turi2 edition #12: KfW-Vorständin Ingrid Hengster über Krisen und Führung.
10. Oktober 2020
Die Stabilisatorin: KfW-Vorständin Ingrid Hengster verantwortet bei der Staatsbank den wichtigen Geschäftsbereich Inland und damit die Hilfen für die coronageschädigte Wirtschaft. Im Kaminzimmer der KfW-Bank trifft sie Heike Turi und spricht für die turi2 edition #12 über Krisenmanagement und Frauen als bessere Führungskräfte.
Deutschland ist unter Bundeskanzlerin Angela Merkel bisher sehr viel besser durch die Corona- Krise gekommen als andere Länder. Ändern die Erfolge weiblicher Führung etwas in unseren Köpfen?
Ich glaube, da entwickelt sich etwas: Frauen in Führungsposition werden normaler und alltäglicher. Es wirkt sich positiv aus, dass jetzt an vielen Stellen Frauen in Führungspositionen sind, wie Christine Lagarde bei der EZB, Ursula von der Leyen in der EU und Angela Merkel in Deutschland. Auch in der Wirtschaft gibt es ja immer mehr Vorstände, in denen Frauen eine große Rolle spielen. Und das ändert den Blick auf Frauen.
Machen Frauen in Krisensituationen den besseren Job?
Die besonnene und umsichtige Art von Angela Merkel hat geholfen, uns bisher gut durch diese Krise zu bringen. Das zeigen allein schon die Infektionszahlen, die in Deutschland deutlich niedriger sind als in anderen Ländern. Ich bewundere Angela Merkel für ihre Klugheit, für ihre politische und persönliche Ausdauer und für die Tiefe ihrer Vorbereitung bei allen Themen. Sie paart das mit Humor, großer Menschlichkeit und einer glücklichen Hand, die Dinge ins Richtige zu drehen.
Führen Frauen anders als Männer?
Ich hüte mich vor Generalisierungen, denn jeder Mensch hat eine eigene Persönlichkeit und seinen eigenen Charakter. Ich beobachte aber, dass Frauen oft konsensualer führen, mehr Stimmungen und Meinungen mitnehmen und daraus den richtigen Weg herleiten.
Sie führen seit 2014 mit dem inländischen Fördergeschäft einen wichtigen Geschäftsbereich der staatlichen Aufbaubank KfW. Sie sollen die Wirtschaft stabilisieren und ankurbeln. Kriegen Sie das hin?
Ja, denn wir können Krise! Und das haben wir immer wieder unter Beweis stellen dürfen: Die KfW wurde 1948 zu Beginn der Bundesrepublik gegründet. Es liegt in unserem Namen „Kreditanstalt für Wiederaufbau”, dass wir zur Bewältigung schwieriger Themen da sind. Es ist ja nicht die erste Krise, die wir meistern müssen. Ich erinnere an den Aufbau Ost, die Finanzkrise 2008, die Flüchtlingskrise. Aber ganz klar: Seit Ende des Zweiten Weltkriegs haben wir so eine Situation auch in ihrem wirtschaftlichen Ausmaß nicht erlebt. Die Bundesregierung hat sehr schnell und sehr richtig reagiert und ein Hilfsprogramm auf die Beine gestellt, das in seiner Größe und Dimension unvergleichlich ist. Wir haben die fachliche Expertise zur Verfügung gestellt, um das Programm umzusetzen.
Hätten Sie geglaubt, dass eine solche Pandemie im 21. Jahrhundert möglich ist?
Wir hatten zwar in jüngerer Vergangenheit einige ähnliche Brandherde wie Sars, Vogelgrippe, Schweinegrippe und Ebola, aber die konnten wir ganz gut eindämmen. Die Geschwindigkeit und die Wucht, mit der das Virus jetzt über uns kam, das war schon etwas Neues, das ich mir bis dahin nicht vorstellen konnte. Ich glaube, wir sollten uns darauf einstellen, dass uns so etwas immer wieder treffen kann.
Nach den Erfahrungen mit Corona: Ist unser Wirtschaftssystem krisensicher?
Die deutsche Wirtschaft ist grundsätzlich sehr gut aufgestellt. Die Konjunktur lief über die letzten Jahre gut, die Unternehmen haben seit der Finanzkrise wieder Eigenkapital aufgebaut: Im Durchschnitt liegt die Quote bei mittelständischen Unternehmen bei mehr als 30 Prozent. Das ist eine sehr gute Basis, um die Krise zu meistern. Entscheidend ist aber die Frage: Wie flexibel und anpassungsfähig sind die Unternehmen?
Wie lautet Ihre Antwort?
Ich bin optimistisch! Unsere jüngste Umfrage zeigt, dass schon über 50 Prozent der Unternehmen seit Krisenbeginn ihre Geschäftsmodelle angepasst haben. Sie haben beispielsweise einen Onlineauftritt organisiert oder den bestehenden verbessert, ihre Vertriebsstrukturen angepasst und die Kosten überprüft. Ich bin beeindruckt, wie gerade der Mittelstand mit der Krise umgeht. Was mich auch erstaunt: In der Zeit von Anfang März bis Ende Mai sind die Startup-Gründungen nicht zurückgegangen, im Gegenteil, es wurden mehr Unternehmen gegründet. Einige ergreifen jetzt ihre Chance zum Beispiel im Online-Handel, in der Telemedizin oder der digitalen Bildung.
Werden am Ende der Krise die Großen größer und viele Kleine verschwunden sein?
