“Kunst ist ein Experimentierfeld” – Regisseur Max Färberböck im epd-Interview.
30. April 2022
Von Franken fasziniert: Am 1. Mai zeigt Das Erste mit der Folge Warum den achten “Tatort Franken”. Regisseur und Autor Max Färberböck hat den “Tatort Franken” vor sieben Jahren gemeinsam mit seiner Co-Autorin Catharina Schuchmann erfunden. Im Gespräch mit Diemut Roether bedauert Färberböck bei epd Medien, dass im “Tatort” Dialekt “nicht gerne gehört” wird. An Nürnberg fasziniert den Oberbayern “ganz besonders die Lebenszugewandtheit und der Humor der Bevölkerung”. In deutschen Komödien stört Färberböck “das unbedingte Bedürfnis, komisch zu sein”. turi2 veröffentlicht das Interview in Kooperation mit epd Medien in der neuen, wöchentlichen Reihe Das Beste von epd Medien bei turi2.
Herr Färberböck, Sie haben einmal gesagt, jeder Mord ist eine Tragödie. In ihrem neuen “Tatort” aus Franken mit dem Titel “Warum?” zeigen Sie in den ersten Minuten, wie schrecklich es für die Angehörigen ist, wenn ein Mensch gewaltsam aus dem Leben gerissen wird …
Ich wollte das möglichst komprimiert erzählen: Ein absolut freudvoller, total unbelasteter und positiver Kerl liegt nach ein paar Minuten tot im Schlamm.
Er hat eine Freundin, die ihn liebt, seine Mutter hat für ihn gekocht, sie freut sich auf seinen Besuch und dann kommt er nicht. Die Kommissare erfahren, es gibt niemanden, der etwas Schlechtes über diesen Mann sagt. Sie suchen in der ersten Hälfte des Films verzweifelt nach einem Motiv und man hat zunächst das Gefühl, das war ein Zufallsopfer. Das macht den Fall noch tragischer.
Das ist die Art, wie ich gerne Krimis oder “Tatorte” erzähle. Es gibt nicht die normalen Recherchen. Es gibt auch keine Testosteronwalzen, sondern es gibt Menschen, die in eine Situation geraten, die sie nicht mehr meistern können. Auf beiden Seiten. Deshalb haben wir auch das Nürnberger Team im Franken-“Tatort” so lebendig gestaltet. Das sind Menschen aus dem Leben, sie haben Humor, sie haben einen vitalen, zugreifenden Geist, sie lassen keine Gelegenheit für Spaß aus. So werden sie von den Tragödien, mit denen sie umzugehen haben, auch persönlich getroffen. Sie helfen sich da gegenseitig immer wieder raus, aber man merkt, dass damit eine große Ambivalenz verbunden ist. Und das ist mein Hauptthema, Ambivalenz. Dieses Thema ist unerschöpflich: Die Zweischneidigkeit unserer Charaktere, unseres Empfindens und unseres Lebens. Wenn ich ein Bild schaffe dafür, dann ist das so: Man wirft eine Münze in einen Brunnen, schaut ihr hinterher, aber man hört nicht, wann sie aufgekommen ist. Dann tritt eine Leere ein. In dieser Leere bewegen sich diese Filme. Es gibt keine Serienkiller, die Filme spielen in den Höhlen des Innenlebens von Menschen, die nicht unbedingt schlecht sind.
Sie und Catharina Schuchmann haben für den BR den “Tatort Franken” erfunden, sie haben das Team erfunden. Welche Rolle spielt für Sie Nürnberg in diesen Filmen?
Als meine Co-Autorin und ich den ersten “Tatort Franken” entwickelt haben, war die Zeitnot sehr groß. Wir haben das erste Drehbuch sozusagen im Flug geschrieben. Ich war vorher nicht oft in Nürnberg, ich kannte die Stadt eigentlich gar nicht. Ich weiß noch genau, wie ich mit dem Auto von der Berlinale kam und eine grüne Welle durch die ganze Stadt hatte. Und an der ersten Ampel, an der ich stehen blieb, war ein Waffengeschäft. Ich bin dann noch die ganze Nacht durch Nürnberg gefahren. Mich hat die Stadt sofort architektonisch fasziniert und ganz besonders die Lebenszugewandtheit und der Humor der Bevölkerung. Das hatte ich nicht erwartet, ich bin ja Oberbayer. Es gab vom ersten Tag an Menschen, die mich beflügelt haben.
