turi2 edition #21: Wie ist es, Marken ein schlechtes Gewissen zu machen, Kerstin Scheidecker?
25. Juli 2023
Zeugnisausgabe: Es ist ein starkes Gefühl, “Dinge zum Besseren zu wenden”, schreibt Kerstin Scheidecker im Gastbeitrag in der turi2 edition #21. Die Chefredakteurin von “Öko-Test” berichtet, die meisten Marken reagierten “fair” auf die Testergebnisse ihres Magazins. Nur manchmal fühle es sich an wie der “berühmte Kampf gegen Windmühlen”.
Von Kerstin Scheidecker
Meine Aufgabe fühlt sich gut an: Sagen, was drin ist. Aufklären. Markenversprechen hinterfragen, Verbesserungen erwirken. „Öko-Test“ streitet für gesundheitlich unbedenkliche, ökologische Produkte.
Und natürlich ist es dann erschreckend, wenn in unseren Tests immer wieder ausgerechnet einige der Lieblingsmarken der Deutschen durchfallen. Zwei aktuelle Beispiele aus dem Frühling 2023: Da ist etwa der Marktführer unter den Ketchups. Das von „Öko-Test“ beauftragte Labor hat darin einen höheren Gehalt an Schimmelpilzgiften gemessen als in jedem anderen Produkt im Test. Oder die „Nr. 1 der löslichen Kakao-Getränke“ – bei „Öko-Test“ schneidet die Marke mit einem „ungenügend“ ab, unter anderem wegen Mineralölbestandteilen. Das sind für Verbraucherinnen und Verbraucher natürlich keine guten Nachrichten. Trotzdem: Es ist ein starkes Gefühl, Dinge zum Besseren zu wenden.
Denn tatsächlich sind unsere Tests auch eine Chance. Wenn Hersteller uns mitteilen, sie hätten ihre Marke verbessert und einen Missstand behoben, dann testen wir noch einmal und veröffentlichen das neue, gegebenenfalls bessere Ergebnis. Wir machen dabei die Erfahrung, dass viele große Markeninhaber sehr professionell kommunizieren, fair auf unsere Tests reagieren und teilweise an Problemen, die wir benennen, arbeiten. Vor allem, wenn es um sensible Produkte geht. Babynahrung ist so ein Produkt. Die Hersteller arbeiten zum Beispiel ernsthaft daran, den Gehalt von Mineralölkohlenwasserstoffen in ihren Muttermilchersatzprodukten zu senken, die Produkte sind über die Jahre viel besser geworden. Inhaber großer Marken waren hier vorne mit dabei. Das ist ein Erfolg für „Öko-Test“ und natürlich für die Verbraucher.
Auf der anderen Seite gibt es Marken, die unsere Arbeit gelassen an sich vorbeiziehen lassen. Wir können sehr oft schreiben, dass Antifaltencremes nicht halten, was sie versprechen und diese falschen Versprechen auch mit schlechten Noten quittieren – die Marketingstrategen der Kosmetikkonzerne setzen trotzdem weiter auf Anti-Aging-Marken. Das ärgert mich. An manchen Stellen fühlt sich meine Aufgabe an wie der berühmte Kampf gegen Windmühlen. Und ja: Nicht jeder sieht die Welt mit unseren Augen und geht mit unseren Testergebnissen d’accord. Der Gegenwind pfeift mitunter gewaltig.
Dennoch lohnt sich die Sache. Auch für die, die wir testen: Ein gutes Resultat adelt jede Marke. Viele Hersteller sehen das so und werben mit einem entsprechenden „Öko-Test“-Ergebnis auf ihren Produkten. Sie nutzen die Strahlkraft unserer Marke. „Öko-Test“ steht für Glaubwürdigkeit und Verbraucherschutz. Dafür, dass Dinge gut sind für Mensch und Umwelt. Wir arbeiten hart daran, hohe Standards zu erfüllen und hüten unsere Glaubwürdigkeit wie einen heiligen Gral. Insofern wissen wir sehr genau, was es heißt, eine Marke zu verteidigen. Marke verpflichtet – hier haben wir vielleicht doch mehr mit den Markengiganten, denen wir mit unseren Tests auf die Füße treten, gemeinsam, als es auf den ersten Blick scheint.
(Foto: Nina Rocco/Öko-Test)
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