Matthias Dang, Sie sind Geschäftsführer von IP Deutschland, Chef der Ad Alliance – und seit Neustem verantworten Sie auch Technologie und Daten bei der Mediengruppe RTL. Hat sich jetzt Ihr Gehalt verdreifacht?
Schön wär’s.
Da auch Ihr Tag nur 24 Stunden hat, müssen Sie ein virtuoser Multi-Tasker sein, oder?
Nein, überhaupt nicht. Ich glaube, sowas funktioniert nur, wenn man gute Kolleginnen und Kollegen um sich hat. Ich verantworte diese Bereiche zwar, aber wir arbeiten im Team. Als wir uns gefragt haben, wie wir unsere Arbeit innerhalb der Mediengruppe RTL aufteilen, ist schnell klar geworden, dass Vermarktung, Technologie und Data immer weiter zusammenwachsen. Deswegen ergibt es Sinn, das in eine Hand zu geben. Unser anderes großes Thema, der Content, ist bei Stephan Schäfer gebündelt.
Als Sie im Hauptberuf noch RTL-Vermarkter waren, hat Ihr Tag mit einem Glas Wasser begonnen und mit den TV-Quoten vom Vortag. Ist das noch immer so?
Meistens. Das Glas Wasser, dazu ein Kaffee oder Tee, ist geblieben. Heute bin ich meist schon vor den Quoten im Büro, strukturiere den Tag und beantworte E-Mails. Dann kommen irgendwann die TV-Quoten, die Leistungswerte unserer digitalen Plattformen und – ganz wichtig – die Zahl der Abos, die wir am Vortag mit TV Now, unserem Streamingdienst, geschrieben haben.
Wann beschäftigen Sie sich mit Print? Sie vermarkten ja auch das Portfolio von Gruner + Jahr und den “Spiegel“.
Wir haben einmal pro Woche eine Geschäftsleiter-Runde bei der Ad Alliance, da laufen alle Daten zusammen. Da geht es dann auch um Print und die Frage, was sich im Vergleich zur Vorwoche getan hat, vor allem beim Umsatz. Die Print-Auflagen und -Reichweiten kommen ja deutlich seltener als TV- und Digital-Zahlen.
2020 war für Print und TV kein leichtes Jahr. Wie groß ist der Luftsprung, den Sie machen, wenn es heißt: Corona besiegt, die Konjunktur brummt wieder?
Sie können davon ausgehen, dass der Luftsprung mindestens so hoch wie der Kölner Messeturm sein wird. Wir alle freuen uns, wenn wir die Pandemie hinter uns lassen können.
Wie haben Sie den Schock des Corona-Lockdowns im März erlebt?
Wenn man so lange im Berufsleben steht wie ich, ist man nicht ganz so leicht zu erschüttern. Ich habe erlebt, wie die Dotcom-Blase geplatzt ist, was nach den Anschlägen vom 11. September passierte und wie die Finanzkrise kam und wieder ging. Bei der Pandemie fragte ich mich: Womit vergleiche ich das jetzt? Was bedeutet das fürs Geschäft? Am Ende blieb einerseits eine große Verunsicherung, andererseits eine große Faszination darüber, was alles gleichzeitig passierte. Zwischen diesen beiden Polen pendelte mein Gefühl.
Was hat geholfen gegen die große Verunsicherung?
Mir haben unsere Geschäftsführungsrunden sehr geholfen, die wir anfangs täglich, später mehrmals pro Woche hatten. Da haben wir viele Szenarien durchgespielt. Einmal pro Woche haben wir uns mit Kollegen aus anderen europäischen Ländern, in denen die RTL Group tätig ist, kurzgeschlossen. Wir haben gefragt, wie es läuft in Frankreich, Italien oder den Niederlanden, die ja zum Teil härter und schneller von der Pandemie betroffen waren, und haben die Erfahrungswerte geteilt.
Wie verhagelt ist Ihre Jahresbilanz?
Im April und Mai hatten wir tatsächlich ein Minus im hohen zweistelligen Prozentbereich – so einen tiefen Einschnitt habe ich noch nie erlebt und das hätte ich auch nie erwartet. Es gab zwei Gründe, warum Kunden Geld aus der Werbung abgezogen haben: Entweder, weil die Geschäfte geschlossen und auch kein Verkauf möglich war, oder weil eine so große Verunsicherung herrschte, dass die Unternehmen gesagt haben, sie müssen jetzt erstmal Geld sparen. Im zweiten Lockdown ist das anders: Fast alle Geschäfte haben geöffnet und der Inlandskonsum ist wieder da – im Prinzip auf dem gleichen Niveau wie im Vorjahr, zum Teil sogar ein bisschen darüber. Das heißt: Die Menschen geben wieder Geld aus, wenn auch manchmal an anderen Stellen, der Travel-Bereich fehlt uns zum Beispiel komplett.