Und welche Rolle spielte das Waffengeschäft?
Es gibt eine Geschichte von Jorge Luis Borges, in der zwei Waffen an der Wand hängen und sich unterhalten, wen sie sich für sich die nächste Tat aussuchen. Ich dachte, das könnte ein Grundprinzip für die Erzählung sein.
Eine Waffe sucht einen Mörder …
Genau! Dann kamen schon die Castings für die Schauspieler. Ich hatte im Internet einen kleinen Fetzen von Andreas Leopold Schadt gesehen, der den Fleischer spielt. Der wollte gar nicht mehr spielen. Mit ihm habe ich ein kleines Casting gemacht und dann gesagt: Bitte, spiel diese Rolle. So hat sich der Cast ganz schnell etabliert. Das Grundprinzip der Filme ist, dass sie eine private Tragödie zu erzählen haben. Ich erzähle keinen Krimiplot, bei dem die Zuschauer Wetten abschließen und entspannen können. Die Filme erzählen von emotionalen Verzögerungen, von Existenzen, die mitten aus dem Leben herausgelöst und hinweggefegt werden.
In Ihrem neuen Film ist das sehr eindrücklich: Die Mutter des getöteten Mannes bekommt vor Kummer kaum einen Satz heraus, die Freundin des jungen Mannes sagt auch nichts, und die Kommissare tappen im Dunkeln und fragen sich: Wo setzen wir an?
Ich vermeide die üblichen Verdächtigen, die normalerweise die Plots bevölkern. Ich vermeide Plots, so gut ich kann. Mir geht es um Menschen und um Schauspieler, um Musik, Motive und eine Kamera, die so tief wie möglich guckt.
Waren Dagmar Manzel und Fabian Hinrichs als Schauspieler beim “Tatort Franken” vom Bayerischen Rundfunk gesetzt?
Nein, da war ich auch an der Entscheidung beteiligt. Ich kannte die Manzel, weil ich mit ihr schon in den 90er Jahren eine Komödie gedreht hatte. Ich habe eigentlich mit Komödien begonnen und eine Grundtendenz dazu. Deswegen haben auch die größten Tragödien immer eine Tür, die auffliegt, und da kommt plötzlich Leichtigkeit dazu. “A human sense”. Ohne das hätte ich das Gefühl, nicht auf der Höhe des Lebens zu sein.
Das Nürnberg, das Sie im “Tatort” zeigen, ist nicht sehr typisch. Man sieht selten die Burg, man sieht kaum die Altstadt, die Filme spielen eher in den Außenbezirken.
Ich wollte schon ein paar Mal ganz plakativ die Burg mit reinnehmen, aber es ist mir nie gelungen. Die Filme spielen immer da, wo das Nürnberger Leben auch noch sitzt. Im ersten “Tatort” gibt es eine Szene, in der die Schauspielerin über eine Brücke am Markt geht. Die Auswahl von Motiven ist storyorientiert.
Das Team besteht aus vier Personen, da ist einmal Dagmar Manzel als Kommissarin Paula Ringelhahn, Florian Hinrichs als Kommissar Felix Voss, dann Andreas Leopold Schadt als Sebastian Fleischer und Eli Wasserscheid, die Wanda Goldwasser spielt. Die beiden letzten sind eher für das Lokalkolorit zuständig, sie bringen die fränkische Sprachfärbung in den “Tatort”. Das vermisse ich bei vielen anderen “Tatorten”. Wenn ich zum Beispiel den Schwarzwald-“Tatort” sehe, gibt es dort kaum jemanden, der das ortstypische Alemannisch spricht. Woher kommt das?
Dialekt wird nicht gerne gehört. Ich habe zwei Niederbayern-Krimis gedreht, “Sau Nummer vier” und “Paradies 505”, da sprechen alle Dialekt. Die Filme sollten beide im Ersten gezeigt werden, aber das klappte nicht, weil das zu unverständlich war. Die Leute regen sich sofort auf. Anstatt es toll zu finden, dass dieses Land so viele verschiedene Volksgruppen hat, so viele verschiedene Temperamente, so anderen Humor … Das darf nicht vorkommen.
