turi2 edition #9: Die ZDF-Mediathek – auf Abruf bereit.
4. Dezember 2019
Mit dem Zweiten streamt man besser: Das Zweite Deutsche Fernsehen ist 2001 der erste deutsche Sender mit Online-Mediathek. Deren Chef Eckart Gaddum hat damit noch viel vor, erzählt er Markus Trantow in der turi2 edition #9. Er berichtet, wie ARD und ZDF die Walled Gardens zwischen ihren Online-Angeboten einreißen, einen gemeinsamen öffentlich-rechtliches Netz-Kosmos schaffen und dabei dennoch unabhängig bleiben. (Foto: ZDF/Markus Hintzen)
Nikolaus Brender braucht all seine Überzeugungskunst, als er Eckart Gaddum die Leitung der Hauptredaktion Neue Medien im ZDF als neuen Job schmackhaft macht. “Wenn Sie diesen Job übernehmen, sind Sie in zehn Jahren die Spinne im Netz”, erinnert sich Gaddum an die Worte seines Chefredakteurs. “Er hatte Recht.“ Heute, elf Jahre später, laufen bei Gaddum tatsächlich alle Fäden zusammen. Die Mediathek, für die er hauptverantwortlich ist, hat sich zu einem der zentralen Ausspielorte für ZDF- Inhalte entwickelt.
Traumjob ist der neue Posten für den gelernten Journalisten, der von einer Korrespondenten-Karriere träumt, anfangs nicht. “Berufung fällt nicht vom Himmel. Du machst einen Job und machst ihn dir zur Berufung”, zitiert Eckart Gaddum seinen Großvater. Dieser Satz begleitet den heute 59-Jährigen durch sein ganzes Leben. 1993 kommt er als Schlussredakteur zum “heute-journal”, geht als Korrespondent nach Thüringen und Paris. Bevor er Mediatheken-Chef wird, leitet er acht Jahre lang das “ZDF-Morgenmagazin”.
Zu Beginn müssen Gaddum und Kollegen die Redaktionen noch beknien, damit sie ihre Inhalte in die Mediathek laden. “Heute gibt es leidenschaftliche Diskussionen darüber, welche Sendung auf die Startseite darf”, sagt Gaddum. Die Mediathek aus Mainz liegt mit mehr als 90 Millionen Visits pro Monat deutlich vor der Konkurrenz aus Köln (TVNow: 22 Mio Visits) und den Mitbewerbern aus München (Joyn: 21 Mio Visits). Die ARD schweigt zu den Zahlen ihrer Mediathek.
Dass der Rentnersender ZDF online so erfolgreich ist, erklärt sich womöglich aus seinem Frühstart. Bereits 2001 steht eine erste Version der Mediathek im Netz. YouTube erscheint erst vier Jahre später, ab 2008 haben alle großen deutschen Sender Abruf-Angebote.
“Die Mediathek hat das ZDF im Kern verändert”, sagt Gaddum. Die größte Revolution ist der Abschied vom Silo-Denken: Inzwischen planen ZDF, ZDFneo und ZDF Info nicht mehr unabhängig, sondern genreübergreifend – und damit passend für die Mediathek. Das funktioniert auch, weil sich die Angst der TV-Macher, dass Online das Fernsehen kannibalisiert, nicht bewahrheitet hat. Die Mediathek erreicht jüngere Nutzer, die das ZDF sonst selten auf dem Schirm haben.
Künftig will der Sender mehr Programm vor der TV-Ausstrahlung ins Netz stellen. Und Gaddum hat weitere Pläne, die angesichts der gut gepflegten Konkurrenz zwischen ARD und ZDF wie eine Revolution anmuten: Die Strategen arbeiten daran, online die Wälle zwischen den Sendern einzureißen.
Wer etwa “Tatort” in die Suchmaske beim ZDF eingibt, bekommt einen Link zur ARD. Wer bei der ARD die “heute-show” sucht, wird zum ZDF geleitet. Von einer gemeinsamen Mediathek hält Gaddum nichts, beide Sender sollen im Netz unabhängig bleiben. Die Zeit der Walled Gardens ist bei ARD und ZDF dennoch bald vorbei. Dazu passt auch, dass die Sender für ihre Mediatheken im Frühjahr 2020 einen gemeinsamen Login starten wollen.
Damit heben sie sich deutlich von den geschlossenen Systemen aus Übersee ab, aber auch von RTL und ProSiebenSat.1. Etwas netflixiger wird die ZDF-Mediathek künftig aber doch: Gaddum und seine rund 100 Mitarbeiter wollen Nutzern bald mehr Möglichkeiten geben, das Angebot zu individualisieren. Aber mit Grenzen. Eine hundertprozentige Personalisierung soll es nicht geben.
Die These, dass in der Mediathek die Zukunft des Bewegtbildes liegt, will Eckart Gaddum nicht ohne Einschränkungen unterschreiben. Für ihn ist das Abrufangebot, wie es heute aussieht, nur ein Zwischenschritt. Irgendwann ist es womöglich ein KI-gesteuerter Sprachassistent, der das Bewegtbildprogramm für seine Nutzer zusammenstellt und die Mediathek-Suche ersetzt. Daran, dass das ZDF dann wieder die Nase vorn haben wird, besteht kaum ein Zweifel. Denn Gaddum und sein Team sind auch für die ZDF-Profile auf Drittplattformen wie Amazons Alexa verantwortlich.
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