Alica Schmidt – eine Marke auf zwei schnellen Beinen.
3. Juni 2024
Leicht und athletisch: Alica Schmidt ist die erfolgreichste deutsche Sportlerin auf Social Media. Allein bei Instagram sehen der 400-Meter-Läuferin rund fünf Millionen Menschen dabei zu, wie sie ihren harten Trainingsalltag in locker-leichte Bilder packt. Welche Medien Schmidt für den Sprint an die Spitze nutzt und wie Marken mit ihr Schritt halten können, beschreibt Anne-Nikolin Hagemann für die Themenwoche Sport. (Screenshot: Instagram)
Fünf Millionen Follower bei Instagram, zwei Millionen bei TikTok, 200.000 bei YouTube – am Sport allein kann es nicht liegen, dass Alica Schmidt in Sachen Social Media und Markenpartnerschaften der deutschen Konkurrenz weit enteilt ist. 400 Meter und die Leichtathletik ziehen die Menschen nicht gerade in Massen ins Stadion oder vor den Fernseher. Auch fehlt Schmidt bislang noch ein internationaler Titel. Trotzdem lässt sie mühelos alle hinter sich, auch Vertreter populärer Sportarten wie Tennis und Fußball. Schmidt könnte längst von Posting und Partnerschaften leben, denn sie ist selbst eine große Marke geworden. Diese zehn Videos zeigen Alica Schmidts Sprint an die Social-Media-Spitze und wie Medien und Marken mit ihr Schritt halten.
1. Ihr viralstes Short – 10 Sekunden mit 150 Millionen Views: “From cutie to game face”
Wenige Sekunden vor dem Start. Die Stadionkamera fängt Alica Schmidt ein. Deren Lächeln und Luftkuss bringen die Menge zum Jubeln. Als die Kamera weiterzieht zur nächsten Läuferin, bleibt Schmidts eigene Kamera auf sie gerichtet. Und ihr Gesichtsausdruck wechselt zu ernst bis mörderisch, als sie die Laufstrecke vor sich anvisiert. Es ist Schmidts viralstes Short Video, auf TikTok und Instagram zusammen hat es rund 150 Millionen Views, dazu noch Zehntausende bei YouTube. “From cutie to game face real quick“ schreibt Schmidt als Caption, dazu ein Smiley, das Tränen lacht. Auf ihrem TikTok-Account hat sie das Video ganz oben angepinnt. Cute für die Kamera, ehrgeizig im Wettstreit, eine Prise Selbstironie: Schmidts mediales Erfolgskonzept. Bei ihr geht es um den Sport und das Leben drumherum, ums Gewinnen und Verlieren, auch mal ums Sich-Quälen. Aussehen tut das aber locker und nach Spaß – dass Markenkleidung, Make-up und Frisur dabei meist tadellos sitzen und sie auch von der Filmpremiere oder vom Strandausflug postet, schadet auch nicht. Erzählt sie gleichzeitig öffentlich, wie oft sie nach dem Training kotzen muss, wirkt sie trotz aller Perfektion authentisch und nahbar.
2. Silber mit der Staffel, Gold in den Schlagzeilen – U20-EM-Start als Karriere-Startschuss
Als Alica Schmidt 2017 bei der “Bauhaus-Junioren-Gala“ in Mannheim antritt, werden die Läuferinnen am Start von hinten gefilmt, keine Stadionkamera, keine jubelnde Menge. Wackelig und unscharf ist dokumentiert, wie Schmidt, damals 18 Jahre alt, auf Bahn drei das Rennen gewinnt und mit 54,26 Sekunden die Norm für die U20-EM im italienischen Grosseto schafft. Ihr erster internationaler Wettkampf ein paar Wochen später wird für Schmidt alles verändern: Mit der Staffel gewinnt sie Silber. Die Medienwelt interessiert aber mehr, welche Fotos die 1,75 m große Blondine bei Instagram postet: Der Blog “Busted Coverage” kürt sie zur “heißesten Athletin der Welt”. Und teilt ihre Instagram-Urlaubsfotos am Strand, geknipst von Schmidts Freund, der bis heute viele ihrer Bilder auf Instagram und Co. schießt. Andere Blogs springen auf, später greifen auch Medien wie die “New York Times“, das Männer-Magazin “Maxim“ oder die britische “Sun“ den Titel auf. Schmidts Instagram-Account wächst innerhalb weniger Wochen auf 100.000, innerhalb der kommenden Jahre auf mehr als eine Million Follower. Noch heute spuckt Google auf die Frage nach der schönsten Sportlerin den Namen Alica Schmidt aus. Seit 2017 sagt die in Interviews immer wieder Varianten desselben Satzes: Ihr gehe es um den Sport, in erster Linie sei sie Sportlerin, das gute Aussehen zähle auf der Bahn nichts. Angebote des “Playboy” lehnt sie ab und trainiert lieber weiter für Bestzeiten. Trotzdem ist der oberflächliche Titel der Startschuss ihrer Karriere als Influencerin – auch wenn sie sich selbst nicht so nennen würde.
