“Der Zugang zu Qualitätsmedien muss niederschwellig sein” – Carsten Dorn über Zeitungen und deren Vermarktung.
9. September 2024
Denkt groß:Carsten Dorn, Geschäftsführer und Schwungrad bei Score Media, dem zentralen Vermarkter der wichtigsten deutschen Regionalzeitungen, macht sich Sorgen um Deutschland. Der diplomierte Betriebswirt und Vater dreier Söhne nimmt Mediaagenturen, Werbungtreibende und Medien in die Verantwortung für eine funktionierende plurale Gesellschaft. Dorn leitet seit 2018 Score Media, mit mehr als 400 Tageszeitungstiteln und deren Portalen und E-Paper-Angeboten einer der größten Crossmedia-Vermarkter in Deutschland. Welche guten Nachrichten er gern lesen würde, verrät Dorn im Auftakt-Interview der Themenwoche Zeitungen mit Peter Turi.
Welchen Teil der Zeitung lesen Sie zuerst?
Den Regionalteil. Weil ich hier Informationen finde, die ich in anderen Medien nicht erhalte: den sprichwörtlichen Talk of Town, also was in meiner Stadt, in meinem Viertel los ist. Von Veranstaltungen bis zu Bauvorhaben, Sperrungen bis hin zu lokalpolitischen oder wirtschaftlichen Informationen für mein direktes Umfeld. Schlicht News, die mich oft direkt betreffen.
Was war für Sie die beste Nachricht, die Sie zuletzt in der Zeitung gelesen haben?
Zu den Good News gehört für mich, dass Kamala Harris bei den US-Wahlen ins Rennen geht und die Umfragewerte der Demokraten wieder steigen. Sehr berührt haben mich die Berichterstattung und Bilder rund um die Olympischen Spiele in Paris und die Freude der Menschen an den Spielen – auch wenn das keine News sind.
Was war die beste Branchen-News der letzten Wochen?
Für uns als Vermarkter regionaler Tageszeitungsmarken und kostenloser Wochenzeitungen gab es einige tolle Schlagzeilen: Zum Beispiel die aktuelle Studie von Pilot zur Angebotskommunikation, die erneut belegt, wie wichtig Prospekte für die Menschen sind und welche hohe Bedeutung sie zur Einkaufsvorbereitung haben.
Noch was?
Ja, die Übernahme des Berliner Video-Vermarkters Red Pineapple Media. Das Tolle daran sind vor allem die Reaktionen im Markt. Mit der Akquisition erweitern wir unser Portfolio und holen uns Ad-tech-Expertise ins Haus. Damit lenken wir den Fokus noch einmal darauf, dass die regionale Tageszeitung so viel mehr als Print ist und sich im Digitalen sehr viel tut.
Was war zuletzt die schlechteste Nachricht?
Da gibt es leider viel zu viele. Die Nachrichten aus Solingen sind erschütternd, genauso wie die insgesamt zunehmende Gewaltbereitschaft in Deutschland. Und auch die Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen machen mich unglücklich.
Was bedeutet es für die Gesellschaft und die Branche, dass Ostdeutschland rechtsaußen wählt?
Das ist natürlich keine gute Entwicklung, weder für unsere Gesellschaft noch für unsere Demokratie. Für die Branche wünsche ich mir, dass ein Ruck durch alle Beteiligten geht. Wir alle haben hier Verantwortung. Mediaagenturen und Werbungtreibende können ihren Beitrag leisten, indem sie Teile ihrer Mediabudgets von der ein oder anderen sozialen Plattform abziehen und in nationale Medien geben. Wir haben in Deutschland eine Vielzahl an Qualitätsmedien mit markensicheren und wirkungsvollen Umfeldern – auch digital.
Welche Verantwortung haben die Medien?
Der Job der Medien ist es, mit ausgewogener und valider Berichterstattung die Menschen zu informieren, aufzuklären und Dinge einzuordnen. Dazu braucht es eine solide finanzielle Grundlage. Wir sind hier alle gefordert. Es ist wie mit dem stationären Geschäft ums Eck: Wenn keiner einkaufen geht und beispielsweise nur digital shoppt, wird der lokale Handel Pleite gehen und die Innenstädte entsprechend ihr Gesicht verändern. Wir alle müssen in größeren Zusammenhängen und Wertschöpfungsketten denken – und auch entsprechend handeln.
