turi2 edition #8: Coca-Cola – Flucht aus dem Zucker.
23. Juni 2019
Brausebrauer im Umbruch: Coca-Cola ist eine Marken-Ikone – und muss dringend weg vom Dickmacher-Image. Für die turi2 edition #8 besucht Peter Turi den deutschen Standort in Berlin: Patrick Kammerer, Director Public Affairs und Communications, erzählt von der neuen Wachstumsstrategie, die auf Wasser und Tee baut. Marketing-Direktor Michael Willeke erklärt, warum die Marke auf Bewegtbild und Regionalität setzt. (Foto: Holger Talinski)
Den Artikel über Coca-Cola finden Sie auch in unserem kostenlosen E-Paper zur “turi2 edition #8” auf den Seiten 99 – 103.
Blindverkostung bei Coca-Cola Deutschland in der Stralauer Allee im Osten Berlins. Patrick Kammerer, Director Public Affairs und Communications, stellt mir zwei Gläser mit brauner Brause hin. Eines mit normaler Coke, das andere mit Coke Zero. Ich soll den Unterschied herausschmecken. Kammerer wettet, dass ich es nicht schaffe.
Ich nippe an beiden Gläsern, sie schmecken fast identisch. Aber: Einem fehlt das Prickeln, das für ein ein oder zwei Sekunden auf der Zunge bleibt, wenn die Cola die Kehle runterläuft. Stattdessen ein Gefühl, als hätte ich den letzten Schluck aus der Flasche von gestern erwischt. Ich gebe meinen Tipp ab – Treffer. PR-Mann Kammerer, einer der klügsten Eierköpfe der Branche, lächelt wissend. Can’t beat the feeling of sugar.
Alkohol, Zucker und Fett sind Geschmacksträger – wer sie weglässt, nimmt den Produkten etwas von ihrem Kick. Hedonisten wie ich wollen den vollen Geschmack, Coca-Cola sucht trotzdem den Ausweg aus dem Zucker. Und bewirbt die zuckerlosen Produkte fast doppelt so stark wie die Klassiker. Wem Coke Zero nicht schmeckt, der bekommt sogar sein Geld zurück.
So seltsam es klingt: Die neue Wachstumsstrategie von Coca-Cola Deutschland setzt auf Wasser und Tee. Zu den Traditions-Marken wie Powerade, Fanta, Sprite, Apollinaris und Vio kommen immer neue: In der Präsentationsbox, die PR-Mann Kammerer stolz zeigt, finden sich die neuesten Marken des Hauses – allesamt Light, Wasser oder Tee. Da liegt der Honest Bio Tee, biozertifiziert im Mehrwegglas für Gesundheitsapostel, daneben der Veganer-Trunk AdeZ, ein pflanzenbasierter Fruchtmix der Geschmacksrichtung Mandel, und Fuzetea Kamille.
Patrick Kammerer im turi2.tv-Videofragebogen
Eine weitere Neuerung ist das Mineralwasser Smartwater, mit dem es Ärger gab: Kammerers Lieblingsgegner Foodwatch verlieh dem Wässerchen den Antipreis “Goldener Windbeutel” – zu teuer und nutzlos fanden es die Kritiker. Verkaufsschlager unter den Neuheiten ist die Vio Bio Limo light – sie hat nur so wenig Zucker (4 Gramm auf 100 Milliliter), dass sie lebensmittelrechtlich nicht Limonade heißen darf, sagt Kammerer. Zielgruppe für die “leichte Limonade” sind Eltern, die ihre Kinder vor Koffein und Zucker schützen wollen, denen reines Wasser aber zu langweilig ist.
“Wir haben verstanden, dass die Welt sich ändert und ändern uns ebenfalls”, sagt Kammerer. Sein oberster Chef, James Quincey, CEO von Coca-Cola, klingt ähnlich: “Manche Unternehmen machen den Fehler und versuchen mit aller Kraft, das zu verkaufen, was sie herstellen. Es geht aber darum, das herzustellen, was die Verbraucher kaufen wollen.” In einem Interview mit der “Welt am Sonntag” prophezeit Quincey: “Das Unternehmen wird in Zukunft viel mehr sein als die Marke, die es historisch geprägt hat.” Und fügt düster hinzu: “Das ist zweifellos eine schwierige Reise.”
