Investigativ-LegendeGünter Wallraff ist engagiert bis verbissen und geht dahin, wo es wehtut: nach ganz unten, zur “Bild” und an die Grenzen des Gesetzes. Nachrichtenmann Maik Meuser beschreibt Wallraffs Einfluss in der turi2 edition #12 als einen Grund, warum er Journalist geworden ist.
Welcher Journalist kann sagen: Nach mir wurde ein Gesetz benannt? Das Lex Wallraff geht zurück auf ein Grundsatzurteil und besagt, dass auch durch Täuschung erlangte Informationen veröffentlicht werden dürfen. Als ich als Teenager “Ganz Unten” und “Der Aufmacher” verschlungen habe, wusste ich das noch nicht. Dass ich Journalist werden wollte aber schon. Das lag auch an ihm. Skandale aufdecken, die Bösen zur Strecke bringen. Das hat mir imponiert und mich motiviert.
“Öffentlichkeit ist der Sauerstoff der Demokratie”, so hat er es einmal auf den Punkt gebracht. Von seiner Arbeit, seinem Engagement und seinem Renommee profitiert auch mein Sender RTL. Hier läuft seit 2013 das Magazin “Team Wallraff – Reporter undercover” zur besten Sendezeit. Eine Sendung im Sinne von Wallraff: Einsatz mit versteckter Kamera, um Dinge öffentlich zu machen, die schief laufen. Um Änderungen herbeizuführen für die Benachteiligten unserer Gesellschaft. Wallraff ist engagiert, hartnäckig, kämpferisch. Kritiker sagen: verbissen. Einer, der dahin geht, wo es dreckig ist, weh tut, gefährlich werden kann. Seine Lebensleistung ist beeindruckend. “Der Druck der Öffentlichkeit kann viel bewegen”: Das ist auch meine Erfahrung nach gut zwei Jahrzehnten journalistischer Arbeit.
Zu Wallraff kam ich über meinen Vater. Günters Bücher standen in seinem Regal und zogen mich in ihren Bann. Während meine Schulkameraden mit 15 oder 16 Jahren im Berufsinformationszentrum noch rätselten, welchen Beruf sie ergreifen sollten, war mir längst klar, ich kann nur eins werden: Journalist.
Fast dreißig Jahre später, 2015, durfte ich ihn persönlich kennen lernen. Ich war neu bei RTL und sollte in Hamburg über meine investigativen Recherchen mit den Kollegen von Correctiv berichten. Abends saß Wallraff dann mit Peter Kloeppel und mir im Taxi zum Hotel. Zwei Top-Journalisten und ich. Als Günter – Herr Wallraff zu sagen war verboten – erzählte, fühlte ich mich wie ein kleiner Junge. Am nächsten Morgen saßen wir wieder zusammen im Taxi, auf dem Weg zum Flughafen. Diesmal wollte er wissen, wo ich herkam und welche nächsten Geschichten ich so plane. Da saß ein neugieriger Mann kurz vor seinem 73. Geburtstag, mehrfach preisgekrönt, der deutlich Interesse zeigte und immer wieder spannende Anekdoten einwarf. Eine der unterhaltsamsten Taxi-Fahrten meines Lebens.
Ich musste Günter versprechen, in Kontakt zu bleiben. Nichts lieber als das! Ein anderes Treffen werde ich auch nicht vergessen: 2017 saß ich mit ihm und meinem Chefredakteur Michael Wulf auf einer Bühne. Wir sollten über investigative Recherche im Privatfernsehen sprechen. Günter erzählte, warum er bei RTL war: um junge Menschen zu erreichen. Meinen Chef brachte er trotzdem kurz fast ins Schwitzen. Weil er dann Werbung machte für “die tollen Programme von Phoenix, 3sat und Arte”. Ich saß daneben, schmunzelnd, und bewunderte seine Lebhaftigkeit und Unabhängigkeit.
Nicht ganz so gelungen fand ich den Film “Schwarz auf Weiß”. Sich als Schwarzer zu verkleiden, um Alltagsrassismus aufzudecken – ein echter Wallraff. Aber dem Film hätte es gutgetan, auch die wirklich Betroffenen zu Wort kommen zu lassen. Schwierig auch die Berichte von Menschen, die mit ihm zusammengearbeitet haben und sagen, er sei kompliziert und eigenwillig.
So habe ich ihn selbst allerdings bisher nicht kennen gelernt. Beim letzten Treffen saßen wir bei ihm zu Hause und sein Telefon stand nicht still. Österreich verdaute gerade die Ibiza-Affäre. Wer hat das Video gemacht, das Vize-Kanzler Strache zu Fall brachte? Und darf man sowas? Rat holen beim Meister. Und der gibt klare Antworten: Natürlich darf man! Günter lacht, die Idee hätte von ihm stammen können. Er hat das Telefon auf laut gestellt – und ich sitze, staune, lausche.