Es fällt auf, dass da, wo Rechtsaußen-Parteien gewählt werden, weniger Zeitungen gelesen werden, also auch in Teilen von Ostdeutschland. Sehen Sie auch diesen Zusammenhang?
Dieser Zusammenhang ist wissenschaftlich mehrfach belegt. Erst im Frühjahr dieses Jahres ist Maxim Flößer, ein freier Redakteur beim SWR, in seiner Masterarbeit für die Uni Stuttgart der Frage nachgegangen, ob Menschen in Nachrichtenwüsten – also in Gemeinden ohne Lokalzeitung – in Baden-Württemberg stärker für die AfD stimmen. Das ernüchternde Ergebnis: In Gemeinden ohne Lokalzeitung erzielte die AfD durchschnittlich 1,6 Prozentpunkte mehr als in Gemeinden mit mindestens einer Lokalzeitung. Ich kann die Studie nur jedem zur Lektüre empfehlen.
Was war zuerst das: die Politikverdrossenheit oder die Zeitungsabstinenz?
Der Zusammenhang steht außer Frage, Henne-Ei lässt sich hier aber nicht klar bestimmen. Die Politikverdrossenheit hat sicherlich ein sehr vielschichtiges Ursachengeflecht. Die Themen werden komplexer, die Probleme und Herausforderungen größer. Die Flüchtlingswellen, die Corona-Jahre, der Ukrainekrieg, die ungelösten Energiefragen, die zunehmenden Wetterextreme verunsichern sehr, während die Politik weder klare Antworten noch schnelle Lösungen hat. Natürlich kann es die in vielen Bereichen auch nicht geben. Mehr Klarheit in der Stoßrichtung und auch mehr Einigkeit der regierenden Parteien wären aber mehr als wünschenswert. Das alles schafft Unmut und Zukunftsangst, die sich im Social Web ungefiltert entladen.
Was kann man dagegen tun?
Wir dürfen nicht müde werden, die Menschen für Qualitätsjournalismus zu begeistern, ihnen den Wert bewusst machen. Hier sind sicher auch Einrichtungen wie Schule und Unis, aber auch Arbeitgeber gefragt. Der Zugang zu Qualitätsmedien muss niederschwellig sein, die Medien-Kosten dürfen die Gesellschaft nicht spalten. Und Werbungtreibende müssen jene Medien unterstützen, die genau diese Funktion erfüllen. Das passiert natürlich alles auch schon.
Gedruckte Zeitungen schrumpfen in ihrer Auflage, digitale Ausgaben können das kaum ausgleichen. Was bedeutet das für Wirtschaftlichkeit der Verlage?
Es ist richtig, dass die Medienhäuser hier vor Herausforderungen stehen. Aber Digital wächst stark und Print ist immer noch auf einem sehr hohen Niveau. Allein die von uns vermarkteten Titel haben eine verkaufte Auflage von mehr als sieben Millionen Exemplaren täglich. Das ist eine beachtliche Größenordnung und das sollten wir nicht schlechtreden. Aber natürlich fokussieren wir uns auf Digital. Die Mediennutzung wird noch deutlich digitallastiger werden, als sie das heute schon ist. Der Fokus muss – neben dem funktionierenden Printgeschäft – auf digitalem Wachstum liegen. Diese Transformation aktiv voranzutreiben und zu gestalten, steht damit auch bei der Score Media Group ganz oben auf der Agenda.
Wie groß ist die Strahlkraft der Zeitungen als Werbeträger noch?
Werbungtreibende folgen Trends, keine Frage, sie wollen aber vor allem auch effektive und effiziente Lösungen. Und hier überzeugt die Gattung unverändert – in Print und auch digital. Das Paket aus Reichweite in hochwertigen Zielgruppen, einer intensiven, wiederkehrenden Nutzung, hochwertigen markensicheren Umfeldern und effektiven Werbelösungen ist und bleibt ein Pfund von regionalen Tageszeitungsmarken.
Was wird stärker nachgefragt: Digitalwerbung auf den Digitalseiten der Zeitungen oder klassische Printwerbung?