3. Rennen für Puma: “Why running?”
Ihre plötzliche Popularität bringt Schmidt 2018 ihre erste Markenkooperation ein: Im Werbevideo für ihren neuen Sponsor Puma rennt sie durch Berlin. Nahaufnahmen ihres Gesichts, wirbelnder Staub und wehende Haare in Slow-Motion, dazwischen immer wieder die springende Raubkatze, aufgestickt in weiß auf Schmidts schwarzem Top. Die männliche Off-Stimme beantwortet poetisch überhöht die Frage “Why run?“. Es geht nicht um Schmidt als Person, sondern um Gefühl, Athletik, Stärke, die sie nach Drehbuch verkörpert. Das Video funktioniert, ohne dass man Alica Schmidt kennt, ohne dass man mehr über sie und ihr Leben weiß, als man sieht. Auf Puma werden in den kommenden Jahren viele weitere Markenpartner folgen, unter anderem eine Hotelkette, Sportnahrung, Modemarken, Hautpflege, eine Luxus-Automarke. Und Alica Schmidt als Person wird mehr und mehr im Mittelpunkt stehen, von Model und Logoträgerin zur authentischen Markenbotschafterin werden.
4. Mats verliert, Alica gewinnt: Show-Sprint mit Follower-Folgen
Dass Alica Schmidt als Sportlerin oft unterschätzt wird, kommt ihr 2020 zu Gute. Der BVB und sein Sponsor 1&1 lassen für eine Videoreihe bekannte Sport-Influencerinnen mit Fußball-Stars trainieren, neben Pamela Reif und Fernanda Brandao auch Alica Schmidt. Die trainiert unter anderem mit Mats Hummels. Und fordert den direkt heraus für das erste eigene Video auf ihrem YouTube-Kanal: ein 400-Meter-Sprint gegen sie. Alica lässt ihn weit hinter sich, nach dem Ziel liegt der Weltmeister von 2014 am Boden und keucht, das sei das Anstrengendste, das er je getan habe. Alica gewinnt nicht nur das Rennen gegen Mats, sondern auch Medienaufmerksamkeit und Follower. Auch wenn keines ihrer YouTube-Videos so viele Klicks hat wie das Hummels-Rennen (rund sechs Millionen), werden Schmidts V-Logs aus Training und Wettkampf regelmäßig 200 bis 300 Tausend Mal geklickt, die YouTube-Shorts kommen oft auf mehrere Millionen. Gegen sie viral verlieren werden bald noch andere Männer, darunter Kai Pflaume alias ehrenpflaume und Kumpelinfluencer Paul Ripke. Neymar macht rechtzeitig einen Rückzieher.
