turi2 edition #13: Christian Pfennig über Fußball, Fans und Fernsehen.
7. Februar 2021
Bleibt am Ball:Christian Pfennig zieht als DFL-Kommunikationsdirektor diskret die Strippen im Bundesligageschäft. Im Interview mit Peter Turi für die turi2 edition #13 tritt er im Clubhaus des FC Kalbach ausnahmsweise selbst ins Rampenlicht – und spricht über die gesellschaftliche Bedeutung des Fußballs: “Während Kirchen, Gewerkschaften und Parteien kontinuierlich an Zuspruch verlieren, bleibt der Fußball eines der letzten verbindenden Elemente unserer Zeit.” Sie können den Text im kostenlosen E-Paper lesen oder das Buch gedruckt bestellen.
Wenn das Jahr 2020 ein Fußballspiel wäre: Wie wäre dann die Überschrift zum Spielbericht?
Ich würde sagen: über den Kampf zum Spiel.
Was heißt das?
Zunächst einmal, dass wir kämpfen mussten, um nach dem Lockdown im Frühjahr zurückzukommen. Die DFL hat ein medizinisch-hygienisches Konzept erstellt und gemeinsam mit den Vereinen umgesetzt, das bis ins Detail durchdacht ist – und sich als wegweisend entpuppt hat. Es war aber alles andere als ein Selbstläufer, gegen enorme Widerstände wieder ins Spiel zu kommen. Und es ging und geht um viel.
Wer würde in dem Spielbericht 2020 die Bestnoten kriegen?
Die Bundesliga und 2. Bundesliga, alle Vereine, Spieler, Betreuer und Mitarbeiter, die jeden Tag unter den skeptischen Augen der Öffentlichkeit das anspruchsvolle Konzept von Professor Tim Meyer umgesetzt haben. Auch die Fans verdienen Bestnoten, denn sie haben verständnisvoll reagiert und sich viel disziplinierter verhalten, als viele es vorausgesagt hatten.
Wer wäre Man of the Match? Christian Seifert hat beim Krisenmanagement einen Riesenjob gemacht und dafür zurecht viel öffentliche Anerkennung bekommen. Er ist im Interesse des Profifußballs vorangegangen, hat zugleich Empathie gezeigt und den Primat der Politik nie in Frage gestellt. Profi-Ligen aus aller Welt haben unser Konzept übernommen.
Umso schlimmer, wenn der Topspieler auf die Transferliste gerät, um in einer anderen Liga zu spielen.
Ich arbeite seit mehr als 15 Jahren gerne und sehr gut mit Christian Seifert zusammen. Bis 2022 ist er ja noch da – was dann passiert, müssen wir sehen. Aber schade ist es in jedem Fall, dass er die DFL dann verlässt.
Christian Pfennig wird wird im WM-Sieg-Jahr 1974 in Osnabrück geboren und startet seine Karriere im defensiven Mittelfeld und bei der “Neuen Osnabrücker Zeitung“. Er besucht die Deutsche Journalistenschule in München und wird Spezialist für den FC Bayern beim Sport-Informations-Dienst (SID). 2004 wechselt er ins Team der Deutschen Fußball-Liga (DFL). Dort verantwortet er heute Marketing, Design, Unternehmenskommunikation und Lobbying der Bundesliga. (Foto: Holger Talinski)
Eigentlich ungewöhnlich, dass Leute den Profifußball verlassen – über den geht in Deutschland ja eigentlich nichts. Ist der angekündigte Abgang von Christian Seifert ein Fingerzeig, dass der Fußball in Deutschland seine beste Zeit hinter sich hat?
Nochmal: Ich finde seine Entscheidung schade, aber ich kann seine Beweggründe nachvollziehen. Das ist eine persönliche Entscheidung und sagt nichts über den Stellenwert des Fußballs in Deutschland.
Wer bekommt im Spielbericht zum Jahr 2020 die Note ungenügend?
Alle, die im Lockdown mit Halbwissen, Vorurteilen und Populismus Stimmung gegen den Fußball gemacht haben. Oftmals ohne Berücksichtigung von Fakten, wurde in einer Ausnahmesituation an einigen Stellen mit der Angst der Menschen Politik gemacht – während mehr als 50.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel standen. Ich habe mit Interesse gelesen, dass auch Herr Lauterbach seine Einschätzungen aus dieser Zeit mittlerweile zum Teil revidieren musste.
