“Je komplexer Mobilität wird, desto größer ist der Bedarf, sich auch mal intensiver mit einem Thema zu beschäftigen” – ADAC-Chefredakteur Martin Kunz über die Rolle der “Motorwelt” im Kommunikationskonzert.
12. November 2024
Vertiefte Mobilität: 2020 hat sich die “ADAC Motorwelt” vom Auto-Blatt zum Mobilitätsmagazin gewandelt. Produktion und Vermarktung hat der ADAC an Burda ausgelagert. Mitglieder müssen sich das Heft im Supermarkt oder in den ADAC-Geschäftsstellen abholen. “Das Vertriebsmodell war für uns damals das größte Abenteuer”, sagt Chefredakteur Martin Kunz. Im Gespräch mit turi2-Redakteur Björn Czieslik zieht er nach knapp fünf Jahren Bilanz und erzählt, warum Print für die Kommunikation des ADAC weiterhin Bedeutung hat und die Heftinhalte nur gedruckt und nicht online erscheinen. Und er räumt ein, dass er und sein Team beim ADAC den Aufwand der Heftproduktion trotz Outsourcing “völlig unterschätzt” haben. Dieser Beitrag ist Teil der turi2-Themenwoche Zeitschriften.
Mit 13 Mio Auflage war die ADAC Motorwelt einst die mit deutlichem Abstand auflagenstärkste Zeitschrift in Deutschland. Wer ADAC-Mitglied war, bekam das Heft als Teil der Mitgliedschaft ungefragt per Post geschickt. Es erschien monatlich, später noch zehnmal im Jahr, war auf “dünnstem Papier” gedruckt und auch von der Aufmachung her “ein sehr schnell produziertes Heft”, erinnert sich Chefredakteur Martin Kunz, der seit 2014 beim ADAC an Bord ist.
Etwa 20 % der Hefte sollen damals ungelesen im Müll gelandet sein. “Das ist ökologisch und ökonomisch unverantwortlich”, sagt Kunz im Gespräch mit turi2. Ein auslaufender Zustellungsvertrag mit der Deutschen Post bot die Möglichkeit, das Kommunikationskonzept des Automobilclubs zu überdenken. Zugleich auch die inhaltliche Ausrichtung des Magazins und den Vertriebsweg.
Klasse statt Masse
Das Ergebnis der Überlegungen: Print bleibt, seit 2020 aber nur noch viermal pro Jahr, dafür als “Premium-Magazin”. Die Auflage schrumpft deutlich. Zudem übernimmt der BurdaVerlag, als Generalunternehmer Produktion, Vermarktung und Vertrieb.
Von wegen ganz easy
Die Redaktion der “Motorwelt” hat Burda an die Münchner Content-Marketing-Agentur Storyboard ausgelagert, die das Heft in Abstimmung mit der Chefredaktion und einem “relativ überschaubaren Steuerungsteam” aufseiten des ADAC erstellt. “Wir haben uns das Outsourcing ganz easy vorgestellt und völlig unterschätzt”, räumt Kunz ein. “Wir hatten uns ganz naiv gedacht, wir machen einen Briefingtermin, bekommen die Ansichten zugeschickt und setzen ein Häkchen drunter. Am Ende ist es natürlich viel mehr Arbeit.” Jeder Text, jede Bildunterschrift, jeder Infokasten werde im Acht-Augen-Prinzip kontrolliert und abgenommen.
Mobilität als Lifestyle
Hat die “Motorwelt” früher vor allem abgebildet, was im ADAC passiert, versteht das Magazin Mobilität heute als Lifestyle-Thema, bei dem das Auto nur eine Säule ist. Dazu gibt es Reisethemen, Verbraucher- und Gesundheitstipps.
Auch die Regionalteile, die die 18 ADAC-Regionalclubs in Eigenregie erstellen, zahlen auf die “Motorwelt” ein. Wie Lokalzeitungen könnten diese Themen regionaler runterbrechen und schaffen durch direkte Betroffenheit eine emotionale Bindung. “Aus der Marktforschung wissen wir, dass unsere besten und treuesten Leser die sind, die das Regionalmagazin nutzen”, sagt Kunz.
Im Zuge der Neuausrichtung kam auch die Frage auf, ob der Titel “Motorwelt” überhaupt noch passt und ob etwa “Mobilitätswelt” treffender wäre. “Alle Marken- und Marketing-Experten haben uns aber gesagt: ‘Ändert das bloß nicht!'”, erinnert sich Kunz. 2025 wird die “Motorwelt” 100 Jahre alt, viele Leser hätten Erinnerungen an das Blatt, das schon der Vater oder Opa gelesen habe. “So etwas ändert man nicht, nur weil die Welt jetzt ein bisschen eine andere ist.”
Dann geh doch zu Netto. Oder Edeka.