Der Trend folgt der Mediennutzung: Digital wächst stark. Die Geschwindigkeit, die wir vor allem im E-Paper sehen, ist wirklich beachtlich. Eine Verdopplung des digitalen Umsatzes im Jahresvergleich ist hier ein sehr realistisches Szenario. Aber, und das kann man gar nicht oft genug betonen, Print ist das Herzstück unseres Geschäfts. Und wird es auch noch sehr, sehr lange bleiben. Es ist für viele Werbungtreibende fester Bestandteil, weil es einfach funktioniert.
Welche Anzeigensegemente machen den Zeitungsverlegern und -vermarktern noch richtig Freude?
Es ist immer eine Freude, wenn eine sehr konsequente Marktbearbeitung Früchte trägt. Wir entwickeln gemeinsam mit den Werbungtreibenden Konzepte, die auf ihre Ziele zugeschnitten sind – vor allem im digitalen Bereich. Vielen Kunden ist noch nicht gänzlich bewusst, was für eine Kraft und wie viele Möglichkeiten in den digitalen Kanälen der regionalen Zeitungsmarken stecken. Beispielsweise in den E-Paper-Ausgaben oder auch in der Vermarktung der Newssites hinter der Paywall. Wir entwickeln in diesen Bereichen fortwährend innovative Werbeformen. Nur ein Beispiel ist der Video Flyer, eine E-Paper-Beilage, die emotionalisierendes Bewegtbild mit informativem Content kombiniert und interaktive Elemente wie beispielsweise Linkouts enthält. Die Engagement Rates liegen hier im zweistelligen Bereich, die Reichweite bei 2,9 Millionen Leser*innen täglich. Solche Erfolgsprodukte zu entwickeln, die Kunden und dann in ihren Ergebnissen überzeugen, das macht uns Freude.
Was konkret tut Score, damit Zeitungen als Werbeträger attraktiv bleiben?
Wir entwickeln neue Produkte und schaffen zentrale Lösungen, die Werbungtreibenden einen einfachen Zugang zu den digitalen Qualitätsumfeldern der regionalen Tageszeitungsmarken geben. Ein paar Beispiele: Wir haben vor nunmehr fünf Jahren eine E-Paper-Plattform für die digitale Beilage implementiert, Werbelösungen für den Bereich hinter der Paywall geschaffen und mit der Akquisition von Red Pineapple Media wertvolles Ad tech-Know-how gewonnen, um das Angebot in den digitalen Umfeldern der regionalen Medienhäuser noch schneller auszubauen. Unsere Medienhäuser sind hier oft auch sehr gut aufgestellt und es gibt unzählige Beispiele an attraktiven, innovativen Lösungen im Digitalbereich. Hier geht es für Score Media darum, diese, wo es Sinn macht, auf nationaler Ebene zu skalieren oder eben auch unsere Verlage zu vernetzen und Best Practice zu teilen. Wir sitzen da ja alle im selben Boot.
Wohnungen, Autos, Jobs – diese Anzeigen sind weitgehend ins Internet abgewandert. Gibt es hier noch gute Nachrichten?
In der lokalen Vermarktung und im Rubrikengeschäft hat es tatsächlich große Umbrüche gegeben. Es gibt aber nicht nur Print, viele regionale Publisher haben im Digitalen bis hin zum Eventbereich neue Felder erschlossen und ausgebaut. Und es gibt auch eine Rubrik, die der Digitalisierung bislang standgehalten hat und meiner Meinung nach auch künftig standhalten wird: die Traueranzeigen. Diese sind bei den Menschen in Print gesetzt.
Allein Amazon hat 2023 mit Werbung im Umfeld der Bestellseiten fast 3 Milliarden Euro Werbeumsatz geschrieben – deutlich mehr als alle deutschen Zeitungen zusammen. Das zeigt die Macht der monopolartigen Digital-Plattformen. Frustrierend, oder?
Frustrierend ist, dass die internationalen Digital-Plattformen vielfach anderen Gesetzmäßigkeiten unterliegen als nationale Unternehmen. Stichworte sind hier unter anderem Steuern oder Datenschutz. Aber lassen Sie es mich mal sportlich formulieren: Regionale Tageszeitungsmarken sind attraktive und leistungsstarke Werbeträger, die auch in einer digitalen Plattformwelt ihren Platz in den Mediaplänen haben und haben werden.
Welche gute Nachricht wollen Sie demnächst in der Zeitung lesen?
Von Wahlsiegen der demokratischen Parteien, in Deutschland und auch in den USA. Und dass Deutschland wieder auf Kurs kommt.