5. Laufen für Hugo Boss: Modeljob in Mailand
Zu den Olympischen Spielen nach Tokio 2021 fährt Alica Schmidt als Reserve, an den Start gehen wird sie nicht. Die internationalen Medien packen trotzdem wieder den Titel der “Sexiest Athlete“ aus. Und Alica läuft in diesem Jahr trotzdem: Hugo Boss, ihr neuer Sponsor, schickt sie in Mailand als Model auf den Laufsteg. Schmidt nimmt auch hier ihre Followerschaft mit, post für Instagram mit Topmodels wie Irina Shayk und Gigi Hadid. Die Like-Herzen fliegen ihr zu, die Followerzahlen steigen weiter. Seitdem modelt Schmidt immer wieder auf Laufstegen und bei Fotoshoots und nimmt ihre Follower mit. Als “Hugo Boss Athlete“ ist sie Teil der seit einigen Jahren sehr erfolgreichen Marketing-Strategie des Unternehmens, auf Sport-Profis als Testimonials zu setzen; neben Schmidt etwa Skirennfahrer Aleksander Kilde oder Tennisspieler Matteo Berretini. Die lassen sich emotional in Szene setzen und verkörpern das Marketing-Zauberwort Authentizität für eine sportlich-betuchte Zielgruppe besser als reine Influencer und Models. Und: Markenschädigende Entgleisungen wie bei Kanye West oder Jeremy Fragrance sind von disziplinierten Profisportlerinnen eher selten zu erwarten.
6. Jenseits der Generation Instagram: Shows im Öffentlich-Rechtlichen
In der ARD sammelt Alica Schmidt in der Quizshow “Wer weiß denn sowas?“ und als Unterlegene im Mattenlauf gegen den 13-jährigen Tom bei “Klein gegen Groß“ Sympathiepunkte jenseits der Generation Instagram. Denn so international bekannt Schmidt im Netz auch ist – aus dem Fernsehen kennt man sie eher wenig. Denn Leichtathletik findet im TV kaum statt. Leider, wie Schmidt immer wieder betont. In Deutschland gehe es in der Vermarktung von Sportarten, anders als in den USA beispielsweise, eher um Leistung als um Unterhaltung oder Personality – “aber im Endeffekt sind Sportler ja fürs Entertainment da“, sagt Schmidt im Podcast-Gespräch mit Paul Ripke. “Und eine Sportart, in der ich die Sportler nicht kenne, schaue ich mir auch nicht an.“ Netflix hat das Potential als erster Streamer erkannt und erfolgreich Sport-Dokus produziert, Amazon und Co. folgen. So etwas würde sich Alica Schmidt auch für die deutsche Leichtathletik wünschen. Und bis es soweit ist, nimmt sie selbst das Publikum mit hinter die Kulissen des Profisports.
@alicaschmidtIch hoffe ich habe nichts vergessen🙈 & ich kann natürlich nur darüber sprechen wie es in der Leichtathletik aussieht:)♬ Chill Vibes – Tollan Kim
7. Gehalts-Talk auf TikTok
Während sie sich schminkt, plaudert Alica Schmidt vor der Smartphone-Kamera darüber, was sie mit dem Sport verdient und warum ihr das, wie den meisten Athletinnen in Deutschland, nicht reicht. Dafür gibt es viel öffentlichen Zuspruch, aber auch Kritik aus der Szene: Für leidenschaftliche Sportler solle nicht der Profit im Vordergrund stehen, heißt es. Der ist in Alicas Fall tatsächlich nicht viel, was den reinen Sport angeht: 700 Euro im Monat von der Deutschen Sporthilfe plus “eine kleine Summe” von ihrem Verein. Dazu kommen noch Einnahmen von Wettkämpfen, denen aber oft Ausgaben für Hotel, Anreise und Co. gegenüberstehen. Bundeswehr oder Bundespolizei wären Möglichkeiten für ein regelmäßiges Einkommen als Sportlerin, allerdings gibt es dort nur wenige Plätze. Bleiben Social Media und Sponsoren – wie viel sie damit verdient, verrät Alica nicht. Im Gespräch mit OMR-Chef Philipp Westermeyer erzählt sie aber, eine Kooperation ausgeschlagen zu haben, die im sechsstelligen Bereich für eine Kampagne gezahlt hätte. Das muss man sich leisten können.