Und der Schweizer “Tatort” wird auf Hochdeutsch nachsynchronisiert, damit ihn alle verstehen. Die einzigen, die ihren Schmäh behalten dürfen, sind die Wiener.
So wie ich die Österreicher kenne, haben die gesagt: Mit uns nicht. Und dann haben die Deutschen in die Tischkante gebissen.
Der “Tatort” ist ja eine Marke im Ersten. Wir haben vor zwei Jahren 50 Jahre “Tatort” gefeiert. Er ist das letzte Lagerfeuer im Fernsehen, jeden Sonntag schauen mehr als zehn Millionen Menschen zu. Wie ist die Arbeit für Sie als Regisseur und Autor? Gibt es da besondere Formatvorgaben?
Keine. Das ist absolut frei. Ich konnte mich bei allen Projekten frei bewegen. Die Zusammenarbeit mit der Redakteurin Stephanie Heckner ist fantastisch. Sie ist eine hochintelligente und extrem einfühlsame Frau. Sie hat mich geholt, nachdem sie den Münchner “Tatort” übernommen hatte. Nachdem ich einen Münchner “Tatort” gedreht hatte, kam die Frage nach dem “Tatort Franken”. Die Franken waren da schon lange sehr hinterher, dass sie auch einen “Tatort” bekommen. Und der erste hat gut funktioniert. Die Arbeit daran war aber wie beim Sechs-Tage-Rennen.
Weil Sie so wenig Drehzeit hatten?
Nein, so wenig Zeit zum Schreiben. Das Buch haben wir in fünf Wochen geschrieben, vom ersten Nürnberg-Besuch an.
Eine Nürnberger Zeitung hat damals geschrieben, für einen Oberbayern machen Sie das nicht schlecht mit dem Franken-“Tatort”. Ein größeres Lob kann es ja kaum geben.
Der Autor der “Nürnberger Nachrichten” hatte damals sinngemäß geschrieben: “Der Autor kommt aus Oberbayern und führt Regie. Die Katastrophe ist perfekt.” Dann hat er aber gefragt: Ist das wirklich so? Und er hat das Blatt um 180 Grad gewendet. Am nächsten Tag war alles anders in der Stadt, die Kuh war vom Eis. Ich habe bei allen Filmen kaum Probleme gehabt bei der Motivsuche, es gab fast immer offene Häuser. Die Menschen sind großzügig, tolerant. Das gehört zu den Gründen, warum ich immer wieder dorthin zurückkomme, obwohl ich eigentlich immer das Gefühl habe, das war jetzt wirklich das letzte Mal.
Das ist Ihr vierter “Tatort Franken”, Sie haben auch zwei “Tatorte” aus München gemacht. Erzählen Sie in Nürnberg andere Geschichten als in München?
Ja.
Welche Geschichten sind typisch münchnerisch?
Die Münchner “Tatorte” haben ein bisschen mehr mit Milieu zu tun.
Also Rotlicht?
Das ist ein Bezirk, den ich in Nürnberg noch nie aufgesucht habe. In München gehört das zu den Krimis dazu, da wurde so viel gedreht. In Nürnberg bin ich nie auf solche Geschichten gekommen. Der erste Film war der mit dem Universitätsprofessor, der nicht genug kriegt, weder von Geld noch von Frauen. Der zweite war einer, der sich mit unserer politischen Umgebung beschäftigt hat. Es steht eine Naziformation dahinter. Ich wollte einen Nazi zeigen, wie ich ihn mir vorstelle. Keine Dumpfbacke, sondern ein ehemaliger Professor, ein hochintelligenter und hoch suggestiver Mensch.
Schreiben Sie Ihre Bücher in Hamburg? Oder fahren Sie nach Nürnberg, um sich inspirieren zu lassen?
Ich habe in der Bar des Hotel Atlantic an den Nachmittagen meine ersten zwei Fernsehspiele geschrieben: “Schlafende Hunde” und “Einer zahlt immer”. Das Buch zu “Aimée und Jaguar” in Berliner Cafés. Wie’s grade kommt.
