turi2 edition #8: Katja Kraus über Höhen und Tiefen im Sportmanagement.
3. Juni 2019
Führungsfrau mit Spaß am Ausprobieren: Katja Kraus kickte für die Nationalmannschaft und saß beim Hamburger SV im Vorstand – als erste Frau bei einem Bundesligisten. Heute leitet sie Jung von Matt/Sports, sitzt im Adidas-Aufsichtsrat und schreibt Bücher. Tatjana Kerschbaumer spricht für die turi2 edition #8 mit ihr darüber, warum Scheitern kein Selbstzweck ist und der Fußball eine Frauenquote braucht. (Foto: dpa)
Das Interview mit Katja Kraus und viele andere Erfolgsgeschichten finden Sie auch in unserem kostenlosen Blätter-PDF zur “turi2 edition #8” auf den Seiten 78-80.
Frau Kraus, als Profifußballerin haben Sie dreimal die deutsche Meisterschaft gewonnen, viermal den Pokal, waren Vize-Weltmeisterin. Fehlt Ihnen der Erfolg auf dem Platz?
Profifußballerin klingt so schön. Ich konnte nicht von meinem Sport leben, obwohl wir beinahe jeden Tag trainiert haben. Es war meine Herzensangelegenheit. Der Erfolg auf dem Platz fehlt mir nicht. Ich vermisse eher, vor einem Spiel zum Aufwärmen auf den Platz zu gehen. Die Aufregung und das Magenkribbeln mochte ich gerne.
Das können Sie doch immer haben.
Nein. Ich habe nach meinem letzten Spiel mit dem Fußballspielen aufgehört. Wir hatten samstags DFB-Pokal-Finale in Berlin und haben vernichtend verloren. Am Montag danach habe ich angefangen, als Pressesprecherin bei Eintracht Frankfurt zu arbeiten. Diese Aufgabe hat mich dann so eingenommen, dass ich eine Zeit lang gar keinen Sport gemacht habe.
Was war für Sie früher ein erfolgreicher Tag?
Ich habe eine Neigung, Tage zu mögen – keine Neigung zum Problematisieren. Früher war natürlich alles viel unbeschwerter. Ich habe studiert, nebenbei gejobbt und an jedem Abend trainiert. Ein erfolgreicher Tag war, wenn ich alles miteinander verbinden konnte.
Und heute?
Das ist heute noch genauso. Die anspruchvollste Aufgabe ist es, mit allen Anforderungen zu jonglieren. Es gibt unsere Agentur, ich schreibe Bücher, halte Vorträge, habe eine Familie. Ein erfolgreicher Tag ist es, wenn es mir gelingt, die unterschiedlichen Themen angemessen zu gewichten. Klappt aber häufig nicht so gut.
Sie wurden 2003 als erste Frau Mitglied im Vorstand eines Bundesligavereins, dem HSV. Wie haben Sie es angepackt, den HSV erfolgreich zu vermarkten?
Der HSV war damals über viele Jahre mittelmäßig. Es gab für mich eine wahrgenommene Skepsis dem Verein gegenüber. Deshalb war ganz wichtig: Wie gewinnen wir die Menschen in dieser Stadt für den Verein? Dafür mussten wir vor allem Kinder und Jugendliche erreichen. Wir haben eine Fußballschule gegründet und Schulkooperationen gestartet. Und wir wollten wieder Spieler in unseren Reihen, mit denen sich junge Menschen identifizieren konnten. Da gab es den Transfer von Benni Lauth, damals ein ambitionierter deutscher Nationalspieler. Danach kam Rafael van der Vaart. Zusätzlich war es uns wichtig, dass der HSV eine gesellschaftlich relevante Rolle in Hamburg einnimmt und dieser mit sozialem Engagement gerecht wird. Da waren wir sicher Vorreiter in der Bundesliga.
Trotzdem wurde Ihr Vertrag beim HSV 2011 nicht verlängert.
Das war hart. Ich habe die Aufgabe geliebt und erstmal eine große Leere empfunden. Wie groß der Druck gewesen ist, habe ich erst in der Zeit danach mit aller Wucht gespürt. Ich habe nach acht Jahren HSV aber auch gedacht: Vielleicht ist es richtig, dass die Organisation mal einen anderen Einfluss bekommt – und ich auch. Irgendwann macht man Dinge nicht mehr mit der gleichen Begeisterung wie am Anfang. Ich habe dann schnell mit meinem Buchprojekt angefangen. Das war sehr heilsam.
Ihr erstes Buch, das 2013 erschienen ist, heißt: “Macht. Geschichten von Erfolg und Scheitern”. Sie haben dafür mit anderen Sportlern, aber auch Politikern über Erfolg und Misserfolg gesprochen. Was haben Sie mitgenommen?
