formaten spielen, Geschichten erzählen.” Wo die gesamte TV-Welt bunter und vielfältiger wird, “muss auch die Werbung bunter und experimenteller werden”, glaubt Schuld.

Was ist die Telekom eigentlich in der neuen, bunten Bewegtbildwelt? “Wir sind auch ein Medium”, sagt Michael Schuld mit Verweis auf den Musik-Content in 360-Grad-Optik. “Aber wir sind kein Konkurrent für Sky, Netflix, Prime Video und Co.” Schuld will mit der Plattform Magenta-TV Partner sein für die neuen Streamingdienste und die alten Fernsehkanäle mitsamt ihren Mediatheken. Exklusive Serien, Magenta Musik 360 und Magenta Sport kommen obendrauf. “Relevanter Inhalt differenziert nachhaltig vom Wettbewerb. Das hilft in der Vermarktung und in der Kundenbindung”, sagt Schuld.

Vor allem aber will Magenta-TV Startpunkt sein für das Gesamt-Erlebnis Fernsehen: “Magenta-TV vereint lineares und nicht lineares Fernsehen mit Komfort und einfacher Bedienung.” Durch die Einbindung der Mediatheken von ARD und ZDF bietet Magenta-TV einen bequemen Zugang zu deren Dokus oder Highlights wie dem “Tatort”. Ironiker könnten den Telekom-Werbespruch ändern in “Erleben, was verschwindet” – nämlich die Bindung ans lineare Fernsehen.

Für Menschen, die nicht mit dem Internet groß geworden sind, ist Magenta-TV jedenfalls ein guter Einstieg in die neue Bewegtbild-Welt. Schuld im schönsten Marketing- Deutsch: “Magenta-TV ist ein Wachstumstreiber für das Festnetz, es gibt ihm einen Purpose: bestes Netz, beste Unterhaltung, bester Service.” Er glaubt: “Das ist relevanter als reine Geschwindigkeitsangaben.” Gemeint ist der Erzrivale Vodafone – der wirbt nach dem Kauf von Unity Media samt schnellem Kabelnetz mit dem Spruch “Surf jetzt mit bis zu 1 Gigabit”.

Wo liegt die Zukunft des bewegten Bildes? Michael Schuld ist sicher: “Bewegtbild wird immer wichtiger und mobil immer einfacher zu konsumieren. Mit 5G haben wir neue Möglichkeiten.” An Bedeutung gewinnen
vor allem Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) – also digitale Bilder, die die Realität ergänzen oder ersetzen.

“Wir üben und tasten uns ran”, sagt Schuld. Er glaubt, dass der Umbruch “fundamental” wird in mehreren Dimensionen – sogar “die Dematerialisierung von Dingen” stehe an: “Wofür brauche ich einen großen Bildschirm, wenn ich das Bild virtuell auf meiner Brille in jeder Größe sehen kann?” Wie beim Handy in den letzten zehn Jahren würden “die Möglichkeiten explodieren”. Allerdings könne niemand die Zukunft wirklich vorhersagen. “Wichtig ist, dass wir dranbleiben und experimentieren.” Die Magenta VR App experimentiert damit seit 2017. “Im Moment ist das ein bisschen wie ‚Jugend forscht‘ – aber wer heute nicht anfängt zu fragen, der wird die Zukunft auch morgen nicht verstehen.”

Das Stichwort lautet “Immersive Media”. Gemeint ist das Eintauchen in eine neue, digitale Welt. Eine – wenn auch illusorische – Interaktion mit der virtuellen Umgebung. “Auf der Ifa haben wir 5G mit Augmented Reality ja schon gezeigt. Da sind die Stars wie The BossHoss plötzlich in Ihrem Wohnzimmer und spielen ein ganz persönliches Konzert. Sie können mit Ihnen zusammen tanzen und singen – und das dann als Video an Freunde schicken.” Die Hoffnung der Werbungtreibenden: Immersive Media könnte die Botschaft durch Einbeziehung des Konsumenten deutlich emotionalisieren. Ob das wirklich so kommt? “Am Ende kommt es darauf an, was die Kreativen und die Kunden daraus machen”, glaubt Schuld. “Nur eines ist sicher: Die TV-Zukunft wird Spaß machen und spannend sein.”

Lesen Sie alle TV-Geschichten der turi2 edition #9 – direkt hier im Browser als E-Paper.