Julian Reichelt spricht über Missbrauchsvorwürfe – Springer plant Reform der Arbeitskultur.


Zeit zum Reden: Julian Reichelt lädt die "Zeit"-Autorinnen Cathrin Gilbert, Hannah Knuth und Holger Stark in sein Büro im Springer-Hochhaus und äußert sich öffentlich zu den Missbrauchsvorwürfen gegen ihn. Reichelt sagt, dass er sich erstmals im Leben einen Anwalt genommen hat und eine eidesstattliche Versicherung aufsetzen lässt, in der er erklärt, seine Macht niemals gegenüber Mitarbeiterinnen missbraucht zu haben. Die Autorinnen schildern, dass Reichelt das Gespräch mit ihnen ohne Verstärkung durch Konzernsprecher und Kollegen führt – sie müssen den Raum vor dem Gespräch verlassen – und bisweilen "mitgenommen" wirkt. Reichelt wisse, dass er als "Bild"-Chef vielen Menschen weh getan habe, "auch intern". Die Autorinnen zitieren ihn mit den Worten: "Das ist jetzt richtig spannend, oder?"

Der Springer-Vorstand lasse sich regelmäßig über den Fortgang der Untersuchungen gegen Reichelt informieren. Zwar ließen sich die Vorwürfe gegen Reichelt bisher "weder be- noch widerlegen", einige Frauen hätten aber "belastende Indizien vorgelegt". Ein Vertrauter Reichelts soll "mindestens eine der betroffenen Frauen subtil unter Druck gesetzt" haben. Die Autorinnen schildern aber auch ein Telefonat Reichelts mit einer Frau, die zu den Vorwürfen befragt werden soll. Der "Bild"-Chef halte sie an, die Wahrheit zu sagen, auch über seine nicht so netten Charakterzüge – "bloß nichts weglassen."

Springer denke über einen Neustart "für den Tag nach Abschluss des Verfahrens" nach, egal ob Reichelt dann noch an Bord sei, oder nicht. Es solle eine "offene, auch schmerzhafte Diskussion über eine bessere Unternehmenskultur" bei der Zeitung geben. Zudem würden bereits Nachfolgerinnen gehandelt, darunter Interims-Chefin Alexandra Würzbach, der frühere "Bild am Sonntag"-Chef Claus Strunz und Gabor Steingart, an dessen Startup Media Pioneer Springer beteiligt ist.
zeit.de (Paid), kress.de (Zusammenfassung)