“Das Golden Age des Streaming ist vielleicht vorbei” – Nico Hofmann über Bildschirme und Business.
26. September 2023
Leinwand-Liebe: Dem langjährigen Ufa-CEO Nico Hofmann blutet das Herz, wenn Kinofilme auf dem Smartphone laufen. Das Publikum sei heute viel ungeduldiger. Überzeugen die ersten drei Minuten nicht, “schalten sie immer schneller gnadenlos weg”. Im Interview mit Peter Turi für die turi2 Screen-Wochen spricht er über das “Gesundschrumpfen” des Streaming-Markts, neue Geschäftsmodelle und KI im Film. Das Gespräch ist auch Teil der turi2 edition #22, die am 10. Oktober gedruckt und als kostenloses E-Paper erscheint.
Wie entscheidend sind heute die ersten fünf Filmminuten?
Mittlerweile sind’s eher die ersten drei Minuten, die alles entscheidend sind. Sowohl im Fernsehen als auch – inzwischen noch stärker – im Streaming. Wenn Zuschauerinnen und Zuschauer sich von einem Film nicht angesprochen fühlen in Tonalität, Stimmung oder Inhalt, schalten sie immer schneller gnadenlos weg. Früher sahen wir beim Quoten-Verlauf die heftigsten Reaktionen nach 15 Minuten, heute nach maximal fünf. Und die US-Streaming-Anbieter sagen uns, dass selbst bei großen Serien die Entscheidung auszusteigen, schon nach drei oder vier Minuten in der ersten Folge fällt.
Woran liegt diese Ungeduld?
Alles hat sich in den letzten Jahren wahnsinnig beschleunigt. Die neuen technischen Möglichkeiten, die Überfülle an Content im Digitalen hat die Menschen hektischer und ungeduldiger gemacht. Sie tun sich schwer, sich auf einen Stoff einzulassen. Diese Kurzatmigkeit und Ungeduld setzen uns Produzenten ziemlich unter Druck.
Nico Hofmann,
Jahrgang 1959, volontiert beim „Mannheimer Morgen“, besucht die Hochschule für Fernsehen und Film München und macht ab Mitte der 80er Karriere als Regisseur, Autor und Produzent. Filme wie „Unsere Mütter, unsere Väter“ sind Quotenbringer. Aktuelle TV-Erfolge sind die Serien „Ku’damm“ und „Charité“, Kino-Hits sind „Der Medicus“ und „Ich bin dann mal weg“. Ab 2015 ist Hofmann CEO der Ufa-Gruppe, im September 2023 gibt er seinen Rücktritt bekannt. Dieses Interview entstand wenige Wochen davor.
Unter den Druck, noch kurzatmiger zu schneiden?
Für mich ist es eine innere Überzeugung, da nicht mitzugehen, sondern Qualität zu liefern, auf die man sich einlassen muss. Geduld entsteht da, wo Menschen das Gefühl haben, das Thema ist genau richtig für mich. Dann nehmen sie sich die Zeit, es anzuschauen. Wir müssen also ein sehr spezifisches Interesse treffen und bedienen.
Wohin geht die Branche?
Nach meiner Erfahrung in den letzten 20, 30 Jahren verlaufen die großen Entwicklungen in Zyklen, Pendel schlagen auch mal zurück. Der Boom beim Streaming kam ja mit großen Serien und der Überzeugung, dass Serien im Streaming der neue Roman sind. Genauso wie bei Hörbüchern bringen Konsumenten da extrem viel Geduld mit. Oder das Kino: Der Tod durch Streaming, den so viele dem Kino vorhergesagt haben, ist nicht eingetreten, es gibt einen gewissen Aufschwung nach der Pandemie. Streaming bleibt hochattraktiv, aber das Golden Age ist vielleicht vorbei, jetzt ist neben Serial auch das Einzelstück wieder gefragt.
Darf man Kinofilme auf dem Smartphone schauen?
Da blutet mir das Herz! Ich habe mal im Flieger auf dem Monitor meines Sitznachbarn „Der Medicus“ sehen müssen – da geht so viel verloren. Unsere Kinofilme wie „Der Medicus“ oder „Ich bin dann mal weg“ sind für die große Leinwand gemacht, nur dort entwickeln sie ihre einzigartige Magie. Kino ist Kino und funktioniert nur auf der großen Leinwand richtig. Unser „Fliegendes Klassenzimmer“ sollten die Kinder und Eltern im Kinosaal erleben, als Gemeinschaftserlebnis.
Was sagt der Kaufmann zum Siegeszug der kleinen Bildschirme?
