Digitale Detektive: Dank des Internets bekommen wir Dinge zu sehen, die wir nie für möglich gehalten hätten. Menschen wie Andreas Greuel prüfen, was davon wahr ist – und was nicht. Bei RTL leitet er das Team Verifizierung, eine Art Task Force, die Bilder und Videos aus dem Netz unter die Lupe nimmt. Für die turi2 edition #9 spricht Anne-Nikolin Hagemann mit ihm über die Motive hinter den Fälschungen und das nie endende Rennen zwischen Fälschern und Verifizierern.
Das Porträt über die Video-Verifizierer finden Sie auch in unserem kostenlosen E-Paper zur turi2 edition #9 auf Seite 156.
Ein Flugzeug landet auf dem Hudson River in New York City, alle Passagiere überleben. Ein Wunder, unglaublich – hätte die Welt nicht nach wenigen Minuten Bilder davon gesehen. Das ist zehn Jahre her. Und das erste Beispiel, das Andreas Greuel einfällt, wenn er erklärt, warum es Jobs wie seinen gibt.
“Journalisten können nicht überall auf der Welt sein, dafür hat so gut wie jeder ein Smartphone mit Kamera in der Tasche.” Der User Generated Content ist heute schier unendlich – von Breaking News wie beim Wunder vom Hudson bis zu Katzenvideos. Aber: Niemand weiß sofort, was echt ist und was manipuliert.
Andreas Greuel leitet bei RTL das Team Verifizierung, eine Art Task Force, die Bilder und Videos aus dem Netz auf Echtheit prüft, bevor sie auf Sendung gehen. Der Anlass für die Gründung war ein tragischer: Im Sommer 2016 schießt ein Amokläufer in einem Einkaufszentrum in München um sich. Zwei Drittel der Bilder, die davon im Netz kursieren, haben nichts mit dem Amoklauf zu tun. “Um diese Erkenntnis zu gewinnen, mussten wir alle Möglichkeiten digitaler Recherche nutzen”, erinnert sich Greuel. “Dabei haben wir gemerkt: Einige Leute
bei uns sind da extrem fit – gleichzeitig gab es aber an einigen Stellen Nachholbedarf.”
Der Plan: Die Expertise ausbauen, sie aber auch in die Redaktionen bringen. In den vergangenen drei Jahren haben Greuel und Kollegen 200 Mitarbeiter geschult. Gleichzeitig steht rund um die Uhr ein Team von 75 Fact-Checkern bereit, wenn in den Redaktionen die Kapazität zum Prüfen von Videos fehlt. Darunter sind RTL-Kollegen aus Luxemburg, Frankreich und den Niederlanden sowie Redakteure des “stern”. Die digitalen Detektive sammeln zuerst on- und offline Infos, zum gezeigten Ereignis und der Bildquelle: “Plötzlich haben Sie ein Video, das einen Flugzeugabsturz in Europa zeigen soll, obwohl der angebliche Urheber laut seines Online-Profils Afrika seit Monaten nicht verlassen hat.” Dann wird geprüft, ob Wetter und Licht zum Ereigniszeitpunkt passen und der Hintergrund zum Ort. Wird ein Video als gefälscht entlarvt, entscheiden die Redaktionen, ob sie es gar nicht zeigen – oder die Fälschung thematisieren.
Eigentlich machen Video-Verifizierer nichts anderes als andere Journalisten, sagt Greuel: Informationen prüfen und einordnen. “Da kann man streiten, ob das nicht schon viel früher hätte passieren müssen.” Inzwischen arbeiten in vielen Redaktionen Spezialisten für den Bewegtbild-Check. Dabei unterstützen sich die Kollegen über Redaktionsgrenzen hinweg. “Es geht bei unseren Aufgaben in der Regel nicht um Scoops, sondern um aktuelle Recherchen, die uns alle gleichermaßen betreffen”, sagt Andreas Greuel. Das gemeinsame Ziel: Fehlinformationen unterbinden. “Wenn andere Medienmarken Fehler machen, haben wir nichts davon, es schadet im Zweifel dem ganzen Berufsstand.”
Es ist auch Greuels Job, nach den Motiven hinter den Fälschungen zu fragen: “Mit Fehlinformationen lässt sich Politik machen, Propaganda betreiben, Geld verdienen. Es gibt auch erschreckend viele Menschen, die einfach nur Aufmerksamkeit wollen.” Daran hat sich in den letzten Jahrzehnten kaum etwas geändert, glaubt er. Auf digitalen Wegen verbreiten sich die Fakes nur schneller.
Heute kann man mit schlauer Software Staatsoberhäuptern und Konzernchefs Worte in den Mund legen, die sie nie gesagt haben. Gleichzeitig entstehen neue technische Möglichkeiten, die Fälscher zu entlarven. Jäger und Gejagte liefern sich ein nie endendes Rennen. Das Wichtigste bleibt für Greuel: das Handwerk. “Tools oder Programme können von heute auf morgen unwirksam werden. Dann bedarf es journalistischer Denke, neue Wege und Lösungen zu finden. Und eine Verifizierung vom Schreibtisch aus ersetzt die Vor-Ort- Recherche auch nicht.”
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