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“Anstrengend und schön wird das” – Christoph Keese über die KI-Zukunft der Medien- und Kreativbranche.

28. März 2023

 
Veränderungs­maschine: Künstliche Intelligenz markiert den “funda­mentalsten Wandel, den unsere Branche jemals erlebt hat”, schreibt Christoph Keese. “Reihen­weise Geschäfts­modelle werden hin­fällig”, prophezeit der Geschäfts­führer von Springers Beratungs­firma Hy. Er glaubt, die Zukunft wird “ein Eldorado für die Besten und eine Strapaze für das Mittel­maß”. Er erinnert daran, dass einzelne Menschen in Redaktionen dieser Tage “Funktionen ausüben, die früher von fast zwei Dutzend heute vergessener Berufe praktiziert wurden”. Das Vorführen der Fehler von KI-Bots ziele am Kern der Sache vorbei.
 

 
Von Christoph Keese
 
Ein beliebter Gesellschaftssport geht derzeit so: Finde Fehler in Arbeitsergebnissen von Künstlicher Intelligenz, mache dich darüber lustig, ernte Heiterkeitserfolge und behaupte, Bots würden sich auch in Zukunft leicht durchschauen lassen. Lustig mögen Bot-Blamagen zwar sein, am Kern der Sache zielen sie trotzdem vorbei.

Vor einigen Tagen tauchten gefälschte Bilder von Donald Trumps Verhaftung auf, hergestellt mit dem Bot Midjourney. Experten sahen sofort, dass beteiligten Polizisten Finger an den Händen fehlten und dass auf ihren Dienstmarken sinnlose Buchstabenkombinationen standen. Ganz ähnlich ließen sich auch die innig-romantischen Urlaubsbilder von Angela Merkel und Barack Obama am Strand als Deep Fakes entlarven. Der Sprachbot Chat-GPT von OpenAI, soeben veröffentlicht in Variante 4, leistet sich abenteuerliche inhaltliche Schnitzer.

Doch Ausfallerscheinungen dieser Art werden in Windeseile behoben sein. Wer an Künstlicher Intelligenz mäkelt, übersieht, wie schnell die Öffentlichkeit Zugang zu eleganten Automatentexten und fotorealistischen Fantasiebildern erhalten hat. Noch vor einem Jahr galt es als unvorstellbar, was heute mit einem simplen Computerbefehl (“Prompt”) kinderleicht produziert werden kann.

Computer fertigen juristische Schriftsätze, Abi-Klausuren, Architektur-Renderings und Werbe-Moodboards in Sekundenschnelle und zu null Kosten an. Fehler schaffen sich fast von allein ab. Warum? Weil neuronale Netzwerke aus Fehlern lernen. Jede Kinke wetzt sich von selbst aus. Mängel sind keine Programmierfehler, sondern zeigen nur, dass noch nicht ausreichend viele Iterationsschleifen durchlaufen worden sind. Lange dauert soetwas nicht. Neue Versionen von AlphaGo schwingen sich heutzutage zu Weltmeistern des schwierigsten Spiels der Welt auf, ohne historische Partien überhaupt zu kennen. Einfach nur, indem sie gegen sich selbst spielen und aus Fehlern lernen – und das in hyperschneller Taktung. Ähnlich wird es bei den Text- und Bild-Bots laufen.

Wie wirkt das auf kreative Berufe und Geschäftsmodelle von Verlagen, Sendern und Agenturen? Oft wird behauptet, Künstliche Intelligenz würde Menschen keine Jobs wegnehmen, sondern verdrängt würden nur Menschen ohne KI von Menschen mit KI. Diese These ist einerseits wahr, andererseits aber auch falsch. Richtig ist, dass Künstliche Intelligenz nur ein weiteres Werkzeug in einer langen Reihe von Werkzeugen ist, die im Laufe der Jahrhunderte das Kommunikationsgewerbe verändert haben. Selbst Gutenbergs Buchpresse war nur ein Werkzeug, das von Menschen gehandhabt werden musste, ebenso wie später die Linotype, der Fotosatz oder die Volltextsuche. Keine dieser Innovationen hat die Kommunikationsbranche zu einer reinen Roboterindustrie reduziert. Menschen blieben immer im Geschäft.

Falsch an der These ist aber, dass sie gar keinen Einfluss auf Beschäftigung gehabt hätten. Redakteurinnen und Redakteure üben heute Funktionen aus, die früher von fast zwei Dutzend heute vergessener Berufe praktiziert wurden: Setzer, Lithographen, Metteure, Texterfasser, Schlosser, Drucker – sie alle und viele andere mehr sind teilweise oder vollständig verschwunden. Bei Sendern und Agenturen sieht es nicht anders aus.

Künstliche Intelligenz und ihre Auswirkungen zu überschätzen, ist kaum möglich. Wir erleben den fundamentalsten Wandel, den unsere Branche jemals erlebt hat. Was gestern noch einen Wert besaß, weil es schwer herzustellen war, das gibt es heute umsonst. Reihenweise Geschäftsmodelle werden hinfällig.

Wie reagiert man am besten darauf? Indem man das tut, was Computer noch nicht können: das absolut Neue erschaffen, das völlig Unbekannte enthüllen, das noch nie Gesehene erkennen, das ganz und gar Unerhörte kreieren, das bislang nicht Verstandene verstehen. Anstrengend und schön wird das. Ein Eldorado für die Besten und eine Strapaze für das Mittelmaß.
 
Dieser Text ist Teil der Themenwoche Digitalisierung & KI – bis 2. April fragen wir auf turi2.de, wie der technologische Fortschritt Medien, Wirtschaft und Gesellschaft verändert.

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