“Ein Jahr wie ein Knacks” – Giovanni di Lorenzo über 2020, Solidarität und Streitkultur.


Fehlstart und Hoffnung: "Jeder Mensch verträgt nur eine überschaubare Dosis an bedrohlichen Nachrichten." Im turi2 Podcast zieht Giovanni di Lorenzo Bilanz des Krisenjahres 2020. Der "Zeit"-Chefredakteur sieht in der Corona-Pandemie einen "Knacks für die ganze Menschheit". Auch in seiner Familie hat die Krankheit tiefe Spuren hinterlassen – zwei Familienmitglieder, davon ein naher Verwandter, sind an dem Virus gestorben. Trotzdem glaubt di Lorenzo, dass im kollektiven Gedächtnis der Menschen auch das Gute gespeichert bleibt, etwa Solidarität und eine neue Arbeitskultur. Im Zeit-Verlag wird in der Krise beides gelebt: 35 Mitarbeiter*innen haben zwei Monate lang freiwillig auf Teile ihres Gehalts verzichtet – aus Solidarität mit den Kolleg*innen in Kurzarbeit. Genauso freiwillig ist die Option, aus dem Home Office zu arbeiten.

Giovanni di Lorenzo selbst war bisher jeden Tag im Büro. Journalist*innen sind für ihn genauso systemrelevant wie eine Kassiererin im Supermarkt: "Um Journalismus richtig zu betreiben, muss man sehen, was man beschreiben oder analysieren möchte." Die Leserschaft der "Zeit" goutiert die Anstrengungen offenbar – im Krisenjahr steigt die Auflage der Wochenzeitung auf ein neues Allzeithoch und kann damit einen Teil der Verluste coronabedingt weggebrochener Geschäfte auffangen. "Wir stehen selber manchmal noch ungläubig vor diesen Zahlen", sagt der Chefredakteur. Er glaubt, dass die Leser*innen es schätzen, "dass bei uns eine gewisse Pluralität der Meinungen sichtbar wird" und dass das Lese-Erlebnis erkenntnisreich, aufbauend, gelegentlich sogar tröstend ist – allerdings ohne das Negative auszublenden.

Im Podcast sagt Giovanni di Lorenzo außerdem, was er vom "Quotenfrauen"-Titel des "stern" hält, und spricht über die Angst vor Shitstorms und Skandalisierungen. Er erklärt, dass sich die "Zeit" nicht von oben herab führen lässt und dass er im Blatt immer auch Meinungen findet, die ihm nicht passen – "und das ist auch gut so". Das Gespräch erscheint am 14. Januar in erweiterter Form in der turi2 edition #13.
(Foto: Johannes Arlt für die turi2 edition)
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