Radikal geändert hat der ADAC dagegen das Vertriebsmodell der “Motorwelt”. Statt das Heft per Post zu verschicken, müssen interessierte Mitglieder es nun in den Filialen von Edeka und Netto oder in den ADAC-Geschäftsstellen abholen. “Der neue Vertriebsweg war der größte Pain-Faktor”, erinnert sich Kunz. “Das war am Anfang ein riesiges Abenteuer und eine große kommunikative Aufgabe, weil ja keiner wusste, ob es funktioniert.”
Heute weiß er, es funktioniert: Von den laut IVW rund 2,7 Mio Heften werden pro Quartal bis zu 2 Mio Exemplare abgeholt. “Das ist natürlich eine ganz andere Wertigkeit für ein Magazin, wenn es bewusst abgeholt wird”, freut sich Kunz. Viele Mitglieder hätten mit dem ADAC nur etwas zu tun, wenn sie eine Panne haben, jetzt treffen sie in ihrem Alltag auf die “Motorwelt”. “Das ist ein positiver Kontakt, der für uns extrem wertvoll ist.”
Auch für Edeka, Netto und die ADAC-Geschäftsstellen sei die “Motorwelt” ein “Frequenzbringer”. Der ADAC bewirbt jede neue Ausgabe mit einer Kampagne, 5 bis 7 % der Abholer, so Kunz, würden sonst wohl woanders einkaufen.
Das Vertriebsteam von Burda kontrolliere regelmäßig, ob noch genug oder zu viele Exemplare in den Filialen ausliegen. Die Beschäftigten von Edeka und Netto seien angehalten, den ADAC-Mitgliedsausweis zu verlangen und die “Motorwelt”-Hefte zu scannen. “Die gescannten Hefte sind für uns die Währung, die zählt.”
Überlegungen, das Mitgliedermagazin interessierten Lesern auch als Kaufmagazin anzubieten, wurden aus steuerlichen Gründen übrigens verworfen.
Unabhängig und neutral
Früher hätten Anzeigen noch einen “wesentlichen Teil zur Refinanzierung” der “Motorwelt” beigetragen. Heute sei es noch “ein geringer Beitrag, aber es ist noch ein Beitrag”, sagt Kunz. Natürlich würde er sich auch mal wieder “tolle Autoanzeigen” im Heft wünschen, weiß aber, dass die Anzeigensituation im Printmarkt derzeit schwierig ist. “Und es sieht nicht so aus, dass sich das die nächsten Jahre ändern wird.”
Trotzdem legt er großen Wert auf das Redaktionsstatut, das etwa vorsieht, dass die Redaktion Reisen z.B. zu Autotests selbst bezahlt. “Wir lassen uns nicht einladen, weil uns das in der Berichterstattung einschränken würde”. Die Redaktion richtet sich nach dem Pressekodex des Deutschen Presserats. Alles, was nur im Ansatz werblich sei, werde gekennzeichnet. “Bei uns gibt es keine Schleichwerbung”, betont Kunz.
Das gilt auch für ADAC-Produkte, die einen Großteil der Anzeigen im Heft ausmachen. Die Vermarktung läuft komplett über Burda. Auch ADAC-Eigenanzeigen seien bezahlt, wie Anzeigen externer Werbekunden. “Die Kollegen im Haus würden die Anzeigen nicht schalten, wenn sie nicht wirken würden.”
Print und Online ohne Berührung
Neben der ausgelagerten “Motorwelt” verantwortet Martin Kunz auch die Online- und Social-Media-Redaktion des ADAC. Der “Motorwelt”-Content wird aber nicht digital ausgespielt, weil er für Print optimiert ist. Online-Medien und Social Media funktionieren anders: “Auf ADAC.de publizieren wir Themen, die gesucht werden.” Das sind etwa Verbraucherschutz-Test, Tipps zum Autokauf oder -verkauf, Rechts- und Versicherungsfragen, Verkehrsthemen, Reise- oder Routentipps – alles, worauf Nutzer gezielt und adhoc eine Antwort suchen.
Print sei aus Sicht des ADAC dagegen das ideale Medium, um sich mit vielschichtigen Themen, wie etwa der Zukunft der Mobilität, umfassend auseinanderzusetzen, weil dazu fachliche Expertise, Beratung, Aufklärung und eine aufwändige journalistische Aufbereitung nötig seien. “Die können wir als ADAC leisten, weil wir als Verbraucherschützer unabhängig von Industrie-Interessen agieren.”
Die gedruckte “Motorwelt” soll “vertieftes Lesevergnügen” bieten, ein Lean-Back-Angebot sein, als Gegenentwurf zur schnellen Information im Netz. Kunz: “Je komplexer Mobilität wird, desto größer ist der Bedarf, sich auch mal intensiver mit einem Thema zu beschäftigen.”
Auch Unterhaltsames wie Promi-Interviews seien im Print-Magazin gut aufgehoben, etwa das Doppel-Interview mit Anke Engelke und Bastian Pastewka in der Herbstausgabe. Als Online-Beitrag auf ADAC.de wäre so ein Prominenten-Interview wenig erfolgreich: “Die Leute suchen bei uns nicht nach Anke Engelke”, ist Chefredakteur Kunz überzeugt.
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