Sie haben sehr viele Krimis gemacht. In den 90er Jahren haben sie die ersten Filme von “Bella Block” mit Hannelore Hoger gemacht …
Ja, aber für mich ist, wie gesagt, jeder Krimi in erster Linie eine Tragödie. Deswegen würde ich mich nicht als Krimi-Regisseur bezeichnen. Die erste “Bella” war eine Familiengeschichte. Und die zweite war eine Geschichte, in der eine Frau, die ein Körperstudio hat, Gigolos engagiert, um die bedürftigen Frauen abzukochen. Diese Frau ist von einer unglaublichen Kälte, aber am Ende war es so, dass in diesem Film nur zwischen zwei Mördern wirklich Liebe existiert. Auch dieser Film war nicht einfach ein Krimi. Mich interessiert die Stille von Menschen, die man kaum ertragen kann. Menschen, die etwas gegen ihren Willen tun mussten, die von einer Notwendigkeit aus dem Leben geschleudert wurden, indem sie jemanden getötet haben. Mich interessierten immer Menschen, ihre Motive und ihr Charakter. Diese Milieufiguren haben mich noch nie wirklich gekümmert. Action ist immer etwas, was uns beruhigt und befreit, man kennt sich aus, leider.
Die Figur der Bella Block war ursprünglich eine Erfindung der Autorin Doris Gercke. Wie kamen Sie damals dazu, die Filme zu machen?
Ich hatte damals die Krimis von Doris Gercke gelesen, habe aber die Bücher den Produzentinnen zurückgebracht und gesagt: Es tut mir wahnsinnig leid, das ist alles sehr gut geschrieben, aber nicht meine Welt. Ich kann euch fünf Namen nennen, die das gut schreiben können, aber ich gehöre nicht dazu. Die sagten: Wir möchten aber, dass du das machst. Und dann passierte etwas Merkwürdiges. Auf dem Rückweg sah ich eine ältere Frau, die mit einem jungen Mädchen sprach, und ich dachte: Worüber reden die? Mit dem Bild hat es begonnen. Ich habe gedacht, wer ist dieses Mädchen? Dann habe ich ein kleines Schema geschrieben und gemerkt, da gibt es etwas. In den meisten meiner Filme spielen von Anfang Frauen die Hauptrollen.
Woher kommt das?
Ich bin mit einer Mutter, zwei Tanten und einer Cousine aufgewachsen, die eine große Rolle gespielt haben, das hat mir nicht nur bei den Hausaufgaben, sondern später auch beim Schreiben von Frauen viel geholfen. Ich habe mich dann also wieder bei den Produzentinnen gemeldet, und dann sagten die mir, das Bayerische Fernsehen wollte das Skript schon dreieinhalb Wochen später haben. Der BR sagte dann, da müssten auch noch diverse Elemente aus anderen Drehbüchern rein, die schon vorlagen. Da habe ich mit größtem Selbstvertrauen gesagt: Ohne mich. Ich hatte das Drehbuch ohne Vertrag geschrieben, und ich habe gesagt: Ich weiß, dass dieses Buch, so wie es geschrieben ist, stimmt. Darauf hat die Produzentin Katharina Trebitsch es an Hans Janke beim ZDF geschickt. Und der hat noch am gleichen Nachmittag angerufen und gesagt, das machen wir.
So kam “Bella Block” zum ZDF. Was ist für Sie das Charakteristische an der Bella, die von Hannelore Hoger verkörpert wurde?
Die Bella habe ich so geschrieben und verstanden, dass sie ein extremes Maß an Humanismus hat und alles intuitiv macht und spürt. Sie hat viel gesehen und braucht nicht viele Worte. Und wenn, dann sind sie ironisch.
Was hat die Zusammenarbeit mit Hans Janke für Sie bedeutet?
Absolute Freiheit! Großzügigkeit! Lebensfreude! Schnellste Entscheidungen, große Lust am Risiko und viele fantastische Abende. Was für ein großes, tiefgehendes Glück, diesen Mann zu kennen. Und mit ihm zu arbeiten. Und jetzt? Keine Leere. Nein. Er ist immer da, beflügelt die Gedanken und, sonst wäre er nicht Hans Janke, den Spaß am Leben.