Müssten nicht auch einige Spieler schlechte Noten kriegen – die per Video oder auf Instagram geteilt haben, dass sie sich nicht an Regeln halten?
Dafür gab es Sanktionen. Die übergroße Mehrheit hat sich diszipliniert verhalten. Und: Wir haben auch in anderen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens erlebt, dass sich Abstands- und Hygiene-Regeln erst einspielen mussten.
Spätestens seit Herbst spielt Corona in fast allen Teams mit.
Es gibt aber nahezu keine bestätigten Ansteckungsketten innerhalb der Mannschaften. Das Hygiene-Konzept funktioniert also. Aber die Rückkehr von Reisen mit der Nationalmannschaft, aus Urlauben oder das Privatleben an sich sind eben auch Faktoren. Und Privatleben bedeutet nicht zügellose Partys, sondern ganz normale Kontakte – beispielsweise durch Schulkinder. Auch hier ist der Fußball Teil der Gesellschaft.
Sie sind dem Fußball doppelt verbunden: Als Direktor Marketing und Kommunikation und Mitglied der Geschäftsleitung der Deutschen Fußball Liga sowie als Vater eines Fußball spielenden Sohnes hier in der A-Jugend des FC Kalbach. Was war das Schlimmste an 2020?
Eindeutig das Fehlen von echter Kommunikation. Klar kann man im Home-office mit Videokonferenzen arbeiten. Aber das Inspirierende, Unmittelbare des persönlichen Austauschs fehlt. Wenn jeder nur noch auf sein Smartphone guckt und sich in seiner digitalen Blase bewegt, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn die Gesellschaft auseinanderdriftet.
Wo fehlt der persönliche Kontakt mehr: im Job oder hier am Spielfeldrand beim FC Kalbach?
Sowohl als auch – ich spiele ja selbst noch ab und an: Direkte Kommunikation ist durch nichts zu ersetzen.
turi2.tv: Christian Pfennig im Videofragebogen.
Was haben Sie im Jahr 2020 gelernt?
Mit Einigkeit, Klarheit und Partizipation lassen sich auch sehr komplexe Probleme lösen. Der Profifußball ist sonst im Wettbewerb naturgemäß sehr von Individualinteressen getrieben. Aber in der Zeit des ersten Lockdowns wurde so viel und offen miteinander gesprochen wie noch nie. Dieser Zusammenhalt hat sehr geholfen, uns durch diese Krise zu manövrieren.
Das nächste Spiel ist immer das Schwerste: Droht dem Fußball durch Corona ein Bedeutungsverlust?
Nein. Diese Bewertung ist zu einfach.
Die Einschaltquoten gehen aber nach unten.
Das stimmt nicht. Natürlich hatten die Menschen im ersten Moment des Lockdowns andere Sorgen. Aber schauen Sie sich die Fakten an: Die “Sportschau“ ist im Aufwind, Sky verzeichnete sogar Quotenrekorde. Hinzu kommen die steigenden digitalen Reichweiten.
Christian Seifert hat eine Studie zitiert, wonach der Fußball in vielen Ländern für Junge zwischen 14 und 24 “stark an Bedeutung verliert“. Seifert sagt auch: “Unsere größte Konkurrenz in Zukunft sind die Premier League und – Überraschung! – Netflix”.
Da hat er völlig recht. Das sind übergeordnete Trends, ganz abseits von Corona. Sie betreffen die Demografie, eine veränderte Mediennutzung, ein anderes Freizeitverhalten. Den jeweiligen Zielgruppen im Sinne unserer Medienpartner die passenden Angebote zu machen, ist seit jeher Teil unserer Strategie.
Durch die Digitalisierung globalisiert sich der Fan. Er folgt vielleicht medial seinem Lieblingsspieler in die Premiere League.
Letztlich ist alles ein weltweiter Wettbewerb um Aufmerksamkeit und die Lebenszeit von Menschen. Anders als früher ist das Alternativ-Programm im digitalen Zeitalter immer nur einen Klick oder eine App entfernt. Es bleibt die Frage, inwieweit 90 Minuten live auf technisch hohem Niveau mit einem 0:0 die junge Generation noch vor den Bildschirmen hält.
Wohl kaum. Die Aufmerksamkeitsspanne der Jungen wird durch die digitale Überflutung immer geringer.
