turi2 edition #13: Katrin Gottschalk über Aktivismus und Aufreger.
15. Januar 2020
Trennlinie:Katrin Gottschalk, Vize-Chefredakteurin der “taz”, hält Objektivität im Journalismus für eine Illusion. In ihrem Gastbeitrag in der turi2 edition #13 schreibt die Journalistin über das redaktionelle Verständnis ihrer Zeitung – und erklärt, warum sie aus ihrer Sicht Haltung zeigen und gleichzeitig fair bleiben kann. Sie können das Buch hier als kostenloses E-Paper lesen oder gedruckt bestellen.
In unserer kleinen Medienwelt war das ein großer Aufreger: Im Herbst ging der “stern” eine Kooperation mit Klimaaktivist*innen ein. Die Gäste steuerten Texte bei, auf der Titelseite stand #KeinGradWeiter. Wir in der “taz” schauten uns das neugierig an. Bei uns haben solche Aktionen eine lange Geschichte – es sind freundliche oder auch feindliche Übernahmen, mal vom Verein Pro Quote, mal von Springer.
Mit diesen Einmal-Aktionen verschiebt sich kein journalistisches Grundverständnis. Für einen Tag werden Prioritäten durchgeschüttelt, aber keine Leitlinien verändert. Aber beim “stern” kam die Frage auf: Ist das noch Journalismus?
Die Forderung der Klima-Aktivist*innen ist: Schreibt so, dass alle verstehen, dass das Haus brennt. Das ist aus einer gut nachvollziehbaren Perspektive nichts anderes als “Schreiben, was ist”. Manche finden allerdings gar nicht, dass es brennt – oder vielleicht nur ein bisschen. Und hier entsteht der Dissens darüber, wo die Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus verläuft.
Auch das Verwenden von diskriminierungsarmer Sprache ist für mich Abbildung der Realität. Mit einem Sternchen und der weiblichen Form nenne ich Männer, Frauen und nicht-binäre Personen. Für andere ist das aktivistisch. Weil die wissenschaftliche Evidenz gar nicht anerkannt wird, dass das generische Maskulinum in den Köpfen der Lesenden nicht gleichermaßen Frauen ins Bild ruft. Wo kein Problem gesehen wird, muss nichts anders gemacht werden.
Die Frage nach der Grenze zum Aktivismus wird also schon beim “Schreiben, was ist“ kompliziert. Aber es gibt zum Glück ja nicht nur diesen einen Satz von Rudolf Augstein, mit dem wir journalistisches Selbstverständnis definieren. Eine goldene Regel ist auch: Journalist*innen sollen sich nicht mit einer Sache gemein machen. Wenn wir über die Besetzung eines Waldes berichten, sollten wir nicht selbst zu Besetzer*innen werden.
Recherche, Faktencheck und Transparenz sind Kern unseres Arbeitens. Nur fällen wir ja auch täglich Entscheidungen, die unseren Journalismus außerdem beeinflussen. Ob ich etwa für eine Reportage die Besetzer*innen oder die Polizei begleite, wenn ich beides nicht schaffe. In jedem Fall müssen wir die Eigenlogik beider Seiten nachvollziehbar darstellen – aber welche Nachvollziehbarkeit wiegt am Ende schwerer?
Journalismus trägt immer den menschlichen Faktor in sich. Wir als Subjekte in Kollektiven bestimmen, über wen und was wir schreiben, wen wir für Interviews treffen, welche Fragen wir für wichtig erachten, wo wir dranbleiben, und was auf eine Titelseite kommt. Hinter unseren Entscheidungen steckt unsere Haltung, das gilt für jede*n Einzelne*n und auch fürs ganze Medium. In der “taz” glauben wir, dass es möglich ist, die Haltung auch offenzulegen, ohne unfair zu sein. Jedenfalls halten wir das für besser, als irgendwelche Objektivitäts-Kulissen aufzustellen. Wer etwa das Nennen von Frauen und nicht-binären Menschen in der Sprache nicht so wichtig findet, wird kein Gendersternchen oder Ähnliches nutzen. Und wer Geschlechtergerechtigkeit lediglich für ein Querschnittsthema hält, wird sich keine eigene Redakteurin zum Thema leisten. Personalpolitik ist politisch, klar. Und die Wahl von Fachgebieten ist politisch.
Wir haben als “taz” seit Jahren Expertise zu Feminismus und Klimakrise im Haus. Wir konnten mit unserer Recherche-Kraft ein rechtes Terrornetzwerk aufdecken. Dass es diese Expertise in der “taz” gibt, ist kein Zufall, sondern Ergebnis publizistischer Entscheidungen. Das macht unsere Redakteur*innen längst nicht zu Aktivist*innen. Sie berichten faktenbasiert und leidenschaftlich.
Mit unserer im Haus versammelten Expertise blicken wir nun ins Superwahljahr 2021. Wir werden darüber berichten, was rechte Parteien in den Parlamenten und im Wahlkampf treiben, was für mehr Klimaschutz getan wird und werden muss, und warum soziale Gerechtigkeit auch 2021 ein Kernthema ist. Niemals plump proklamierend, sondern journalistisch präzise und mit Haltung.