turi2 edition #12: Teresa Bücker über Wut und Feminismus.
21. Oktober 2020
Forsch sein lohnt sich: Wenn sie etwas ungerecht findet, schreibt Teresa Bücker es auf. Die Journalistin fordert die 20-Stunden-Woche und faire Bezahlung für alle. Unrealistisch? Im Interview mit Elisabeth Neuhaus für die turi2 edition #12 sagt sie: Wenn Veränderung das Ziel ist, können die Ideen gar nicht radikal genug sein.
Was würde die 16-jährige Teresa Bücker von der 36-jährigen halten?
Ich glaube, sie wäre sehr überrascht. Mit 16 hatte ich ganz andere Vorstellungen davon, wie ich einmal werde.
Welche denn?
Ich wollte auf gar keinen Fall Kinder. Mit 16 war ich ein Jahr in den USA. Da wäre ich am liebsten geblieben. Ich dachte, ich studiere irgendetwas, das mich in die Welt hineinwirft. Dann bin ich nach dem Abitur nach Berlin gegangen und hängen geblieben. Ja, ich hatte mit 16 einfach eine andere Idee davon, wie mein Leben werden würde. Für mich ist jetzt aber alles stimmig.
Wäre die 36-jährige Teresa der 16-jährigen ein Vorbild?
Ich glaube schon. Ich glaube auch, dass die beiden sich gut verstehen würden und dass die ältere ihr vielleicht Orientierung bieten könnte. Ich habe nämlich erst spät gemerkt, dass mir Vorbilder immer gefehlt haben, als ich jung war. Helmut Kohl war Kanzler, es gab vielleicht Pippi Langstrumpf oder historische Figuren, aber keine Reihe von tatsächlichen Frauen oder Menschen, mit denen ich über Zukunftsideen hätte sprechen können.
Was hat das rückblickend mit dir gemacht?
Im Nachhinein erklärt es für mich, warum ich bezüglich meines Berufsweges so unsicher war. Als Mädchen haben mir meine Eltern gesagt: “Du kannst werden, was du willst.” Gleichzeitig war im Westdeutschland der 80er Jahre die Einverdiener-Ehe die Norm. In meinem Umfeld hat kaum eine Mutter oder erwachsene Frau gearbeitet. Der Spruch “Du kannst werden, was du willst” bleibt abstrakt, wenn du ihn nicht sehen kannst. Heute kommen jüngere Frauen auf mich zu und fragen mich um Rat. Das nehme ich als Kompliment. Man kann sich nicht aussuchen, ein Vorbild zu sein. Man wird dazu gemacht.
Wenn man nach Vorbildern fragt, nennen einige ihre Eltern. Wie ist das bei dir?
Meine Eltern waren eher Anti-Vorbilder. Meine Mutter hat im Beruf sehr lange ausgesetzt. Wir sind drei Kinder, und sie hat erst wieder angefangen als Grundschullehrerin zu arbeiten, als ich aufs Gymnasium gegangen bin. Ihr Fokus lag immer eher auf der Familie. Von meinem Vater habe ich gar nicht wirklich mitbekommen, was er beruflich gemacht hat.
Im Frühjahr hast du dein zweites Kind bekommen. Inwiefern hat das Elternsein deine Sicht auf die Welt verändert?
Ach, meinen Blick auf die Welt hat das wenig verändert. Man wird dadurch kein anderer Mensch. Gerade in den ersten Wochen mit dem zweiten Kind habe ich das sehr stark gemerkt. Ich dachte, durch die Krise fokussiere ich mich stärker auf die Familie, weil ich sowieso weniger arbeiten kann. Aber ich merke, dass ich das nicht kann, weil ich unheimlich große Lust habe, zu arbeiten. Auf jeden Fall ist es nicht so, dass ich mich plötzlich mehr für Feminismus interessiere seit ich Kinder habe, oder erst dadurch gemerkt habe, dass man bei jüngeren Frauen noch viel erreichen muss.
Dabei hört man das immer wieder: “Durch meine Kinder habe ich erkannt, dass die Welt auch in 80 Jahren noch ein guter Ort zum Leben sein sollte. Deshalb setze ich mich jetzt für den Planeten und eine bessere Gesellschaft ein.”
Nein, für mich ist das eine generelle Haltungsfrage. Wie ganzheitlich blicke ich auf die Welt? Habe ich ein Gerechtigkeitsempfinden? Dafür braucht man keine Kinder.
Was hat dich zuletzt richtig wütend gemacht?
In der Corona-Krise ist Wut nicht unbedingt der Begriff, der meine Gefühle prägt. Die Situation macht mich vor allem nachdenklich. Was mich gerade pessimistisch stimmt, ist, dass wir zu Beginn der Krise viel darüber gesprochen haben, dass gerade Raum da ist, um Dinge grundlegend neu zu verhandeln, und dass sich viel positiv verändern kann.
Was meinst du damit?
Ich denke an die Aufwertung der sogenannten systemrelevanten Berufe, aber auch an ganz grundlegende Fragen über das Leben: Müssen wir so viel verreisen? Müssen wir so viel konsumieren? Diese Fragen waren zu Beginn der Pandemie sehr präsent, jetzt sind sie fast komplett weg. Das utopische Potenzial ist dahin. Bei vielen Menschen ist das dominante Bedürfnis anscheinend die Rückkehr in die Normalität davor, was ich schade finde. Ich würde mir wünschen, dass wir wieder an die alte Debatte anknüpfen und unsere Lebensweisen hinterfragen.
Wie wütend war Teenage-Teresa?
Unterschwellig wütend. Darüber habe ich auch in einem Text für das “SZ-Magazin” geschrieben. Gerade in Teenager-Jahren verwechseln wir oft Wut mit Traurigkeit. Ich habe mich damals sehr eingeschränkt gefühlt von den Normen, die für mich als Mädchen existiert haben. Erst später habe ich entdeckt, wie wütend ich eigentlich darüber war. Das war damals ein Gefühl von Enge, von fehlender Fairness. Ich konnte das damals nur schwer fassen, jetzt würde ich es aber schon als Wut beschreiben.
Sind Frauen heute wütender als früher?
Ich beobachte, dass wir einen stärkeren Diskurs führen über Gefühle und wie wir sie ausdrücken dürfen. Wir sind aber noch nicht an dem Punkt angelangt, an dem Gefühle neutral bewertet werden. Die Gesellschaft behandelt Frauen nach wie vor anders als Männer, wenn sie Wut zeigen. Sie gelten zum Beispiel schneller als hysterisch. Dabei gibt es viele existierende Ungerechtigkeiten, über die man wütend sein darf und sollte. Aus der Geschichte wissen wir, dass nett um Sachen fragen uns nicht weiterbringt. Es braucht emotionale Debatten, die zeigen, wo es weh tut. Deswegen halte ich Wut für eines der wichtigsten Gefühle, auch in politischen Debatten. Sie darf aber nicht verwechselt werden mit Zorn oder Hass. Ich finde zum Beispiel, dass “Wutbürger” der falsche Begriff ist. Diese Menschen sind nicht wütend, sondern hassgetrieben. Wut ist für mich ein konstruktives Gefühl, bei dem es um positive Veränderung geht.
In ihrer Berliner Altbauwohnung stillt Teresa Bücker Kind Nummer zwei. Es ist seit April 2020 auf der Welt. Das Familienleben teilt Bücker auch auf Instagram
Was würde passieren, wenn Frauen öfter auf den Tisch hauen und laut aussprechen würden, was sie ärgert?
Ich glaube, das passiert schon. Die Wut wird durchaus artikuliert, die Forderungen auch. Sie sind nur nicht eingebettet in Machtverhältnisse. Die Präsidentin des Juristinnenbundes, Maria Wersig, hat neulich in einem Podcast gesagt, dass Aufmerksamkeit für Themen nicht notwendigerweise heißt, dass man zu Ergebnissen kommt. Ich glaube, das sehen wir gerade in den letzten Wochen und Monaten.
Mit anderen Worten: Wir brauchen mehr wütende Frauen in Führungspositionen?
Ich weiß nicht, ob es noch mehr wütende Frauen geben sollte. Aber wir müssen die Entscheidungsgremien, die wir haben, so öffnen, dass Frauen dort auch vertreten sind.
Dein Vorbild Lore Maria Peschel- Gutzeit hat mit ihrem Elternzeit- Erfolg eine ganze Berufsgruppe umgepflügt. Wie unbequem dürfen – oder müssen – Forderungen nach mehr Gleichberechtigung sein, damit sie Erfolg haben?
Sie müssen eigentlich immer überzogen sein. Wenn ich Vorträge über den Wandel der Arbeitswelt halte, dann fordere ich immer die 20-Stunden-Woche, weil wir 20 Stunden als Idee in den Raum stellen müssen, um vielleicht eines Tages bei 30 Stunden zu landen. Würde ich von Anfang an nur 30 oder sogar 32 Stunden fordern, dann ginge das nicht weit genug. Es braucht Maximalforderungen, um Bewegung auszulösen.
