Schwups, weg waren sie: Mutter Beimer, Trash-Talks am Nachmittag und ein erfolgloser deutscher YouTube-Konkurrent sind Geschichte, aber nicht vergessen. In den turi2 Screen-Wochen holen wir neun Bildschirm-Phänomene für kurze Zeit zurück in ihr natürliches Habitat.
Tägliches Talken ist in den 90ern das Erfolgsrezept privater und öffentlich-rechtlicher TV-Nachmittage. Bei RTL startet „Hans Meiser“ (Foto oben) 1992 die Welle, „Arabella“, „Bärbel Schäfer“, „Sonja“, „Andreas Türck“, „Fliege“ und viele andere folgen. Bei bis zu sechs Stunden pro Tag ist Übersättigung vorprogrammiert, die Formate enden nach und nach. Wenn Hosts ihre Namen heute an Shows verleihen, geht es meist nicht ums Fremdgehen. Läuft es schlecht, ist das Diskursniveau aber nicht weit von den Daily Talks entfernt.
2. Lindenstraße
Sie gilt als Institution im deutschen Fernsehen. Fast 35 Jahre und 1.758 Folgen lang bespielt die „Lindenstraße“ mit Mutter Beimer das Feld der öffentlich-rechtlichen Vorabend-Unterhaltung. Andere Heile-Welt-Serien wie „Der Landarzt“, „Forsthaus Falkenau“ oder „Unser Charly“ überlebt die WDR-Produktion zwar. Doch 2020 ist Schluss. Zwei Jahre später wird auch die Außenkulisse der „Lindenstraße“ mitsamt Restaurant Akropolis, Supermarkt und Wohnhäusern in Köln-Bocklemünd abgerissen.
Im Alltag und auf unseren Screens lichtet sich der blaue Dunst seit Jahrzehnten. Der Marlboro-Cowboy ist mit dem Ende der Zigaretten-Werbung in den Sonnenuntergang geritten. Selbst der letzte Talkshow-Quarzer Helmut Schmidt verdichtet mittlerweile die Wolken im Himmel. In Filmen und Serien bleibt Tabak noch Protagonist, hat aber seine Omnipräsenz längst eingebüßt. Oft glimmt die Kippe eher aus Verlegenheit und Einfallslosigkeit auf dem Screen, ästhetisch sieht’s meist trotzdem aus.
4. Periscope
Ein Periskop hilft beim Rausgucken aus U-Boot oder Bunker. Da passt es, dass mit Twitter 2015 ausgerechnet das Social-Media-Schlachtfeld die App Periscope kauft. Damit sind Live-Videoübertragungen auf der Plattform möglich. Sechs Jahre, einen Hype und einige Copyright-Probleme später ist die Anwendung schon wieder Geschichte. Genau wie die andere große Broadcasting-App Meerkat.
5. Datumsanzeige
Wenn heute Videos mit gelber Datums- und Zeitangabe auftauchen, muss jemand tief im Archiv gegraben haben. Noch vor wenigen Jahrzehnten ist das Erfassen von derlei Infos im Bild, vor allem bei Home Videos, jedoch Usus. Auch Fotoapparate versehen Bilder teils mit sichtbarem Zeitstempel. Heute machen die meisten Telefone bessere Aufnahmen als die Spezialgeräte von damals – und speichern Zeit und Ort elegant in den Metadaten.
ZDF-Ansagerin Birgit Schrowange im Jahr 1983
6. Programmansagen
Der schnöde Mammon besiegelt das Ende der Programmansagen in Fernsehen und Radio. Die Privaten wittern vor rund drei Jahrzehnten mehr Werbeminuten, ARD und ZDF ziehen nach. Dabei liefert die Einordnung des Programms nicht nur Infos, sondern auch Motivation zum Weitergucken. Heute bleibt noch „Schlefaz“ mit Oliver Kalkofe auf Tele 5 – als eine Art Gaga-Deluxe-Version der Programmansage.
7. Sevenload
Im wilden Westen des Videostreamings der 2000er versuchen einige Anbieter, Shootingstar YouTube Konkurrenz zu machen. Mit dabei ist Sevenload, 2006 gegründet und 2010 von Burdas DLD Ventures übernommen. Das Startup setzt auf Partnerschaften mit TV- und Musikfirmen sowie User-Generated-Content. Doch Googles Videoplattform lässt der kleinen Konkurrenz keine Chance. Selbst international überleben andere Videoportale wie Vimeo bis heute nur in der Nische.
8. Snake
In den 90ern kann man die Pixel auf den Mini-Screens von Mobiltelefonen noch einzeln zählen. Snake wird zum Nonplusultra des Mobile Gaming und hat Suchtpotenzial. Bis heute ist wohl kein Spiel so sehr mit einem Hersteller verbunden wie die gefräßige Schlange mit Nokia. Moderne Variationen des Reptils, etwa von Google oder Spotify, kriechen auch heute noch über Computer- und Smartphone-Bildschirme. Die popkulturelle Relevanz alter Tage haben aber Candy Crush, TikTok und Co geschluckt: Die Schlange ist irgendwann satt, der Feed endet nie.
9. Bildstörungen
Wie das Kratzen beim Abspielen einer Schallplatte gehören Bildstörungen zu Hause und im Kino bis in die 2000er einfach dazu – Laufstreifen oder Flecken sind auf dem Bildschirm und der Leinwand sichtbar. Heute wird fast ausschließlich digital gefilmt und projiziert. Mit jedem Fehlerchen verliert das frisch aufpolierte Western-Dorf aber auch ein Stück Charme.
Dieser Text ist Teil der Screen-Wochen bei turi2. Bis 8. Oktober beschäftigen wir uns auf turi2.de mit Entwicklungen und Trends für Bildschirme – von der Smartwatch bis zum großen Werbescreen.
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