Für mich war die entscheidende Erkenntnis, dass Menschen, die an der Spitze sind und dort eine lange Zeit bleiben, hohe Preise dafür bezahlen. Die Aufgabe von Privatheit, extremer Erfolgsdruck, gnadenlose öffentliche Bewertung – das sind Faktoren, die Politiker, Wirtschaftsleute und Sportler verbinden. Für viele Menschen ist Verantwortung zu tragen schon ein hoher Preis. Anders als es von außen wahrgenommen wird, feiern erfolgreiche Menschen nicht permanent Partys, weil sie sich so sehr an ihrer Macht freuen. Selbst ein Erfolg ermöglicht oft nur ein Durchatmen vor der nächsten Herausforderung.
Sie haben sich beim Schreiben auch gefragt, warum es Menschen überhaupt in die erste Reihe zieht. Sie sind seit 2013 Geschäftsführerin von JvM/Sports, seit 2014 Mitglied im Adidas-Aufsichtsrat – also auch wieder in der ersten Reihe. Was treibt Sie an?
Ich bin gar nicht so ein Erste-Reihe-Mensch. Es ist nicht gut, wenn ich das sage, weil Frauen das leider viel zu oft sagen. Aber ich hätte mir zum Beispiel nicht vorstellen können, Vorstandsvorsitzende eines Fußballvereins
zu sein. Nicht, weil ich glaube, das nicht zu können, sondern weil ich an einigen Aspekten einfach keine Freude hätte. Diese permanente Öffentlichkeit zum Beispiel.
Hat Sie nach Ihrem Ausscheiden beim HSV nochmal eine Position im Fußballmanagement gereizt?
Nein. Ich hatte danach zwar sehr schnell die Möglichkeit, bei einem anderen deutschen Traditionsverein Vorstand mit den gleichen Aufgaben zu werden. Ich bin auch hingefahren, weil ich nach dem Ende beim HSV erstmal keine Verortung hatte: Wie bin ich im Markt angesehen, was kann ich eigentlich außer Fußballmanagement? Aber mir war schnell klar: Das geht nicht. Ich will nicht einfach so weitermachen und ins Nächste übergehen.
Ist ein Misserfolg auch Motivator?
Scheitern ist kein Selbstzweck. Man muss das Scheitern nicht als Erfahrung suchen, um sich dabei besser kennen zu lernen. Das geht oft schlecht aus. Wenn es allerdings passiert, gibt es verschiedene Wege, sich damit auseinanderzusetzen. Ich hatte großes Glück. Aber ich habe auch immer wieder Lust, Neues auszuprobieren.
Hilft es, für den Fall des Misserfolgs breit aufgestellt zu sein? Sie sind das: Sportlerin, studierte Germanistin, Autorin, Marketingexpertin.
Das ist hilfreich, aber es folgte keinem Plan. Ich hatte das Glück, immer die Dinge machen zu können, die meine Leidenschaft sind. Die Krise nach dem HSV-Aus war auch ein Geschenk. Sie hat mir die Möglichkeit gegeben, etwas zu tun, wovon ich vorher nicht wusste, dass es in mir ist. Ich war unglaublich gerne im HSV-Vorstand. Aber für meine jetzige Lebensphase ist das, was ich gerade tue, viel passender. Ich glaube aber auch, dass viele Menschen ihre Potentiale nicht nutzen. Und vieles brach liegen lassen, was sie eigentlich in sich haben.
Im Fußball liegt eher die Frauenquote brach. Die haben Sie 2018 gefordert und kritisiert, dass Fußballmanagement zur Geheimwissenschaft unter Männern erklärt werde. Woran liegt es, dass nur Männer in diese Positionen berufen werden?
Weil es keine Überzeugung gibt, dass es anders besser ist. Der Fußball ist inzwischen ziemlich allein damit, sich gegen Frauen in Führungspositionen zu wehren. Es gibt keinen Grund, warum eine Frau keinen Club führen sollte. Außer sorgsam gepflegten Glaubenssätzen. Und es ist ein Problem des Systems. Fußballprofis brauchen nach ihrer Karriere irgendeine Betätigung. Sie werden Kommentator, Spielerberater, Trainer, Vereinsmanager. Da besteht eine Versorgungsmentalität. Es ist auch gemütlicher, unter sich zu bleiben. Diversität ist anstrengend. Wir alle haben am liebsten Menschen um uns, die genauso sind und denken wie wir. Aber spannend wird es eigentlich, wenn man sich mit anderen Einflüssen auseinandersetzt.
Glauben Sie, dass Frauen auf diesen Posten erfolgreicher agieren würden als Männer?
Ich glaube, sie würden mindestens genauso gut arbeiten wie Männer. Aber sie würden zusätzliche Aspekte einbringen und zu besseren Ergebnissen kommen. Die Männer, die Bundesligavereine führen, sind nicht sehr heterogen.
Was raten Sie anderen Frauen, die im Sportmanagement oder im Sportmarketing Erfolg haben wollen?
Immer wieder Glaubenssätze in Frage zu stellen. Dinge auszuprobieren. Sich ihrer selbst bewusst zu sein. Entschieden an Dinge heranzugehen. Unterstützer zu finden.
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