Sie sagen, Sie sehen sich eher als Komödienautor denn als Krimiautor. Aber es gibt sehr wenig Komödien im deutschen Fernsehen. Woran liegt das?
Mir wurden sehr viele Komödien angeboten, bei denen die Dialoge nicht wirklich komisch waren. Die waren auf 180 gedreht, aber die richtigen 20 Prozent hätten gereicht. Viele haben das unbedingte Bedürfnis komisch zu sein, da fehlt der Charme, es fehlt die amerikanische Vehemenz oder die Zartheit im Gefühl für die Charaktere. Man ahnt die Gags, man ahnt ganz schnell die Entwicklung der Handlung. Komödien haben viel damit zu tun, ob man den Hauptfiguren folgen will oder nicht und welche Art von Last sie zu tragen haben. Dieses tolle Mischverhältnis, das es zigtausendfach in der Welt schon gegeben hat, das muss man hinkriegen. Ich würde mich nicht als Komödienautor bezeichnen. Ich habe lange abgelehnt, mich überhaupt als Autor zu bezeichnen, ich habe gesagt, ich bin Regisseur und ich schreibe meine Bücher. Irgendwann wurde ich von anderen als Autor bezeichnet. Und da habe ich mich gefragt: Ist das wirklich so? Ich habe Tausende von Filmen von wunderbaren Autoren gesehen, da habe ich mich nie dazu gezählt. Ich weiß wirklich zu schätzen, was es heißt, wenn Leute extrem gut schreiben.
Ist es als Autor leichter, Krimis im Fernsehen unterzubringen? Kann man sich leichter auf ein Krimiplot verständigen?
Leichter als Komödien? Es gibt ja ein funktionierendes Kabarett in Deutschland. Da gibt es sehr talentierte Leute. Man hat versucht, das in den Film zu übertragen, und es gibt ganz sicher viele Komödientalente in diesem Land. Detlev Buck hat auch mit schrägen Komödien begonnen, das war wirklich gut, aber es wird nicht durchgehalten. Unter Umständen vertrauen sich Autoren selbst nicht genügend. Sie versuchen, die Erwartungen der Redakteure und Produzenten zu erfüllen. Es gibt da immer wieder endlose Diskussionen. Davon müssen sich die Autoren befreien und ihren eigenen Humor finden. Es kann nicht angehen, dass dieses ganze Land als völlig humorlos durchgeht! Komödie hat viel mit Dialogen zu tun und mit Spielweisen. Es gab auch bei Sat.1 und RTL immer wieder Leute, die tolle Sketche geliefert haben, aber wenn sie anfingen, Geschichten zu erzählen, hat sich das nicht weiterentwickelt. Das Gefühl für Timing und die Feinheit von Dialogen ist immer noch schwierig. Ich bin da aber nicht pessimistisch, all das braucht seine Zeit. Was Komödien angeht, sind die Dinge noch nicht abgeschlossen.
Sie haben zuerst im Theater gearbeitet, bevor Sie an die Filmhochschule gegangen sind…
Ich habe in Südamerika begonnen, Theater zu machen. Ich bin in Buenos Aires in eine Vorstellung gegangen, die faszinierend war, die Schauspieler waren unglaublich toll. Ich war von klein an für Schauspiel zu kriegen. Meine Mutter hatte Talent. Aber auch meine beiden Tanten waren Frauen, die extrem gut spielen konnten, sie hatten Temperament und die richtige Laune. Ich liebe Schauspiel. Und in Buenos Aires gab es hinterher eine Besprechung, da wurde ich von dem Theaterleiter begrüßt und einbezogen und irgendwann war ich festes Mitglied. Wir haben dann eine Europatournee gemacht und so kam ich zurück nach Europa.
Wie kamen Sie dann zum Film?
Ich kam vom Land in die Stadt, nach München und in München habe ich zum ersten Mal Filme von Cocteau und Godard gesehen, “Le Mépris” und “Außer Atem” waren neben Hunderten von Amerikanern, Japanern, Engländern, Italienern und Franzosen meine Lieblingsfilme. Kino, Kino, Kino. Ich war ohne Kino, manchmal zwei oder drei Mal täglich, nicht mehr zu denken. Als ich später nach meiner Europatournee mit dem Theater wieder nach München zurückkam, habe ich dort ein Zimmer bezogen, in dem ein Schreibtisch stand. Und in der Schreibtischschublade lag ein Bewerbungsformular für die Filmhochschule.