Und ein ganz neues Reisegefühl für Coca-Cola: Jahrzehntelang ging es weltweit bergauf mit den Umsätzen. In den USA hatte die Erfrischung in der bauchigen Glasflasche Erfolg mit der Vertriebs-Maxime, stets nur eine Armlänge vom durstigen Verbraucher entfernt zu sein. Im Zweiten Weltkrieg gehörte Coca-Cola zur Grundausstattung der US Army. In der Nachkriegszeit wurde Coca-Cola auch in Deutschland zum Symbol für Freiheit und Wohlstand. Die DDR sah sich genötigt, mit Vita Cola und Club Cola gegenzuhalten.
Gegen den weltweiten Trend weg vom Zucker wollen Quincey und Kammerer sich nicht stemmen – im Gegenteil: Aktuell kommen nur noch 50 Prozent der weltweiten Umsätze von der Marke Coca-Cola, in Japan sind es sogar nur noch 20 Prozent. Dort ist trinkfertiger Tee der Renner, heiß oder kalt. Acht Prozent Zuwachs hatten Getränke ohne Zucker bei Coca-Cola weltweit zuletzt. Die Firma hat sogar eine Selbstverpflichtung abgeschlossen: In Europa will Coca-Cola bis 2020 rund zehn Prozent weniger Zucker abfüllen – das ohnehin zuckerlose, boomende Mineralwasser gar nicht mitgerechnet.
Coca-Cola folgt den globalen Ernährungstrends. Weltweit am stärksten wächst der Konsum von Wasser, gefolgt von Tee. Es gibt rein statistisch betrachtet acht Trinkmomente am Tag, doziert PR-Mann Patrick Kammerer. Die Menschen lieben die Abwechslung, trinken zum Beispiel Wasser oder Tee am Morgen, Limonade zum Mittagessen, nach dem Sport ein isotonisches Getränk oder einen Smoothie. Für jeden einzelnen Moment will Coca-Cola das passende Getränk bereithalten. Auch beim Kaffee vor und nach der Arbeit will Coca-Cola mitverdienen – und kaufte 2018 für über vier Milliarden Euro die weltweit zweitgrößte Kaffeehauskette Costa mit über 4.000 Filialen. Seit Mai gibt es auch den Red-Bull-Konkurrenten Coca-Cola Energy, mit viermal soviel Koffein wie die normale Cola – in den Varianten mit und ohne Zucker. Nur vom Alkohol lässt der Konzern weiter die Finger.
Vor 15 Jahren waren im Coca-Cola-Reich nur zehn Prozent aller verkauften Getränke ohne Kohlensäure, heute sind es über 30 Prozent. Vier von fünf Produkt-Innovationen kommen ohne Zucker aus. “Mehr Vielfalt, weniger Zucker”, lautet das Motto. Das Coca-Cola-Reich wird immer bunter: Über 500 Marken vertreibt der Konzern inzwischen weltweit – mit 3.900 Produktvarianten. Weltweit heißt wirklich weltweit: Coca-Cola ist in 200 Ländern der Erde zu haben. Nur in Nordkorea und Kuba nicht. Noch nicht.
Coca-Cola Deutschland residiert in Berlin in der Stralauer Allee 4 nahe der Oberbaumbrücke mit Blick auf die Spree. Hier sieht‘s bunt und chaotisch aus wie bei einem Startup
Ein Opfer der Digitalisierung ist Coca-Cola nicht – die süße Brause wird weiterhin physisch gebraut und getrunken, ein digitales Abbild löscht keinen analogen Durst. Echte Disruption ist nicht möglich. Digitalisiert wird der Vertrieb: Die App Get Happy hilft Kiosken, Restaurants und Bäckereien, Kunden mit Sonderaktionen zu binden. Zusammen mit Krombacher und Bitburger betreibt Coca-Cola die digitale Bestell-Plattform Kollex, auf der Hotels, Restaurants und Cafés online beim Großhändler Getränkenachschub ordern können.
Marketing-Direktor Michael Willeke setzt in seiner Werbestrategie für die inzwischen 80 Marken in Deutschland vor allem auf Bewegtbild. Vom klassischen Werbespot bis zu Coke TV Deutschland, einem YouTube-Kanal mit jungen Themen und über 300.000 Abonnenten. Dort agieren Influencer mit ihren Fans. Willeke verspricht: “Wir hören unseren Verbrauchern und Fans sorgfältig zu und reagieren auf Trends.”