Und wie hoch ist das Minus am Jahresende?
Nach dem deutlichen Rückgang im ersten Halbjahr hat sich die Lage am Werbemarkt seit Herbst zum Glück wieder stabilisiert. Für das Gesamtjahr werden wir Einbußen hinnehmen müssen, diese fallen aber deutlich geringer aus als noch vor einigen Monaten angenommen.
Was haben Sie aus der Krise gelernt?
Die Krise ist ein Charaktertest. Es gibt Menschen und Unternehmen, die sagen: Wir stehen das gemeinsam durch. Und es gibt solche, die zuerst fragen: Was ist mit mir?
Wie funktioniert Werbeverkauf in Zeiten des Lockdowns? Eigentlich muss ein Verkäufer dem Kunden ja tief in die Augen schauen.
Im harten, ersten Lockdown haben wir tatsächlich alle Verhandlungen über Video-Konferenzen geführt, auch bei Millionen-Budgets. Dienstreisen waren bei den meisten Firmen nicht mehr erlaubt. Im Sommer hat sich das ein bisschen gelockert, da hatte ich ein paar persönliche Kontakte, aber um die 90 Prozent der Gespräche und Verhandlungen finden immer noch über Video-Calls statt.
Verändert sich die Gesprächs- und Verhandlungskultur?
Zum Teil schon. Wenn man sich lange kennt oder schon öfter miteinander zu tun hatte, macht es das einfacher. In der Werbe-und Agentur-Branche ist das zum Glück häufig der Fall, man weiß, wie der andere tickt. Bei Menschen, die man nur ein bisschen oder noch gar nicht kennt, finde ich es deutlich schwieriger. Wir kommunizieren ja auch über Mimik und Gestik und die kommt trotz Video oft nicht richtig rüber. Das kann Räume für Missverständnisse öffnen. Daher sitze ich lieber mit jemandem am gleichen Tisch als in einem Videochat.
Werbegeld fließt immer digitaler und immer mehr zu den großen Plattformen Google, Facebook, Amazon und Co. Was tun?
Die Gafas machen es aus ihrer Sicht richtig: Sie sammeln alle Daten und geben keine heraus. Gleichzeitig bekommen YouTube, Facebook, Instagram und Co von uns jede Menge kostenlosen Content und verdienen so eine Mörderkohle. Um dem etwas entgegen zu setzen, müssen wir technologisch unabhängig von den Gafas bleiben. In der RTL Group haben wir zum Beispiel unsere komplette Video-Infrastruktur von den US-Techkonzernen abgekoppelt und halten auch unsere Daten in unserem eigenen System. Aber: Wir brauchen Allianzen. Die Ad Alliance war genau das Richtige zum Anfang, genauso D-Force, unser Joint-Venture mit ProSiebenSat.1. Das treiben wir voran, auch über Deutschland hinaus. Wir müssen als Europäer unsere Kräfte bündeln, um eigenständige, für Partner offene Infrastrukturen anzubieten. Am Ende wollen die Werbekunden Kontakte kaufen – egal ob bei Facebook, YouTube oder bei uns – und da sind Reichweite und Werbewirksamkeit die wichtigsten Argumente.
Es kommt also auf die Größe an?
Ja. Und auf Vielfalt. Wir müssen in die Breite und in die Tiefe gehen, wobei Breite für möglichst vielfältige Medien und Zielgruppen steht und Tiefe für die Menge an Kontakten.
Matthias Dang schafft im Bertelsmann-Reich die Werbekohle ran. Der Mann aus Mainz ist Jahrgang 1967, er startet als Automechaniker und kommt nach dem Studium 1993 zum RTL-Vermarkter IP, 2012 wird er dessen Chef. Jahrelang arbeitet Dang in seiner Freizeit als Profi-Handballschiedsrichter. Dang gilt als Architekt und Kopf der Ad Alliance. Die vermarktet Printtitel wie “stern“, “Spiegel“ und “Bild“ im Paket mit TV (u.a. RTL, n-tv) und Radio. Sie soll vor allem einen schmerzlichen Abwärtstrend stoppen: Werbebudgets für Bertelsmann-Medien schrumpfen seit Jahren. Zuerst beutelte es Gruner + Jahr, jetzt drohen Rückgänge auch bei RTL und Co. (Foto: Selina Pfrüner)
Inzwischen vermarktet die Ad Alliance so unterschiedliche Print-Titel wie “Spiegel“, “stern“ und “Bild“. Ist die Lage so ernst, dass Sie sich mit jedem verbünden?