Ohne radikale Ideen würde also ständig alles beim Alten bleiben?
Genau. Außerdem muss es immer Leute geben, die damit leben können, dass andere sie als radikal oder verrückt abstempeln. Peschel- Gutzeit tritt für das Wahlrecht ab Geburt ein und sagt, dass ihr das den Stempel einer verrückten alten Frau eingebracht hat. Aber das ist ihr völlig egal. Genau solche Figuren sind wichtig.
Gibt es Leute, die dich als verrückt abstempeln?
Sicherlich als zu radikal. Als Feministin hat man ohnehin keinen einfachen Stand. Manchmal höre ich: “Das mit der Gleichberechtigung kommt schon alles mit der Zeit.” Sehr oft werfen mir Menschen vor, ich sei ungeduldig. Aber es gibt keinen Grund, geduldig zu sein. Welches Argument gäbe es, zu sagen: “Es ist gerecht, wenn Frauen in 20 Jahren gleich bezahlt werden”? Warum nicht schon heute?
Warum reagieren eigentlich so viele Leute allergisch auf Veränderung?
Weil sie anstrengend ist. Deshalb kann ich es zwar nachvollziehen, dass man sie blockiert, weil sie Kraft und Zeit kosten kann. Aber Debatten bleiben an der Oberfläche, wenn man Veränderung abwehrt. Ich glaube, Veränderung, die nicht anstrengend ist, gibt es nicht. Wenn man gesellschaftlich oder in seinem Leben etwas bewegen möchte, dann wird es niemals einfach sein. Solidarität ist dabei ein wichtiger Faktor. Es reicht nicht, nur auf sich selbst zu schauen. Was uns als Menschen ausmacht ist ja, dass wir an andere denken können. Ich finde, das sollten wir uns immer wieder vor Augen führen, wenn wir über Veränderung reden. Sie muss nicht immer rein egoistisch getrieben sein. Man kann eine Veränderung auch mitmachen, obwohl man selber überhaupt nichts davon hat.
Dass Corona die Gesellschaft bei der Gleichberechtigung um Jahrzehnte zurückwirft, ist eine These, die in den letzten Monaten immer wieder durch die Medien gegangen ist. Wie erlebst du das?
Von vielen Frauen habe ich gehört, dass sie Stunden reduziert haben. Wenn ich mit Kolleginnen in Medienhäusern spreche, sagen sie, dass die Flure gerade männerdominiert sind. Eine Kollegin wurde gefragt: “Was machst du denn hier? Warum bist du nicht bei deinem Kind?” Mich irritiert das.
Was würdest du dir wünschen?
Wir haben in den letzten Monaten gesehen, dass die Politik sehr schnell Entscheidungen treffen kann, und dass dafür sehr viel Geld da ist. Daran sieht man, dass die Argumente gegen den Einsatz für mehr Gerechtigkeit vorher eigentlich nur Ausreden waren. Gleichberechtigung ist kein Thema, das dieselbe Priorität genießt wie das Erhalten von Arbeitsplätzen. Dabei könnten wir mit Gesetzen und Geld jederzeit viel bewegen.
Was hoffst du, antworten deine Kinder mit 36 auf die Frage: Was denkt ihr über eure Mutter?
Ich habe mir diese Frage tatsächlich auch schon gestellt. Ob ihnen ihre feministische Mutter dann peinlich ist? Ob ich dann die verrückte Alte bin? Auf jeden Fall möchte ich eine gute familiäre Beziehung zu ihnen haben, und ich hoffe, dass ich jemand bin, bei dem sie sich Rat suchen, wenn sie ihn brauchen. Ich hoffe, dass wir Gespräche auf Augenhöhe führen können und ich die Welt nochmal durch ihre Augen sehen kann. Kinder sind ja auch etwas, das einen jung halten und einem eine zusätzliche Perspektive geben kann. Sie sollen mich nicht dafür bewundern, was ich beruflich mache. Das ist mir egal. Stattdessen würde ich mir wünschen, dass wir über all die Dinge sprechen, die uns interessieren und die das Leben sonst noch ausmachen.
Kontraste: Auf dem Unterarm hat Teresa Bücker den Schriftzug „Femininja“ tätowiert. Ihren Kampf für mehr Gerechtigkeit in der Welt trägt sie mit Worten aus