Michael Willeke im turi2.tv-Videofragebogen
Die ganze Unternehmenskultur soll sich ändern – CEO James Quincey fordert von Coca-Cola “die Mentalität eines Technologieunternehmens”. Auch wenn er weiß: “Sich als etabliertes Unternehmen neu zu erfinden, ist wesentlich schwerer, als etwas gänzlich Neues aufzubauen.” In den USA verkauft Coca-Cola seine Getränke an viele Restaurants inzwischen als Essenz in der Größe von Druckerkartuschen. Auf diese Weise kann der Barkeeper bis zu 140 verschiedene Geschmäcker aus der Kartusche mit Wasser auffüllen und beliebig kombinieren.
“Wir müssen Experimente zulassen und verschiedene Wege ausprobieren. Und dann schnell lernen, was funktioniert und was nicht”, sagt Quincey. Und die Deutschland-Chefin mit dem schönen Namen Bianca Bourbon sagt: “Wir müssen verlernen, perfekt zu sein” – es gelte, sich von liebgewordenen Gewohnheiten zu trennen. Und auch von erfolglosen Getränke-Innovationen. Kammerer sagt: “Kill your zombies.”
Was genau ist in Coca-Cola drin? Die ursprünglich namensgebenden Zutaten Kokablatt und Kolanuss sind es jedenfalls nicht. Der Geschmack kommt heute von Orangen-, Zitronen- und Zimtölen sowie von Vanille
Patrick Kammerer macht nicht nur das Zucker-Thema Arbeit. Er müht sich, die Vielfalt im Konzern zu verdeutlichen: “There is more than Coke.” Im Gespräch mit Journalisten und Politikern hört Kammerer oft: “Das wusste ich ja gar nicht.” Kammerer gibt sich offen im Gespräch mit der Politik: “Ein Ampelsystem für Lebensmittel, wie wir es in England freiwillig umgesetzt haben, würden wir auch in Deutschland akzeptieren.”
Noch ein Trend beschäftigt die Kommunikatoren Kammerer und Willeke: Der Verbraucher greift in einer globalisierten Welt gern nach regionalen Produkten, er räumt ihnen einen Bonus in Sachen Sympathie und Nachhaltigkeit ein. Daher will Coca-Cola nicht als US-Multi dastehen. “Regionalität ist ein Vorteil für uns”, sagt Kammerer. In Anzeigen in regionalen Tageszeitungen wirbt Coca-Cola zum Beispiel mit “Made in Mannheim. Und darauf sind wir stolz.” Mit 16 regionalen Abfüllern hat der Konzern ein feinmaschiges Netz über das Land gelegt – und kann produktionsnah liefern. Bei Fritz-Kola und Africola sei das nicht der Fall, stichelt Kammerer. Deren Flaschen würden viel weiter durchs Land gefahren.
Die Coca-Cola-Glasflasche ist ein Design-Klassiker – und kommt ganz stark in der Gastronomie zum Einsatz. Der Endverbraucher kauft Cola im Supermarkt oft in Plastikflaschen oder Dosen
Verpackungsmüll und Nachhaltigkeit ist für Coca-Cola ein großes Thema. Das Ziel ist klar: Coca-Cola will weniger Müll produzieren, Abfall heißt jetzt Wertstoff. Immerhin: Im Abfüllwerk Genshagen bei Berlin werden 99 Prozent aller Reststoffe recycelt. Manchmal kommen sich die hehren Ziele in die Quere. Damit die Menschen weniger Zucker konsumieren, setzt Coca-Cola auf die Devise “Mehr Vielfalt, weniger Zucker, kleinere Packungen”. In Deutschland gibt es jetzt eine 150-Milliliter-Dose. Vorteil für Coca-Cola: Kleinere Packungen bedeuten höhere Gewinnmargen. Nachteil für die Umwelt: Je kleiner die Verpackungen, desto größer der Müllanteil.
Lesen Sie alle Erfolgs-Geschichten der turi2 edition #8 – direkt hier im Browser als E-Paper. Oder abonnieren Sie die Buchreihe hier.