Im Gegenteil: Wir haben in den vergangenen Jahren viele Gespräche mit möglichen Partnern geführt und überlegen sehr genau, wer in die Ad Alliance hineinpasst. Bevor wir über Größe, Qualität und saubere Umfelder sprechen, geht es uns ums Mindset. Wir sehen uns als Gemeinschaft von Überzeugungstätern, die an einem Strang ziehen. Und: Niemand muss dabeibleiben. Wer feststellen sollte, dass die Ad Alliance nichts für ihn ist, kann auch wieder ausscheiden – natürlich im Rahmen der Verträge.
Publizistisch liegen zwischen “Bild“ und “Spiegel“ Welten.
Genau. Und diese Vielfalt der Mediennutzung vermarkten wir. Auf der Content-Seite bilden “Bild“ und “Spiegel“ zwei Pole. Der Blick auf den Markt und die Vermarktung ist aber ganz ähnlich. Wir haben einmal pro Monat eine Konferenz mit den verschiedenen Auftraggebern der Ad Alliance. Da kommen alle Probleme auf den Tisch und es wird auch mal kontrovers diskutiert. Aber am Ende würden Sie sich wundern, wie wenig Diskrepanzen es gibt und wie gut wir uns verstehen.
Wer kommt als nächstes? Burda? ProSiebenSat.1?
Aktuell steht nichts vor der Tür. Das hätte auch wettbewerbsrechtliche Grenzen. Ich denke, im Moment haben wir eine gute Größe. Die von Ad Alliance vermarkteten Plattformen erreichen 99 Prozent der Bevölkerung – im Monat. Klar ist das erstmal eine theoretische Größe, aber die Zahl zeigt, wo wir stehen. Die eigentliche Challenge für so einen großen Vermarkter wie uns ist es, auch in den Nischen gut aufgestellt zu sein. Wir haben Kunden, die investieren zweistellige Millionen-Beträge pro Jahr in Werbung und welche, die geben 10.000 Euro aus. Da eine gute Balance hinzubekommen, ist uns sehr wichtig.
Sie haben 750 Mitarbeiter*innen in der Ad Alliance, wie können die im Home-Office zusammenspielen?
Das braucht viel Verständnis und Flexibilität. Gerade im ersten Lockdown war klar: Wo die ganze Familie zu Hause war und die Wohnung nicht dafür ausgelegt ist, in Ruhe arbeiten zu können, braucht das mehr Zeit und mehr Akzeptanz. Im Lockdown vor Weihnachten haben wir aber gemerkt, dass sich das eingegroovt hat. Unsere Überzeugung ist, dass es nie wieder so kommen wird, wie es vor Corona war, wir werden immer weiter in eine flexible Arbeitswelt kommen. Dahin waren wir schon vor der Krise auf dem Weg, aber die Pandemie hat es um Lichtjahre beschleunigt.
Sie waren lange Handballbundesliga-Schiedsrichter, da kann man es nie allen recht machen. Hilft die Erfahrung?
Ja, in gewisser Weise schon. Wie sehr bei mir beides, also das Hobby als Schiedsrichter und der Job bei RTL, zusammenhingen und ineinander verzahnt waren, habe ich aber erst rückblickend gemerkt. Als Handballschiedsrichter muss ich auch Team-Spieler sein. Ich muss mich blind und zu 100 Prozent auf meinen Co-Schiedsrichter verlassen können. Man hat in der Halle ja keine Freunde, alle wollen dich beeinflussen, es herrscht ein enormer Druck.
Genau wie im Media-Geschäft?
Ein bisschen. Auch hier muss ich mich blind auf die Kolleginnen und Kollegen verlassen können. Ich muss Verantwortung delegieren – und die Kunden wollen natürlich auch immer was von Dir, am liebsten Rabatte.
Wie geht man richtig mit Fehlentscheidungen um?
Beim Handball kommt es drauf an, wann man den Fehler bemerkt. Manchmal sieht man erst hinterher in der Video-Analyse, dass man daneben gelegen hat. Wenn man im laufenden Spiel eine Fehlentscheidung trifft, heißt es dennoch, konsequent zu bleiben, ohne sich aufzuspielen. Im Einzelgespräch mit einem Spieler habe ich dann aber schon mal gesagt: “Sorry, ich lag daneben, kann es aber nicht mehr ändern.“ Und das versteht der dann auch.
Und im Job?
Klar, auch da trifft man mal eine Fehlentscheidung oder es geht mal etwas schief. Da kann – und muss – man intern auch in größerer Runde drüber sprechen.
Was wünschen Sie sich für das Jahr 2021?
Wichtig ist, dass wir möglichst alle gesund durch die nächsten Monate kommen. Ich hoffe, dass uns der Impfstoff dabei hilft, schrittweise wieder zurück zur Normalität zu kommen. Und beruflich: Dass sich die Märkte schnell wieder erholen.