Glauben Sie an Schicksal?
Ja. Auch viele meiner Filme haben mit Schicksal zu tun: Dass Leuten etwas zustößt, dass das Leben sie irgendwohin führt. Trotzdem denke ich, dass wir uns dem Schicksal nicht blind überlassen können.
Sie sind dann tatsächlich an die Hochschule für Film und Fernsehen in München gegangen und haben mit Dominik Graf zusammen studiert. Haben Sie damals auch zusammengearbeitet?
Wir haben Übungsfilme zusammen gemacht, aber wir haben nie wirklich zusammengearbeitet. Ich bin von Anfang an ein Fan von ihm und schätze ihn über die Maßen. Er ist ein wirklich ernst zu nehmender Künstler. Die Zeit an der Hochschule war fantastisch. Wir haben den ganzen Tag Filme angeschaut, wir waren jede Nacht bis zwei Uhr morgens unterwegs und haben nur über Filme geredet. Wir hatten einen Lehrer namens Färber, der uns ein und denselben Film drei Mal gezeigt und uns mit wenigen Worten den Respekt vor Filmen beigebracht hat. Das war eine tolle Zeit!
Sie haben viele Frauengeschichten erzählt, zum Beispiel auch in “Aimée und Jaguar”. Heute ist es für Regisseure und Autoren schwieriger geworden, als Mann Frauengeschichten zu erzählen. Woran liegt das?
Ich habe mit so vielen Schauspielerinnen gearbeitet, die mit dem, was sie als Vorlage hatten, happy waren. Die haben das gern gespielt. Insofern betrifft mich das nicht. Aber man kriegt mit, was alles nicht mehr gelten darf. Das ist das Gegenteil von Schauspiel. Schauspiel ist reine Künstlichkeit, selbst wenn man ganz feine realistische Nuancen spielt. Das wird aber nicht mehr akzeptiert.
Da steht schnell der Vorwurf im Raum, das sei kulturelle Aneignung.
Das hat mich persönlich noch nicht betroffen, aber das Thema ist virulent.
Darauf basiert doch Fiktion: Schon Kinder spielen etwas und sagen: Ich wäre jetzt die Mutter und du wärst der Vater.
Genau so ist es. Man spielt etwas. Es ist immer ein Spiel! Und das ist wunderbar! Wo soll das hinführen, wenn Männer keine Kleider mehr tragen dürfen oder Frauen keine Anzüge? Wenn man sich als Autor nicht irren darf? Wenn man richtig liegen muss? “Who the fuck says”, was richtig ist? In der Kunst hoffentlich niemand! Kunst ist ein Experimentierfeld. Es sind Versuche, das Leben zu schildern und uns dadurch einen Schritt weiterzuführen. Wenn es keine Versuche mehr sein dürfen. Was soll es dann sein?
Anleitungen?
Das setzt sich in einem wahnsinnigen Tempo durch. Es gibt aber auch Gründe dafür. Die Skandale, die aufgetaucht sind, mit Produzenten und Schauspielerinnen, das hat Dimensionen, die konnte ich mir nicht vorstellen. Da kann man schon sagen: Leute, der Knast ist vielleicht kein falscher Platz. Was in vielen Biografien von Studiobossen so charmant behandelt wird …
Die berühmte Besetzungscouch…
Das hat man so als Witz hingenommen, aber die wirkliche Dimension war für mich nicht vorstellbar.
Ist die kreative Industrie für diese Art von Ausbeutung und Machtmissbrauch besonders anfällig? Wenn junge Schauspielerinnen sich für eine Rolle bewerben, stehen sie ja in einem ganz schwierigen Abhängigkeitsverhältnis von den Regisseuren und Produzenten, die die Rolle vergeben.
Das wurde in größerem Maße ausgenutzt, als ich mir das vorstellen konnte. Ich war an solchen Verflechtungen nie interessiert. Ich habe ein vitales, oft freundschaftliches Arbeitsverhältnis zu den Schauspielern und Schauspielerinnen, “and that’s it”.