turi2 edition3: Hinter den Kulissen der “Apotheken Umschau”.

Medikamenten-Preisbindung in Apotheken20 Mio Deutsche lesen regelmäßig die “Apotheken Umschau”. Doch wie wird sie eigentlich gemacht? Jens Twiehaus hat die Redaktion für die turi2 edition3 besucht – und einen umtriebigen Chef getroffen.

Andreas Arntzen eilt über die Dorfstraße von Baierbrunn, Worte wie Internationalisierung, Digitalisierung und Service-Orientierung purzeln ihm aus dem Mund. Es gibt viel Platz für Visionen hier draußen, in der 3.000-Einwohner-Gemeinde am Südrand des Grünwalder Forsts, und Arntzen steht erst am Anfang eines forschen Umbauprogramms. Auf seinem Weg lässt sich der Hamburger, 1,95 Meter groß, ehemals Torhüter im Hockey-Nationalteam, nicht so leicht aufhalten: Ein Gartentor ist verschlossen, er überklettert einfach das danebenliegende Mäuerchen.

Arntzen ragt nicht nur körperlich heraus: Er läuft in Lederschuhen durch den Staub einer Baustelle und grüßt den bayerischen Hausmeister mit einem norddeutschen “Moin”. Der Manager, den sie als Tormann “Arntzi” nannten, ist nicht gekommen, damit es im Zwiebeltürmchen-Schatten der Dorfkirche St. Peter und Paul ruhig bleibt. Seit März 2016 ackert Arntzen mit hochgekrempelten Ärmeln als Geschäftsführer beim Wort & Bild Verlag im Süden Münchens. Der stille Riese unter den Kleinverlagen hält eine Geldmaschine am Laufen – die “Apotheken Umschau”. “Rentner-Bravo” nennen Kritiker die “AU” – was schon deshalb nicht passt, weil es dem Blatt blendend geht und seine Zielgruppe, Senioren mit Zipperlein, stetig wächst und bedrucktem Papier die Treue hält.
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Sogar nachts ist Arntzen im Verlag. In Haus 7 wird ein Gäste-Appartement unter der Woche zur Chefwohnung. Der Neue formuliert Ansprüche an seine altgediente Belegschaft: “Ich wünsche mir, dass jeder Mitarbeiter stolz mit der ‘Apotheken Umschau’ unter dem Arm herumläuft.” Er lebt die Begeisterung vor: Auf Geschäftsreisen stecken stets ein paar Zeitschriften in seiner Tasche. Im Zug oder am Flughafen, erzählt er, verschenkt er das Posterheft “medizini” an
weinende Kinder.

Die “Apotheken Umschau” ist ein Solitär unter den Zeitschriften. Es gibt keinen anhaltenden Auflagenverfall. 9,3 Mio Exemplare kaufen die Apotheker jeden Monat für etwa 0,50 bis 1 Euro, um sie an ihre Kunden zu verschenken. 20 Mio Leser informieren sich durch die “Apotheken Umschau” über Grippe, Gicht und Gliederschmerzen – aber auch über Burn-out und Potenzstörungen. Jeder Leser muss sein Heft in der Apotheke abholen, ein direktes Abo
gibt es nicht. Auch wenn die Zahl der Apotheken in Deutschland leicht sinkt – die Geschäfte des Wort & Bild Verlags sind kerngesund.

Die Apotheker müssen das Heft kaufen, sonst lösen Kunden ihre Rezepte anderswo ein

Bereits 1956 etablierte Verleger Rolf Becker das ebenso geniale wie gerissene Vertriebskonzept, das heute noch funktioniert. Mit hohem Werbedruck erzeugt der Verlag ein Verlangen bei den Verbrauchern. Die markante Stimme von Schauspieler Sky du Mont brummt “Lesen, was gesund macht” über Radio- und TV-Spots ins Hirn der Deutschen, und zwar “jetzt in Ihrer Apotheke”. Die Apotheker müssen die Hefte kaufen. Sonst lösen Kunden ihr Rezept bei einer Apotheke ein, in der sie die „Apotheken Umschau“ bekommen. Gründer Becker erkannte früh, dass seine Idee ausbaufähig ist. Er schuf für spitzere Zielgruppen den “Senioren Ratgeber”, den “Diabetes Ratgeber”, das Kindermagazin “medizini”, den “Ärztlichen Ratgeber” für werdende Eltern sowie “Baby und Familie”. 2007 kam als vorerst letzte Titelgründung das “HausArzt Patientenmagazin” hinzu. Speziell der Markt für die Älteren wächst: 17,5 Mio Menschen über 65 leben in Deutschland, in 30 Jahren werden es fast 23 Mio sein. Die meisten “neuen” Alten stehen heute noch in Lohn und Brot. Sie sind gut gebildet, sozial abgesichert und werden konsumfreudig bleiben.

Leichte Schwankungen bei Auflagen und Anzeigen muss auch Wort & Bild hinnehmen – aber ernsthaft Sorgen macht sich in Baierbrunn niemand. Auch wenn Gründervater Rolf Becker 2014 starb und seine Erben nach einem kurzen Übergang Andreas Arntzen als Antreiber und Change-Manager holten. Im beschaulichen Baierbrunn fällt mehrfach der Begriff “Insel der Glückseligkeit”. Nicht von Arntzen – dem Ex-Leistungssportler ist Selbstzufriedenheit zuwider. Er mahnt zum Aufbruch: “Wir können noch agieren und müssen nicht reagieren.” Diesen Satz sagt er allein im Laufe eines Tages drei Mal, seinen Mitarbeitern bluten vermutlich die Ohren.
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Video-Interview mit Chefredakteur Hans Haltmeier: