“Die Sache mit dem Kiosk ist Branchenfolklore” – MVFP-Vorsitzender Philipp Welte über das Schicksal der Zeitschriften.
15. November 2024
Bleibt alles anders: “Alles” habe sich in den vergangenen 30 Jahren für Zeitschriften und ihre Verlage geändert – “und das mehrfach” –, sagt Philipp Welte. Der Burda-Vorstand und MVFP-Vorsitzende teilt im großen Abschluss-Interview zur Themenwoche Zeitschriften mit turi2-Herausgeber Peter Turi gewohnt deftig aus: Den “öffentlich-rechtlichen Medienkomplex” findet er “gemästet”, die Verlage sieht er als “Bollwerk der verlässlichen Information” gegen Fake News und Desinformation. Dabei sei der Wettbewerb mit den Technologieplattformen aus Übersee “weder frei noch fair”. “Wenn die Giganten zu Tisch waren, bleiben für Millionen anderer Medien nur noch Krümel”, klagt Welte. Ein Gespräch über das Schicksal der Zeitschriften mit Deutschlands wichtigstem Verlags-Lobbyisten.
Philipp, wir haben uns vor 28 Jahren kennengelernt als du der jung-dynamische Pressesprecher und Vertrauensmann von Dr. Hubert Burda warst und ich den “Kress Report” übernommen hatte. Was hat sich seit 1996 verändert – in diesem Vierteljahrhundert in den Medien?
Lustige Frage, Peter! Ich würde sagen: alles. Und das mehrfach. Und immer anders, als wir es zunächst gedacht oder auch erhofft hatten. Hinter uns liegen jetzt sicher 30 Jahre der digitalen Transformation, und die deutschen Verlage und Verlegerfamilien haben Milliarden in die Digitalisierung ihrer Medienkanäle investiert. Aber wir haben es heute mit Wettbewerbern zu tun, die die ökonomische Macht von Staaten haben, mit den größten Unternehmen, die es jemals gegeben hat. Das macht den Kampf um ökonomische Ressourcen gerade im Werbemarkt zu einer sehr existentiellen Angelegenheit.
Was hat sich geändert bei den Zeitschriften?
Natürlich haben sich unser Sein und unser Tun mit Zeitschriften fundamental verändert. Wir schauen heute als Verlag nicht mehr nur auf unsere Magazine. Unser Geschäftsmodell ist nicht das Bedrucken von Papier. Der Beginn und der Kern unserer Wertschöpfung ist der journalistische Inhalt. Und der hat unverändert hohe Relevanz, die Menschen lieben unsere Inhalte und unsere Marken, weshalb auch der hochfrequente Verkauf von Zeitschriften für uns bei Burda ein sehr gesundes, erfreulich resilientes Geschäft ist. Aber ja: Auch hier ist nichts mehr so, wie es war – und es muss morgen wieder anders funktionieren als gestern.
Was hat sich in dem Vierteljahrhundert, in dem wir uns kennen, in der Gesellschaft verändert?
Wir durchleben gerade eine Zeit einer historischen Dichte an Krisen und Konflikten, und ich habe den Eindruck, dass unsere Gesellschaft aus der Balance gerät. Das Vertrauen in den Staat und seine Institutionen sinkt, die radikalen Kräfte werden lauter, der Extremismus der politischen Ränder wird aggressiver. Während Hass und Hetze im Internet dramatisch zunehmen und auf unsere Straßen schwappen, trauen sich viele Menschen in der Mitte nicht mehr, ihre Meinung frei zu äußern. Dabei verschwimmen in den sozialen Netzwerken die Grenzen zwischen Fiktion und Realität immer weiter. Das ist eine massive Gefahr für die Stabilität unserer liberalen Demokratie, weil für ein Drittel der unter 30-jährigen Deutschen die sozialen Massenmedien die wichtigste Informationsquelle sind.
Was bedeutet das Wahlergebnis in den USA für Deutschland und die Medien?
Was der Sieg von Donald Trump wirklich für Europa und Deutschland bedeutet, wird sich zeigen. Sicher ist, dass die Verantwortung journalistischer Medien für die verlässliche Information der Menschen und damit für das Funktionieren einer Demokratie deutlich gestiegen ist. Wir haben im US-Wahlkampf erlebt, welchen gefährlichen Einfluss gefälschte Nachrichten und offensichtliche Lügen haben, die sich in Sekundenschnelle über soziale Netzwerke verbreiten. Und das ist bei uns ja nicht anders. Extreme Parteien und radikale Gruppierungen verfügen über hoch professionalisierte Medienkanäle und setzen gezielt auf politische Manipulation und Agitation. Unsere Verantwortung in der Welt der Verlage ist es, ein Bollwerk der verlässlichen Information zu sein.
Was macht Dir Angst?
Ganz grundsätzlich macht mir sehr wenig Angst. Angst ist kein guter Ratgeber, wenn man in schwieriger Zeit Verantwortung hat. Was mich beunruhigt ist, dass der Geist der Freiheit, der Deutschland zu einer der erfolgreichsten Demokratien der Weltgeschichte gemacht hat, dass dieser liberale Geist ganz offenkundig in Gefahr gerät. Das Vertrauen der Menschen in unsere Demokratie und deren Institutionen sinkt dramatisch. Die politisch extremen Ränder werden breiter und damit mächtiger. Unsere Demokratie gerät aus der Balance. Wir müssen lernen, für die Freiheit, in der wir so sorglos und glücklich gelebt haben, aufzustehen.
Was macht Dir Mut?
Es geht eher um Kraft als um Mut. Und diese Kraft kommt aus unserer Verantwortung für die Generation unserer Kinder und deren Kinder. Freiheit, Demokratie, eine offene, pluralistische Gesellschaft – all das ist nicht selbstverständlich. Wir müssen bereit sein, dafür auch zu kämpfen. Und das müssen wir gerade in Deutschland erst wieder lernen, weil wir hier zu lange geträumt haben, dass all diese wunderbaren Parameter unseres glücklichen Lebens in Freiheit von allein so bleiben, wie sie sind. Nein, tun sie nicht.
Aus dem Archiv von turi2.tv:Peter Turi im Video-Interview mit Philipp Welte. (2018)
Welche Zeitschrift liest Du am liebsten? Welche noch?
Alle. Und nicht nur unsere. Sicher nicht immer, aber jede Zeitschrift nimmt mich mit in faszinierende Welten. Das macht sie so besonders.
Gehst Du noch gern an den Kiosk?
Die Sache mit dem Kiosk ist Branchenfolklore aus den späten 80er-Jahren.
Da kommen wir beide ja auch her.
Tatsächlich entscheidet sich das Schicksal unserer Zeitschriften seit dem Ende des letzten Jahrtausends in erster Linie im Lebensmitteleinzelhandel. Fast zwei Drittel unserer Umsätze machen wir als Branche in einer Einkaufsrealität mit oft weit über 100.000 Produkten, in der Kaufentscheidungen in Bruchteilen von Sekunden fallen. Hier müssen unsere Marken ihre Kraft entfalten können. Und da liegen sowohl im Marketing als auch systemisch einige unserer größten Herausforderungen.
Es gibt ja immer weniger und das Presse-Angebot wird immer kleiner.
Ich sehe das weniger pessimistisch. Deutschland hat unverändert den reichhaltigsten Zeitschriftenmarkt der Welt. Ja, die Vielfalt des Presseangebots ist in den letzten Jahren kleiner geworden, und ja, es ist traurig, dass ein Teil des publizistischen Angebots vom Markt verschwunden ist. Aber dieses Angebot ist in den letzten 25 Jahren zunächst auch dynamisch gewachsen. Als wir 1999 “InStyle” in Deutschland auf den Markt gebracht haben, waren um die 1.000 Titel im Präsenzsortiment des Grosso, daraus wurden dann plötzlich 1.600, und heute reduziert sich diese Bandbreite wieder. Unser gemeinsames Ziel als Branche muss es sein, Systeme und Strukturen zu schaffen, um diese Vielfalt zu erhalten. Und genau das tun wir.
Was bedeutet es für die Gesellschaft und die Branche, wenn gedruckte Zeitschriften weniger werden?
Was wirklich zählt, ist hervorragender Journalismus, und dessen Heimat ist in Deutschland eben die Welt der Verlage. Zwei Drittel der fest angestellten Redakteurinnen und Redakteure arbeiten für Verlage, nicht etwa für den mit 9 Milliarden Gebühren gemästeten öffentlich-rechtlichen Medienkomplex. Die Menschen vertrauen den Inhalten, die wir “verantwortlich im Sinne des Presserechts” publizieren, egal auf welchen medialen Kanälen. Unsere wichtigste Aufgabe und unsere vor 75 Jahren im Grundgesetz festgeschriebene Verantwortung ist es, diese Gesellschaft mit verlässlichen Informationen zu versorgen, auf deren Fundament sie sich eine Meinung bilden und die richtigen Entscheidungen treffen können. Und mir scheint es so, dass diese Aufgabe heute so wichtig ist wie selten in der Geschichte unserer Republik.
Aus dem Archiv von turi2.tv: Philipp Welte und Edeka-Vorstand Markus Mosa besuchen die “Lebensader” der Presse – das Zeitschriften-Regal eines Supermarktes. (2017)
Gedruckte Zeitschriften schrumpfen in ihrer Auflage, digitale Ausgaben können das kaum ausgleichen. Was bedeutet das für die Wirtschaftlichkeit der Verlage?