Das ist natürlich auch eine Chance. Erstmal ist jeder Screen wie für uns gemacht. Die Einnahmen aus Bord-TV von Lufthansa oder Bahn sind genauso willkommen wie die von YouTube und anderen Kanälen. Wir beschäftigen uns bei der Ufa auch damit, welche passenden Angebote wir für Kanäle wie YouTube oder TikTok machen können. Wir wollen verstehen, wie die jüngere Generation mit digitalem Content umgeht und wie wir sie in ihrer Ungeduld abholen können.
Wie kann das konkret aussehen?
Ich kann mir gut vorstellen, dass wir und auch unsere Konkurrenten überlegen, aus den großen Marken, die im linearen TV vielgesehen sind, eine digitale Form zu machen, die im Gestus, in der Haltung und in der Emotion völlig eigenständig sind. Wir sind mit unserer Marke GZSZ auch digital sehr aktiv. YouTube ist definitiv spannend. TikTok ist für Teaser geeignet. An TikTok allein glaube ich nicht, da wäre das Narrative kaum möglich.
Gibt es für solche Umsetzungen schon Geschäftsmodelle?
Die wird es geben. Als Produzent oder Produzentin muss man wirklich alle Technologien und alle Verbreitungswege im Kopf haben. Die Digitalisierung ist allgegenwärtig und wir überlegen uns mittlerweile sehr genau, welches Produkt wohin passt. Unsere Inhalte müssen auf den Kanal fokussiert sein, auf dem wir die Nutzer erreichen wollen.
Was bedeutet das Überangebot an Streaming-Inhalten für die Kreativen und die Produzenten?
Während der Corona-Jahre 2020 bis 2022 wurde auf Teufel komm raus produziert. Das Angebot war am Ende so groß wie die Ernüchterung, das Gesamtangebot war für normalsterbliche Zuschauer weder überschaubar noch konsumierbar. Mit dem Ablaufen der Pandemie sind die Zeitbudgets fürs Fernsehen wieder gesunken, wir haben eine Rückbesinnung auf Budget, Größe, Zuschauer, Konkurrenzdruck, Erwartungen und vor allem Rentabilität. Positiv gesprochen erleben wir ein Gesundschrumpfen, eine Reinigung – neutral ausgedrückt gibt es eine harte Konsolidierung am Markt.
Kann KI helfen, Filme billiger zu machen?
Die KI kann im Filmbereich eine große Rolle spielen, nicht umsonst streiken in Hollywood die Schauspielerinnen und Schauspieler und die Drehbuchautoren und Drehbuchautorinnen. Wir haben über Fremantle und bei Bertelsmann sehr interessante Beispiele zu KI angeschaut und analysiert. KI kann in Zukunft eine Rolle auf jeder Ebene unserer Industrie spielen. Man muss sich das vorstellen: KI kann quasi Drehbücher, Texte, Storylines, Geschichten erfinden oder weiterentwickeln. KI kann komplette Bilderwelten wiedergeben, die wir im Moment sehr teuer digital erarbeiten müssen. Wenn man es ganz konsequent durchspielt, kann KI Wesen kreieren, die aussehen wie echte Menschen, und wahrscheinlich in Zukunft sogar komplette Szenarien mit diesen Wesen.
Für mich klingt das ziemlich dystopisch.
Man muss diese Technologien sehr genau daraufhin analysieren, welche Möglichkeiten, aber auch Gefahren in ihnen stecken. Es geht auch um moralische Standards, wenn wir entscheiden, in welchen Bereichen wir KI einsetzen wollen und wo nicht. Die Streikenden in Hollywood gehen auf die Straße, weil sie Angst haben, dass sie ihr ursprünglichstes Urheberrecht, nämlich ihre eigene Schreibkunst und ihr eigenes Gesicht, ihr eigenes Wesen verlieren, weil es quasi beliebig ausnutzbar ist. Ich habe neulich einen Vertrag mit einem US-Streaming-Anbieter gesehen. Da stand drin: Wir geben alle Rechte ab innerhalb des Universums, egal was da kommt an Medienkanälen. Das ist sicher nicht fair.
Werden Schauspieler durch die KI ersetzt?
Ich hoffe nicht. KI kann großen Einfluss entfalten in der Stoff-Entwicklung, im bildnerischen Bereich und ganz sicher in der Bildgestaltung. Aber es wird niemals Urheberschaft von menschlichen Wesen als Schauspieler und Drehbuchautoren ersetzen. Das menschliche Wesen ist in seinen Schattierungen dermaßen komplex, dass ich es auch ehrlich und leibhaftig auf der Leinwand sehen will.
Dieser Text ist Teil der Screen-Wochen bei turi2. Bis 8. Oktober beschäftigen wir uns auf turi2.de mit Entwicklungen und Trends für Bildschirme – von der Smartwatch bis zum großen Werbescreen.
Foto: Holger Talinksi
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