Der Ruhepol: Fakten statt Gefühl, Teamgedanke statt Imponiergehabe und ein naturwissenschaftlicher Blick aufs Weltgeschehen: Kommunikations-Expertin Gabriele Hässig beschreibt in der turi2 edition #12 die Person hinter der Politikerin Angela Merkel – als Anker und Wegweiser in einer turbulenten Welt.
Ich arbeite seit vielen Jahren bei Procter & Gamble. In dieser Zeit sind mir viele internationale Kolleginnen begegnet, von denen ich gelernt habe. Manche sind Mentorinnen, viele Freundinnen geworden. Im täglichen Miteinander ist man selbst immer auch Vorbild – und sollte entsprechend leben und handeln.
In diesem Buch sind viele Vorbilder versammelt. Einige von ihnen haben auch für mich selbst Bedeutung. Leider – und das unterstreicht die Wichtigkeit des Themas – fallen mir gleichzeitig einige schlechte Vorbilder ein, mit Verhaltensmustern, die längst überwunden schienen. Auch deswegen sind positive Vorbilder so wichtig: Sie entlarven Irrwege und zeigen bessere Wege auf. Für mich ist Angela Merkel ein solches Vorbild.
Mir geht es dabei weniger um die politische Dimension. Politische Entscheidungen, ihre Kommunikation und Durchsetzung, können immer aus verschiedenen Perspektiven bewertet werden – genau das ist ja das Gute und Spannende an der Demokratie. Aber darum geht es mir hier nicht.
Angela Merkel imponiert mir als Person. Warum? Sie hat sich ständig weiterentwickelt. Sie ist klug, präzise, oft messerscharf in der Analyse. Sie ist mutig und unerschrocken. Von Sheryl Sandberg habe ich mitgenommen: „What would you do if you were not afraid?” Angela Merkel handelt für mich nach diesem Prinzip. In ihrem unbedingten Willen, gemeinschaftlich zu guten, freiheitlichen Lösungen zu kommen, werden für mich auch ihre christlichen Werte sichtbar.
Angela Merkel orientiert sich an ihren Werten und steht zu ihnen. Sie ist integer. Bei allem, was sie tut, ist für mich Verantwortungsgefühl und Verantwortungsethik im Umgang mit Macht spürbar. Persönliche Profilierung scheint ihr fremd. Als Kommunikatorin ist mir bewusst, welche Verantwortung mit einer starken Stimme in der Öffentlichkeit einhergeht.
Für mich auch vorbildhaft: Angela Merkel denkt zuerst und handelt dann. Mein Vater hat mir, damals Teenager, mal ein nettes Poster geschenkt: „Vor Inbetriebnahme des Mundwerks Gehirn einschalten.“ Das macht Angela Merkel. So ist sie ein ruhiger, verlässlicher Anker in einer turbulenten Welt.
Sie denkt im Win-Win-Prinzip, dadurch ist sie in internationalen Verhandlungen der natürliche Drehund Angelpunkt. Das hat aus meiner Sicht entscheidend dazu beigetragen, viele Krisen zu meistern. Durch ihr naturwissenschaftliches Studium hat Angela Merkel gelernt, Probleme klar zu erfassen und zentrale Fragestellungen auf den Punkt zu bringen. Eine klare Problemdefinition ist wesentlich, um Lösungen zu finden.
Ein Wort zu ihrem Aussehen und öffentlichen Auftreten – denn darüber liest man noch immer merkwürdige Kommentare, gerade von Männern: Angela Merkel stellt Inhalte vor Inszenierung. Aber sie ist nicht beratungsresistent. Sie hat sich Unterstützung geholt bei Kleidung und Make-up. Sie hat gelernt, eine klare Farbsprache einzusetzen und so Themen klug zu unterstreichen.
Auch wenn ich persönlich denke, dass Angela Merkel früher und aktiver für grundlegende Maßnahmen beim Klimawandel hätte eintreten sollen und auch der Verzicht auf eigene Kinder für mich niemals in Frage gekommen wäre: Mit ihrer Art, die Dinge anzugehen und sich gegen Widerstände etwas zuzutrauen, hat sie mich beeindruckt und meine persönliche Sicht auf die Dinge beeinflusst.
Wissenschaftliche Fakten statt Gefühl, Verständnis für verschiedene Standpunkte statt Rechthaberei, Teamgedanke statt Imponiergehabe. Die eigenen Überzeugungen als Nordstern zu begreifen, in Verhandlungen Beharrlichkeit unter Beweis zu stellen und klare Standpunkte zu vertreten, auch wenn es bequemere Wege gibt. All das hat Angela Merkel zu meinem Vorbild gemacht.