Es ist für uns alle durchaus herausfordernd, Journalismus marktwirtschaftlich zu finanzieren. Unsere Inhalte werden von Menschen gemacht, von verantwortungsbewussten, klugen Redakteurinnen und Redakteuren. Das ist durch keine Technologie ersetzbar und deshalb aufwändig, also: kostspielig. Aber genau das ist ja unser Job: hochwertige Inhalte herzustellen. Um dieser Aufgabe wirtschaftlich gerecht zu werden, folgt heute kein Verlag mehr der Geschäftslogik von vor zehn oder 15 Jahren. Nein, wir brauchen dafür viele, sich ergänzende Geschäftsmodelle. Publikumszeitschriften erwirtschaften heute 40 Prozent ihrer Umsätze aus nicht-traditionellen Erlösquellen, bei den Fachzeitschriften kommen heute sogar 60 Prozent aus dem Digitalen.
Was bedeutet der Auflagenschwund für die Strahlkraft der Zeitschriften als Werbeträger?
An der Wirkkraft von Magazinen als Werbeträger hat die Digitalisierung nichts verändert. Aber sie hat die realen Machtverhältnisse im Werbemarkt verschoben. Wir scheuen den Wettbewerb in den digitalen Märkten kein bisschen, weder inhaltlich noch technologisch. Aber dieser Wettbewerb ist weder frei noch fair. Eine Handvoll digitaler Technologieplattformen hat auch den deutschen Werbemarkt fest im Griff. Mit über 10 Milliarden Euro an Netto-Werbeumsätzen ist 2023 mehr als ein Drittel der insgesamt 26 Milliarden Werbeinvestitionen in die Hände von Google, Amazon und Meta gefallen. Und weltweit wird 2024 die Hälfte der vermutlich über eine Billion Dollar an Werbespendings bei diesen drei US-Konzernen und zwei chinesischen Plattformen landen. Wenn die Giganten zu Tisch waren, bleiben für Millionen anderer Medien nur noch Krümel.
Welche Anzeigensegmente machen den Zeitschriftenverlegern und -vermarktern noch richtig Freude?
Freude machen uns alle, aber der Weg zur Freude ist weiter und härter geworden – egal in welchem Segment.
Was können Zeitschriften tun, um als Werbeträger attraktiv zu bleiben?
Unsere Welt verändert sich durch einen unendlichen Strom an manipulierten und manipulativen Inhalten, mit denen die Menschheit Tag für Tag konfrontiert ist. Vier von fünf Menschen in Deutschland vermuten gefälschte Wahrheiten in den sozialen Netzwerken der Plattformen. Gerade deshalb sollte inhaltliche Verlässlichkeit und die Qualität des Umfelds auch für Werbetreibende hochrelevant sein. Was also ist zu tun? Die journalistische Qualität hochzuhalten ist der wichtigste Auftrag.
Wie wichtig ist das Zeitschriften-Geschäft noch für Burda?
Es ist unverändert hoch relevant, angenehm profitabel und das ökonomische Zentrum des Konzerns Burda. Fast 2.000 Journalistinnen und Journalisten arbeiten festangestellt für Burda, und wir erreichen allein über unsere journalistischen Medien weltweit 100 Millionen Menschen, darunter 70 Prozent der Deutschen. Das bedeutet eine hohe verlegerische Verantwortung und macht die Faszination dieses Unternehmens aus.
Konkret?
Wir sind Teil der unterschiedlichsten Lebenswelten von Millionen Menschen, wir informieren sie, wir unterhalten sie, wir helfen ihnen, auf der Basis verlässlicher Informationen die richtigen Entscheidungen zu treffen – politisch, persönlich, beruflich, und in privatesten Fragen wie der eigenen Gesundheit. Wir verstehen uns als lebendiger Teil unserer pluralistischen Demokratie, und deren Faszination kommt eben genau aus dieser Vielfalt der Lebensentwürfe.
Welche Perspektive haben Zeitschriften bei Burda?
Eine großartige, und zwar nicht nur hier in Deutschland. Zeitschriften bleiben auch über die nächsten zehn Jahre hinaus ein attraktiver, profitabler Teil unseres publizistischen Geschäftsmodells – wenn wir es exzellent betreiben. Deshalb investieren wir weiter in die Qualität unserer Magazine und in technologische Innovationen, die unsere Prozesse in Redaktion und Produktion optimieren. Und in neue Kanäle unserer Marken, über die unsere Inhalte zu den Menschen kommen.
Mit welcher Strategie gehst Du in die Zukunft von “Bunte”, “Focus” und Co?