Das ist richtig – und die Antwort darauf geben wir und unsere Medienpartner bereits. Zum Beispiel mit In-Match-Clips bei Sky: Dort kann der Fan schon während des Spiels die gerade erzielten Tore seiner Lieblingsmannschaft als Clip auf dem Smartphone oder Tablet ansehen.
Im Stadion könnte es leerer werden, auch nach Corona. Viele Fußballfans haben gelernt, dass man den Samstagnachmittag auch anders verbringen kann als im Stadion. Droht der Bundesliga da ein Strömungsabriss?
Wir alle erleben zum ersten Mal eine Situation, in der ein Virus die ganze Welt lahm legt. Natürlich macht das etwas mit den Menschen, das spüren wir alle. Aber was? Das weiß niemand. Mindestens genauso gut könnte es sein, dass viele sich erst recht nach dem Gemeinschaftserlebnis im Stadion sehnen. Irgendwann wieder ein volles Stadion – das wäre jedenfalls ein starkes Zeichen, dass wir als Gesellschaft einigermaßen über den Berg sind.
Wann wird das nach Ihrer Einschätzung sein?
Wenn ich das wüsste, ginge es mir besser.
Ist inzwischen nicht die Kluft zwischen den Stars und ihren Fans zu groß? Kaum kommt ein Spieler meiner Herzensmannschaft groß raus, wird er von Bayern oder Dortmund gekauft oder wandert ins Ausland ab. Da fällt es schwer, sich noch zu identifizieren.
Solche Kritik nehmen wir ernst. Natürlich gibt es objektive und vermeintliche Fehlentwicklungen, über die man sprechen muss. Andererseits: Diese Debatte um die Kommerzialisierung begleitet die Bundesliga seit ihrer Gründung 1963. Und dennoch ist der Profifußball in Deutschland insgesamt eine Erfolgsgeschichte. Auch weil die Bundesliga immer lernfähig ist. Sie hat seit Jahrzehnten die Kraft bewiesen, mit der Zeit zu gehen – zum Beispiel mit der Etablierung von Fan-Projekten in den achtziger und neunziger Jahren oder dem gesellschaftlichen Engagement von Vereinen und Verbänden. Aber klar: Wie jede Institution muss sich auch der Fußball hinterfragen, um erfolgreich zu bleiben.
Konkret?
Die DFL hat die “Taskforce Zukunft Profifußball“ gestartet, um aus verschiedenen Blickwinkeln über Themen wie Finanzen, Nachhaltigkeit, Fan-Dialog, die Förderung von Frauenfußball oder Sinn und Zweck eines möglichen Ethik-Katalogs ergebnisoffen zu diskutieren. Zum Beispiel mit Fanvertretern, aktiven Spielern und Sponsoren, aber auch Unternehmensberatungen und Spitzenpolitikern. Wo in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik gibt es noch einen so intensiven Diskurs?
Okay, aber was wäre für Sie persönlich eine Herzensangelegenheit?
Die Integrationskraft des Fußballs in einer Zeit der gesellschaftlichen Fliehkräfte zu bewahren – das ist es, was mich antreibt. Ich sehe es als meine Aufgabe, ein funktionierendes Miteinander unterschiedlicher Interessen im Sinne des großem Ganzen zu ermöglichen. Während Kirchen, Gewerkschaften und Parteien kontinuierlich an Zuspruch verlieren, bleibt der Fußball eines der letzten verbindenden Elemente unserer Zeit.
Fußball war in Deutschland nie nur Fernseh-, sondern auch Volkssport bis ins kleinste Dorf. Auch da gibt es Nachwuchsprobleme, der Zulauf in den Vereinen sinkt. Straßen-Fußball gibt‘s kaum noch, weil die Kinder lieber vor ihren digitalen Geräten sitzen. Da könnte man zum Kulturpessimisten werden, oder?
Pessimismus hat noch niemandem geholfen. Klar ist aber: Auch an der Basis gibt es große Herausforderungen. Das fängt damit an, dass Kinder häufig länger in der Schule sind und der Sportverein mit anderen Freizeitangeboten konkurrieren muss.
Letzte Frage: Wer wird am Ende der Bundesligasaison Dritter hinter Meister Bayern und Vize Dortmund?
Alte Fußballweisheit: Der kluge Prophet wartet den Eintritt der Ereignisse ab.
Allerletzte Frage: Auf welcher Position spielen Sie eigentlich privat?
Innenverteidiger – auch hier gilt: über den Kampf zum Spiel: Und Pässe in die Tiefe des Raumes.