Gefährden Influencerinnen die Demokratie, Wolfgang M. Schmitt und Ole Nymoen?
1. Mai 2021
Die neue Unmündigkeit: Die Buchautoren und Podcaster Wolfgang M. Schmitt (Foto, rechts) und Ole Nymoen haben keine hohe Meinung vom Influencer-Marketing als Werbegattung. In ihrem Gastbeitrag für die turi2 edition #14 werfen die beiden den Protagonistinnen vor, wirtschaftliche Interessen zu verschleiern und “jede Werbebotschaft als freundschaftlichen Rat” zu maskieren. Im Jahr der Bundestagswahl verheiße diese Erziehung zur Unmündigkeit nichts Gutes für die Demokratie. Das Buch mit allen Beiträgen und Interviews erscheint am 6. Mai. Hier das kostenlose E-Paper vorbestellen.
Während die Auflagen der Tageszeitungen unaufhörlich sinken, wächst
auf TikTok, YouTube und Instagram mit Influencerinnen eine neue Macht heran. Journalistinnen haben diese Entwicklung lange ignoriert oder belächelt, neuerdings jedoch begrüßt, etwa wenn Influencerinnen in Kultur-Sendungen und im Feuilleton unkritisch hofiert werden.
Noch immer aber werden die Netz-Stars unterschätzt. Keineswegs handelt es sich bei ihnen nur um Testimonials wie prominente Sportlerinnen oder Schauspielerinnen, die in Werbespots Nutella-Brote oder Gummibärchen essen. Influencerinnen tragen ihr gesamtes Ich zu Markte, sie verknüpfen in YouTube-Videos und Instagram-Stories ihren Alltag mit Werbebotschaften und Rabatt-Codes. Anders als die klassischen Stars setzen sie auf Nähe. Sie sagen zu ihren Followerinnen: “Ich bin wie du!” Eigentlich gemeint ist aber: “Du kannst wie ich sein – vorausgesetzt, du kaufst, was ich dir sage.”
Vance Packard sprach in den 1950er Jahren mit Blick auf die Werbebranche von den “geheimen Verführern”, inzwischen aber agieren diese Verführer nicht mehr geheim, dafür manipulativer denn je. Anders als klassische Stars gerieren sich Influencerinnen als authentisch – was freilich die größte Verlogenheit ist. Sie verschleiern ihre ökonomischen Interessen, indem sie jede Werbebotschaft als freundschaftlichen Rat maskieren. Kein Wunder, dass die Followerinnen sich in den Kommentarspalten eifrig dafür bedanken, dass sie Werbung präsentiert bekommen.
Wenn wir mit Kant festhalten, dass Aufklärung “der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit” ist, muss man sich die Influencerin als Zerberus vorstellen, der diesen Ausgang bewacht, damit bloß keine Followerin entkommen kann. Dass Influencerinnen diese Strategie inzwischen auch für gesellschaftspolitische Themen nutzen und Politikerinnen zunehmend die Nähe zu Instagram-Stars suchen, lässt im Jahr der Bundestagswahl nichts Gutes verheißen. Influencerinnen gefährden die Demokratie, weil sie die mündige Bürgerin zur unmündigen und deshalb manipulierbaren Konsumentin degradieren. Foto: Jürgen Bauer/Suhrkamp