Ich vertraue auf ein exzellentes Team, das sehr genau weiß, wie Zukunft geht, weil wir gemeinsam schon lange und erfolgreich daran arbeiten. Hinter uns liegt eine Reihe von erfolgreichen Transformationsprogrammen, und die beiden Chefinnen des Burda-Verlags heute, Elisabeth Varn und Manuela Kampp-Wirtz, haben gerade das nächste gestartet: “Empower”. Im Kern setzen wir immer auf die journalistische Exzellenz des Produkts und ein tiefes Verständnis von Technologie, das Voraussetzung ist für eine holistische Markenführung. Der souveräne Weg in die Zukunft beginnt bei den unterschiedlichen Zielgruppen unserer Marken, und deren Interessen und Bedürfnisse und auch deren Mediennutzung präzise zu kennen, ist die Rolle unserer Chefredakteurinnen und Chefredakteure. Wir haben heute allein in Deutschland fast 30 unabhängige Redaktionen, die die tatsächlich einzigartige Vielfalt unseres Portfolios ausmachen.
Bislang wurden “Focus” und “Focus online” getrennt geführt. Eine Absurdität aus historischen Gründen. Bleibt das so?
Historisch: ja, absurd: nein. Diese Trennung entstand vor 25 Jahren als es darum ging, Ressourcen in den Aufbau eines erfolgreichen Reichweitenmodells zu investieren. Das ist uns mit “Focus online” sehr gut gelungen, und ähnlich haben das über fast zwei Jahrzehnte alle Verlage gemacht – und das erfolgreich. Der minütlich aktuelle Journalismus eines digitalen Newsangebots funktioniert einfach fundamental anders als das redaktionelle Arbeiten eines wöchentlichen Nachrichtenmagazins.
Und in Zukunft?
Ist klar, dass wir zu anderen kollaborativen Prozessen und Strukturen finden müssen. Marken müssen integriert gedacht und geführt werden, auch wenn zwei Redaktionen dahinterstehen. Für mich ist dieses Zusammenfinden der beiden Redaktionen, die unter der Marke “Focus” publizieren, einer der erfreulichsten Prozesse dieses Jahres. Hier entsteht eine Menge Zukunft für guten Journalismus.
Wie wird der Erlösmix im Zeitschriftengeschäft in Zukunft aussehen?
Unser Ziel ist es, im Burda-Verlag mittelfristig 50 Prozent unseres Ergebnisses außerhalb des traditionellen Print-Geschäfts zu erwirtschaften. Trotz des in den letzten Jahren signifikant geschrumpften traditionellen Anzeigengeschäfts sind wir in der Topline, also in den Gesamtumsätzen, extrem stabil, weil wir kontinuierlich neue Erlösmodelle entwickeln. Stand heute kommen knapp 30 Prozent unserer Umsätze weder aus dem Anzeigen- noch aus dem Vertriebsgeschäft. Und diese Transformation treiben wir konsequent weiter voran.
Wie wichtig werden digitale Vertriebserlöse sein? Bisher ist das, gelinde gesagt, keine Burda-Stärke?
Das ist ja, wie du sehr gut weißt, auch ein durchaus erst seit wenigen Jahren entstehendes Geschäftsmodell vor allem für die Publikumsverlage im Unterschied zu den Fachmedien. Digitale Vertriebserlöse werden für unsere gesamte Branche eine zunehmend wichtige Rolle spielen, aber der Weg zu substanziellen Erlösen für digitale Inhalte ist durchaus komplex und nicht ohne Hürden. Eine davon ist die Eutrophierung dieses Marktes mit vermeintlich kostenlosen Inhalten aus dem öffentlich-rechtlichen Medienkomplex. Am Ende zählt auch in diesem Wettbewerb der Preispunkt, und wenn der durch die massenhaften Angebote aus dem öffentlich-rechtlichen Bereich mit “Null” definiert ist, ist das für uns eine weitere massive Wettbewerbsverzerrung.
Wer hat bei Burda eigentlich das Sagen?
Ein zehnköpfiges Executive Board, das aus der Familie, dem Verwaltungsrat und dem Vorstand besteht. Und im Management der Vorstand, der die operative Führung aller Geschäfte des Konzerns verantwortet.
Und auf der Gesellschafter-Seite?
Die Familie Burda, wie in den letzten 100 Jahren.
Die Burda-Kinder machten bisher nicht den Eindruck, als wäre Burda ihr bevorzugter Karriereweg – oder täuscht der Eindruck?
Dieser Eindruck ist falsch und dann eher ein Einzelschicksal von dir, lieber Peter. Elisabeth Burda Furtwängler und Dr. Jacob Burda sind schon lange keine Kinder mehr und beide aktive Gesellschafter, die sich im Unternehmen einbringen und den intensiven Austausch mit uns als Vorstand und den Kolleginnen und Kollegen in den operativen Geschäften suchen. Sie stehen für die Zukunft des Konzerns und haben ihre unternehmerische und verlegerische Verantwortung sehr souverän angenommen.