8. Zuschauermagnet: Werbung für die Leichtathletik
Ihr Antrieb, sagt Alica Schmidt immer wieder, sei es, die Leute mitzunehmen in die Welt der Leichtathletik, den Nachwuchs zu begeistern und zu zeigen, dass ein schönes Leben neben all der Disziplin möglich ist. Dass das funktioniert, hat mittlerweile auch der Deutsche Leichtathletik-Verband erkannt. Und wirbt mit Schmidt für eher schlecht besuchte Wettkämpfe – auch wenn andere bessere Zeiten laufen. Dass ihr Instagram-Account oft auch an der Startlinie vom Stadionmoderator thematisiert wird, ist für Alica Schmidt doppelter Ansporn: Einerseits zeigt es, dass die Strategie aufgeht, dass Leute wegen ihr hinsehen. Und andererseits will sie zeigen, dass sie sportlich mehr kann als Social Media – denn Followerzahlen gewinnen keine Rennen. Auch wenn sich auch aus Niederlagen und Rückschlägen Content machen lässt.
9. Träumen mit Porsche: “Driven by Dreams”
Ihr neuester Markenpartner ist schneller als sie: die Luxus-Marke Porsche mit dem Claim “Driven by Dreams” kommt genau rechtzeitig als Sponsor, kurz bevor Alica Schmidt 2024 ihren Traum von der Olympia-Teilnahme wahr macht. Wird ihre Partnerschaft mit Puma 2018 im Video noch aufwändig inszeniert, verkündet sie die mit Porsche entspannt und simpel per Instagram: Kichernd enthüllt sie den 911 Carrera 4S, fährt grinsend aus der Garage. Die Reaktionen ihrer Fans sind nicht durchweg positiv, der Umwelt-Aspekt wird in der Kommentarspalte heiß diskutiert. Neben Boss und Porsche bewirbt Alica Schmidt auch den Sonnenschutz von Eucerin beim Training in der Sonne und den Duft von Lancôme als “persönliche Herzensempfehlung”. Mit der Getränkemarke Vitamin Well hat sie einen Sportdrink entwickelt – auch deren Claim “Prepare for what’s to come“ perfekt abgestimmt aufs Olympia-Jahr. “Ich könnte jeden Tag Werbung machen“, erklärt sie Philipp Westermeyer in dessen Podcast, “aber wer will das schon sehen? Da würde ich mir ins Bein schießen.” Marken, die mit ihr werben wollen, müssten passen zu ihrer eigenen Marke, zu ihrem Leben. “Eine Fluggesellschaft wäre vielleicht nicht schlecht.” Ob dafür die Kommentare positiver ausfallen als für Porsche, wäre abzuwarten.
10. Olympia 2024 – sie ist dabei
Im Mai 2024 erfüllt sich Alica Schmidts größter Traum, instagramtauglich unter Palmen: Bei den Staffel-Weltmeisterschaften auf den Bahamas qualifiziert sie sich als Teil der Mixed-Staffel für Olympia. Sie und ihre Markenpartner werden dabei sein bei #paris2024. Medienaufmerksamkeit bekommt das Qualifying in Deutschland erst wirklich durch Schmidt und ihre Instagramposts. Als sie ein paar Tage später neben Schnappschüssen von Laufstrecke und Qualifying auch Strandfotos und Meeresrauschen postet, bekommt sie dafür eine Viertelmillion Likes.
3 Learnings fürs Marketing:
Kontinuität is Key: Das Prinzip Dranbleiben aus dem Training hat Schmidt auch für Social Media verinnerlicht. Und nimmt ihre Community zuverlässig mit zu Trainings, Wettkämpfen, Fashion Shows und in den Urlaub. So viel skandalfreie Zuverlässigkeit strahlt auch auf Markenpartner aus.
Storytelling ist wichtiger als Siege: Kämpfen, Hoffen, Mitfiebern – Alica Schmidt hat erkannt, dass der Sport die großen Storys schreibt. Und damit die perfekte Bühne für emotionale Markeninszenierung bietet. Egal, ob es mit den Medaillen klappt oder nicht.
Lifestyle und Leistung: Wer wegen der hübschen Bilder auf Alica Schmidts Accounts stößt, bleibt letztlich wegen sportlicher Inhalte und Einblicke – und umgekehrt. Schmidt beweist, dass sich Ästhetik und Ernsthaftigkeit nicht ausschließen müssen. So hat sie es geschafft, dass aus dem Titel “schönste Sportlerin” die Sportlerin im Kopf bleibt.