Das ist keine Frage von groß und klein. Große Unternehmen stehen aufgrund ihrer globalen Strukturen jetzt vor großen Herausforderungen. Es ist vielmehr eine Frage der Flexibilität und Agilität. Diejenigen, die sich in der Krise wendig zeigen und schnell reagieren, werden leichter aus der Krise kommen. In der Vergangenheit wurde ja schon oft darüber gesprochen, dass Deutschland in den Bereichen Digitalisierung und Bildung mehr tun muss. Diese Krise zeigt: Es muss sein. Wer hätte gedacht, dass in fast allen Großunternehmen mindestens 50 Prozent der Mitarbeiter zu Hause arbeiten und es trotzdem gut geht? Diese Krise ist auch eine Chance!
Müssen wir deglobalisieren? Die Pillenproduktion zurück nach Leverkusen holen?
Ich glaube, die Globalisierung wird bleiben. Wir sollten nicht vergessen, dass die Globalisierung auch entscheidend zum Wohlstand beigetragen hat. Wir müssen aber fragen: Wie kann ich eine grenzüberschreitende Produktion aufrechterhalten, wenn im entscheidenden Moment die Lieferkette unterbrochen ist? Welche alternativen Strukturen kann ich aufbauen, um solche Engpässe in Zukunft zu vermeiden?
Im richtigen Licht: Vollblut-Bankerin Ingrid Hengster kommt 2014 zur staatlichen KfW, nach Stationen bei der Commerzbank, UBS, Credit Suisse, ABN Amro Bank und Royal Bank of Scotland
Haben Sie bei Ihrer täglichen Arbeit eigentlich das Gefühl: Ja, wir können helfen – meine Arbeit macht Sinn?
Das kann ich zu 100 Prozent bejahen. Unser Motto lautet: Bank aus Verantwortung. Es ist wirklich sehr befriedigend, einer Tätigkeit nachzugehen, die gebraucht und wertgeschätzt wird. Auch in den Entwicklungsländern bewegen wir ganz viel. So fällt es uns relativ leicht, junge Menschen für die KfW zu begeistern. Bei uns finden sie den „Purpose“, also eine Arbeit, die Sinn stiftet. Wir freuen uns über eine hohe Anzahl von Bewerbungen.
Apropos Nachwuchs. Frauen kommen zunehmend auch in der Finanzbranche auf den Chefsessel. Was muss sich noch ändern, damit Ihr Vorbild Christine Lagarde und Sie keine Ausnahmen bleiben?
Ich bin sehr optimistisch, dass wir keine Ausnahme bleiben. Immer mehr Familien haben sich von traditionellen Rollenmodellen verabschiedet, leben vor, dass beide Elternteile berufstätig sind. Mit diesen Vorbildern tun sich Jungs und Mädchen dann auch leichter, diesen Weg zu gehen. Unternehmen müssen den weiblichen Nachwuchs früh fördern und durch unterschiedliche Familienphasen und über Hierarchien hinweg begleiten. Der Erfolg diverser Führungsteams wird heute zum Glück von niemandem mehr bestritten.
Brauchen wir eine Frauenquote?
Ich habe in den letzten Jahren viel darüber nachgedacht und sage heute: Ja, wir werden letztendlich nicht umhinkommen. Die Quote für die Aufsichtsräte wird heute in der Wirtschaft durchweg positiv gesehen. Jetzt geht es um die operative Top-Ebene. Letztlich ist die Quote nichts anderes als ein Gestaltungsinstrument. Wenn dadurch verkrustete Strukturen aufgebrochen werden, das Umdenken eingeleitet und die Basis für künftige Generationen gelegt wird, dann ist es richtig.
Wussten Sie schon als Kind: Das möchte ich werden, das will ich haben?
Das wusste ich nicht. Aber ich war sehr neugierig und ich wollte immer etwas tun, das mich fordert. Ich war nie zufrieden mit dem, was ich schon hatte. Ich wollte mich weiter ausprobieren und habe mir neue Projekte und Themen gesucht und habe festgestellt, dass das Bankgeschäft mich fasziniert. So kam dann das eine zum anderen, und das ergibt dann schließlich den Lebensweg.
Sie haben Kind und Karriere. Sehen Sie sich als Role Model?
Lange Zeit habe ich das nicht so empfunden. Man ist ja oft selbst sein größter Kritiker und hat Zweifel, ob man dies oder das doch hätte anders und besser machen können. Aber mittlerweile merke ich, dass ich Vorbild bin und nehme die Rolle gerne an. Denn es macht mir große Freude, wenn mich junge Frauen und Männer fragen, wie sie das oder jenes machen sollen. Und ich meine Erfahrungen mit ihnen teilen kann. Ich bekomme dabei sehr viel zurück.
Was können wir uns von der jungen Generation abschauen?
Die junge Generation ist unheimlich geschickt im Umgang mit neuen Technologien. Wenn ich meinen Sohn etwas dazu frage, dann antwortet er oft mit einer beeindruckenden Selbstverständlichkeit. Ich sehe, dass er mir durchaus etwas beibringen kann. Was mir auch sehr gefällt, ist dieser optimistische Blick in die Zukunft und der Wille und die Kraft der jungen Menschen, Dinge zu verändern, weiterzutreiben und zu sagen „Ich mache jetzt die Sachen ganz anders und glaube an mich“. Von diesem Optimismus und dem Vorwärtsstreben lasse ich mich sehr gerne anstecken.