Killt der Podcast-Boom das lineare Radio, Stephan Schmitter?
15. Februar 2021
Podcast kills the Radio Star? Radio muss sich in Zeiten des Streaming- und Podcast-Booms “ein stückweit neu erfinden”, schreibt Stephan Schmitter. Der Chef von RTL Radio Deutschland sieht sich mit der Content Alliance von Bertelsmann und der Podcast-Plattform Audio Now auf dem richtigen Weg. In seinem Gastbeitrag in der turi2 edition #13 fordert er aber auch “rechtliche Rahmenbedingungen” für mehr Zusammenarbeit zwischen den Sendern, um gegen die digitale Übermacht bestehen zu können. Sie können den Beitrag im kostenlosen E-Paper lesen oder das Buch gedruckt bestellen.
Das ist eine berechtigte Frage. Wir reden bei Podcasts nicht mehr nur von einem Boom, sondern von einem etablierten Medium mit extremem Potenzial für weiteres Wachstum. Bereits ein Drittel der Deutschen haben Podcasts schon einmal genutzt, bei den Jüngeren hört jeder Dritte regelmäßig zu. Podcasts stillen das Bedürfnis nach individueller Information und Unterhaltung. Bei Bertelsmann haben wir den Trend frühzeitig erkannt und im Frühjahr 2019 mit der Plattform Audio Now ein Ausrufezeichen im noch jungen Markt gesetzt. Mittlerweile ist die Plattform etabliert und punktet mit etwa 150 populären eigenen Formaten und aufwendigen Produktionen.
Trotzdem erfüllen Podcasts und Radioprogramme unterschiedliche Bedürfnisse und unterscheiden sich in der Hörsituation deutlich. Während Menschen wochentags morgens mit dem Radio in den Tag starten und es im Tagesverlauf hören, hat der Podcast eher in den Abendstunden und am Wochenende seinen Nutzungspeak. Während Radio einen schnellen Mix aus komprimierten Nachrichten, regionalen Informationen und Musik liefert, beschäftigt sich der Podcast tiefergehend mit einem Thema und erfordert eine direkte Entscheidung für ein bestimmtes Format, ähnlich wie bei einer TV-Serie, einem Film oder Buch. Die Menschen werden sich daher nicht nur für das eine oder das andere Medium entscheiden, sondern beide komplementär nutzen.
turi2.tv: Stephan Schmitter zeigt das Herz der Audio Alliance in Berlin.
Gleichwohl werden Stimmen laut, die das Radio mittelfristig abschreiben. Nicht nur der Podcast, auch das Musikstreaming heizt diese Theorie an, da beide den Menschen auch das liefern, was sie beim klassischen Radio finden – Wort und Musik, aber in personalisierter Form.
Musikstücke lassen sich heute so oft wie gewünscht anhören, dazu Nachrichten aus dem Netz generieren, die Stauprognose über einen Kartendienst auf dem Smartphone anzeigen und der Regenradar über eine App abrufen. Können diese das Radio ersetzen? Ich sage ganz klar: Nein! Lineares Radio ist im Alltag der Menschen fest verwurzelt. Seine Stärken und gesellschaftliche Funktion haben sich nicht zuletzt in der Corona-Pandemie gezeigt. Kein anderes Medium schafft mehr Nähe und hat den regionalen Fokus, liefert schnelle Informationen präsentiert von vertrauten Stimmen, aber auch Ablenkung und Unterhaltung.
turi2.de Podcast: Stephan Schmitter über die Audio Alliance in Berlin.
Aber wir dürfen uns nicht zurücklehnen: Auch wenn Radio für einen derzeit großen Teil der Bevölkerung ein nicht substituierbares Medium ist, kommen die Einschläge näher – nicht zuletzt bei den jüngeren Hörer*innen. Beispielsweise hat Spotify gerade in den USA einen Dienst gestartet, der die klassische Radiofunktion schrittweise ersetzen könnte. Audio wird zunehmend über Geräte wie Smart Speaker gehört, die große Tech-Player produzieren und bespielen. Auf diesen smarten Geräten machen klassische Hörfunkprogramme nur einen winzigen Teil des verfügbaren Angebotes aus, und wir müssen sehr darauf achten, dass wir im täglich wachsenden Angebotsmix nicht untergehen.
Das heißt, dass wir uns ein stückweit neu erfinden müssen. Wir müssen uns fragen, was die Menschen von uns erwarten, Dinge im Rahmen unserer Möglichkeiten ausprobieren und sehr mutig neue Inhalte und Angebote anbieten – lokal, regional und national. Viele Sender tun das schon jetzt, investieren in redaktionelle Glanzstücke, Podcasts oder nationale Programmmarken, die ihre Hörerschaft erhöhen.
Und wenn das nicht reicht? Dann heißt es, althergebrachte Strukturen zu überdenken. Für mich stehen die Zeichen schon jetzt auf mehr Kooperationen in der Radio- und Audiowelt. Wettbewerb ist für unsere Medienvielfalt unersetzlich, aber dass einzelne Sender über Jahre hinweg gegen die digitale Übermacht bestehen können, ist ein Wunschdenken. Daher muss es Möglichkeiten geben, wie wir stärker zusammenarbeiten können. Dafür braucht es auch rechtliche Rahmenbedingungen, denn der zersplitterte Hörfunkmarkt lässt hierfür wenig Spielräume. Wir brauchen unsere privaten Radioprogramme, aber auch eine wirtschaftliche Basis für deren Erhalt. Es ist noch nicht zu spät, um gegen die Großen zu bestehen. Wenn alle verstehen, was auf dem Spiel steht und mutig handeln, wird kein Boom dem Radio jemals den Garaus machen können.